Masernimpfung

Das Schweigen der Hausarzt-Verbände

Die Zahl der Masernfälle ist in Berlin weiter gesteigen. Auch in Praxen abseits der Hauptstadt ist die Welle spürbar. Doch weder Hausärzteverband noch DEGAM sehen eine Veranlassung für einen Impfappell.

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Bis Ende 2015 erlaubt die KV Berlin Pädiatern, auch Erwachsene gegenMasern zu impfen.

Bis Ende 2015 erlaubt die KV Berlin Pädiatern, auch Erwachsene gegenMasern zu impfen.

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BERLIN. Die Fakten erschrecken nach wie vor: 980 Menschen sind seit Anfang Oktober in Berlin an Masern erkrankt, davon 859 allein im Jahr 2015.

Damit ist die Zahl der Erkrankten im Vergleich zur Vorwoche noch einmal um zehn Menschen gestiegen. Diese aktuellen Zahlen veröffentlichte die Landesgesundheitsbehörde am Dienstag in Berlin.

Die meisten der Erkrankten in der Hauptstadt sind zwischen 18 und 43 Jahre alt, 24 Prozent zwischen sechs und 17 Jahre. Zehn Prozent der Fälle traten bei Kindern unter einem Jahr auf.

Doch obwohl offensichtlich vor allem die älteren Jahrgänge unzureichend geimpft sind, rufen derzeit offenbar nur die auf Kinder- und Jugendärzte zum Impfen auf.

Keine Impfempfehlungen von DEGAM und Hausärzteverband

Bisher, so heißt es von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), habe man keine Veranlassung dazu gesehen, sich mit Appellen an die Mitglieder zu wenden oder Stellung zu nehmen.

Schließlich habe es ausreichend Stellungnahmen von anderen gegeben, so von der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut.

Auch der Deutsche Hausärzteverband sieht offenbar keinerlei Grund, seine Mitglieder angesichts der wachsenden Zahlen dazu aufzurufen, den Impfstatus ihrer Patienten zu kontrollieren.

Deren Bundesvorsitzender Ulrich Weigeldt hatte lediglich Ende Februar der Nachrichtenagentur dpa gesagt, der Hausarzt solle "über sämtliche Impfungen stets informiert sein" und als "Koordinator im Gesundheitswesen den Gesamtüberblick haben".

Für Dr. Ulrich Fegeler, Pressesprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), hat diese Zurückhaltung einen einfachen Grund: Viele Haus- und Allgemeinärzte hätten eine differenzierte Meinung zu Impfvorgaben.

BVKJ-Präsident Dr. Wolfram Hartmann spricht in diesem Zusammenhang von bis zu 15 Prozent der Ärzte, die Impfungen aus ideologischen Gründen ablehnen.

In einem Online-Test der KBV können Vertragsärzte testen, ob ihre Praxis bei der Impfkontrolle von Patienten gut aufgestellt ist. Noch gibt es keine Zahlen, wie viele Praxen das neue Portal nutzen.

Patienten wollen Impfstatus wissen

Die Masernwelle ist auch in Arztpraxen außerhalb Berlins spürbar, etwa bei Hausarzt Dr. Karsten Gilbrich in Klietz im Norden Sachsen-Anhalts.

"Es gibt vermehrt Nachfragen der Patienten, die ihren Impfstatus wissen wollen", erklärt Gilbrich, dessen Praxis etwa 100 Kilometer westlich von Berlin liegt.

Dies sei zum Teil gar nicht so einfach, da manch ein Patient kein Impfdokument vorlegen könne. Ist das Dokument nicht auffindbar, geht der Hausarzt proaktiv vor: "Ich rufe zum Beispiel beim Gesundheitsamt im Landkreis an, ob Informationen zum Impfstatus vorliegen."

Das ist oft bei älteren Patienten aus den neuen Bundesländern der Fall. Im alten System der DDR wurde das Impfen zentral vom Staat organisiert, sagt Gilbrich.

Aber auch im Alltag gehen der Arzt und sein Team auf die Patienten zu: Kommen etwa neue Kinder als Patienten in die Praxis, bitten die MFA um den Impfausweis. Im Sprechzimmer trägt Gilbrich das Thema an Erwachsene heran, um deren Immunisierungsstatus zu prüfen.

Impfverweigerer habe es in der Geschichte seiner Tätigkeit in Klietz nur selten gegeben. Wenn, dann seien Patienten bereits mit fester Grundüberzeugung in die Sprechstunde getreten.

"Wir klären umfassend über Risiken auf - können aber niemanden zwingen", betont Gilbrich. Um Impflücken zu vermeiden hält er eine zentrale Koordinierungsstelle für sinnvoll, die Leute etwa per Schreiben an nötige Impfungen erinnert. "Oft wissen oder vergessen einige Patienten einfach, dass geimpft werden muss", betont der Hausarzt aus der Altmark.

Auch auf Sylt kommt es vermehrt zu Nachfragen - die Resonanz auf Impfempfehlungen ist dabei positiv: "Die Patienten sind in aller Regel dankbar für die Hinweise und nehmen die Ratschläge an", betont Dr. Hans-Joachim Zielinski, der als Hausarzt auf der Nordseeinsel arbeitet.

"Oft herrscht eine Skepsis vor Impfungen", stellt Dr. Hans-Joachim Bunke fest. Der Hausarzt mit Praxis nahe Frankfurt am Main begegnet dem mit Fakten aus Untersuchungen: "Ich führe bei Bedarf eine Titerbestimmung durch. Mit den vorhandenen Laborergebnissen sind die Patienten eher bereit eine Impfung durchzuführen."

Fachfremde dürfen nun Masernimpfung vornehmen und abrechnen

In Berlin zwingt die Masernwelle die KV zu Ausnahmeregeln für das Impfen. Bis Ende des Jahres dürfen Kinder- und Jugendärzte in Berlin auch die Masernimpfung bei Erwachsenen abrechnen.

Nach einem Gespräch unter anderem mit der Senatsverwaltung hat sich die KV zu dieser Ausnahmeregelung entschlossen, um bei der Eindämmung der Masern-Epidemie zu helfen.

Weil die Anzahl der Masernerkrankungen in Berlin weiter konstant hoch ist, hatte Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) die KV, die Ärztekammer und die Berliner Krankenkassen zu einem Gespräch gebeten. Im Anschluss daran, so teilt die KV jetzt mit, wurde "geprüft, welche Möglichkeiten bestehen, den Masernausbruch zu bekämpfen und eine höhere Impfrate zu erreichen".

Herausgekommen ist folgende Regelung: Befristet bis zum 31. Dezember 2015 vergütet die KV Pädiatern die Masernimpfung bei Erwachsenen, ebenso dürfen auch Gynäkologen Impfleistungen gegen Masern bei Männern abrechnen.

Bislang hatte die KV eine solche Vergütung abgelehnt, da das Impfen von Erwachsenen für die Kinderärzte fachgebietsfremd sei.

Ausnahmeregelung zulässig

An dieser Auffassung hält die KV auch weiterhin fest. Eine Ausnahmeregelung sei jetzt aber möglich, da eine gelegentlich gebietsfremde Tätigkeit nicht zu beanstanden sei, wenn sie weder systematisch erfolgte, noch den überwiegenden Teil der ärztlichen Tätigkeit ausmache.

"Zulässig ist diese Ausnahmeregelung insbesondere vor dem Hintergrund, dass in dem aktuellen Masernausbruch besondere Umstände zu erkennen sind, die ein gelegentlich fachfremdes Tätigwerden von Fachärzten für Kinder- und Jugendmedizin bzw. Fachärzten für Frauenheilkunde und Geburtshilfe erlauben", begründet die KV ihren Schritt unter Hinweis auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüne-burg von 2004.

Von einem Sinneswandel könne allerdings keine Rede sein, betont die KV. Die Ausnahmeregelung sei zeitlich begrenzt, es gehe vorrangig um die Eindämmung der Masernerkrankungen.

"Für alle weiteren Impfungen und den Zeitraum nach dem Ende der Notsituation müssen wir uns wieder an die gängige Rechtsprechung halten", schreibt die KV der "Ärzte Zeitung".

Diese "gängige Rechtsprechung" erlaubt es nach Ansicht der KV nicht, die Abrechnung von Schutzimpfungen für Erwachsene durch Pädiater zuzulassen. In vielen anderen KVen ist Kinderärzten dagegen die Mitimpfung von Erwachsenen erlaubt.

Vor einer Impfung empfiehlt die KV Berlin allerdings den Vertragsärzten, die "bereit sind, zur Eindämmung des Masernausbruchs auch Impfungen außerhalb ihres Fachgebiets durchzuführen", ihren Haftpflichtversicherungsschutz zu überprüfen. (mam/juk/mh/cw/ger)

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