Streit um Diesel-Grenzwerte

Der Feinstaub-Faktencheck

Pneumologen gegen Pneumologen: Eine Gruppe Lungenfachärzte stellt sich gegen die geltenden Stickoxid-Grenzwerte; die andere winkt ab. Wer hat recht? Ein Faktencheck.

Veröffentlicht:
Abstrakte Darstellung von Rauch: Wie sind die Grenzwerte zur Feinstaub- und Stickoxid-Emission zu werten?

Abstrakte Darstellung von Rauch: Wie sind die Grenzwerte zur Feinstaub- und Stickoxid-Emission zu werten?

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BERLIN. Dass Experten für Lungenkrankheiten eine öffentliche Debatte antreiben, kommt nicht allzu häufig vor. Doch die Aussage von mehr als hundert Pneumologen, Stickoxid-Grenzwerte entbehrten einer wissenschaftlichen Grundlage, hat viele verunsichert. Was ist dran?

BEHAUPTUNG: Eine ganze Armada von Wissenschaftlern habe sich gegen die aktuellen Grenzwerte für Stickoxide und Feinstaub ausgesprochen. Damit werde die Diskussion um den Diesel endlich auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt. Wissenschaftlichen Studien würden bisher nicht von unabhängigen Forschern ausgewertet.

BEWERTUNG: Falsch. Nur eine kleine Minderheit der Lungenärzte vertritt diese Meinung. Das vielzitierte Positionspapier wurde von einem Bruchteil der Lungenexperten in Deutschland unterschrieben. Eine sachliche, wissenschaftliche und unabhängige Diskussion findet seit Jahren unter Experten auf der ganzen Welt statt – darunter Lungenärzte und Toxikologen, Umweltwissenschaftler und Epidemiologen.

FAKTEN: Ein Positionspapier, über hundert Unterschriften, unzählige Wortmeldungen: Das waren die Zutaten für eine große Diskussion um Schadstoff-Grenzwerte und den Diesel, die jetzt in Deutschland vor sich hin köchelt. Der Vorwurf, den die Lungenexperten machen: Die geltenden Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide hätten keine ausreichende Basis. Also alles bisher wissenschaftlicher Humbug?

Wer genauer hinschaut, für den stellen sich die Dinge etwas anders dar. Das Positionspapier, von dem die Rede ist, wurde federführend von dem Lungenexperten Dieter Köhler verfasst, dem ehemaligen Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP).

Es wurde bereits Anfang Januar an 3800 DGP-Mitglieder verschickt – aber nur 112 haben es nach aktuellem Stand unterschrieben, also weniger als 3 Prozent der angefragten Lungenexperten. Das muss per se noch nicht bedeuten, dass Köhlers Position falsch ist. Es deutet aber darauf hin, dass eine sehr große Mehrheit der Lungenexperten in Deutschland seine Ansicht nicht teilt.

Die offizielle Position der in der DGP vereinten Kollegen ist tatsächlich eine andere. „Luftschadstoffe gefährden unsere Gesundheit – besonders die von Kindern, älteren Menschen und Erkrankten“, teilte der Verband im November 2018 mit. Experten hatten damals für die DGP ein entsprechendes Dossier erstellt. Auf 100 Seiten mit Hunderten Fußnoten fassen sie den Wissensstand der Forschung zusammen.

Schäden auch unterhalb der Grenze

Ihr Fazit: „Negative Gesundheitseffekte treten auch unterhalb der derzeit in Deutschland gültigen europäischen Grenzwerte auf.“ Für die deutsche Bevölkerung sei derzeit „kein optimaler Schutz vor Erkrankungen, die durch Luftverschmutzung verursacht werden, gegeben“. Deshalb sei „eine Absenkung der gesetzlichen Grenzwerte erforderlich“, also sogar noch verschärfte Richtlinien.

Auch der Bundesverband der Pneumologen, Schlaf- und Beatmungsmediziner (BdP) hat Stellung bezogen. „Eine Bagatellisierung der Auswirkungen von Luftschadstoffen gefährdet die Bemühungen, Risiken und Gefahren von Luftverschmutzung zu minimieren!“, warnt Frank Heimann, Vorsitzender des BdP, in einer Mitteilung. Der Verband vereint mehr als 1200 Lungenärzte in Deutschland.

Hierzulande gilt ein Stickstoffdioxid-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Das California Air Resources Board (Carb) – die Behörde für die Überwachung der Luft in Kalifornien – ist überzeugt, dass Stickoxide schon bei längerfristig anhaltenden Konzentrationen von mehr als 30 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft schädlich sind.

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Die Behörde ist bekannt dafür, mit ihren Anforderungen an saubere Luft weltweit Maßstäbe zu setzen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO kommt anhand der vorliegenden Studien ebenso zu dem Schluss, dass Stickoxide auch bei geringen Mengen krank machen können. Laut Umweltbundesamt können Stickoxide etwa Zellen in der Lunge angreifen und Entzündungsprozesse auslösen.

Der Ton macht die Musik

Auffällig ist der Ton, den Köhler im Begleitschreiben zu seinem kontroversen Positionspapier anschlägt. „Bei mir besteht die Besonderheit, dass ich keiner Interessengruppe angehöre“, schreibt er dort. Köhler suggeriert damit, dass andere Experten - oder sogar alle anderen – bestimmten Interessensgruppen angehören. Zusammen mit seinen Ko-Autoren fordert er „eine Neubewertung der wissenschaftlichen Studien durch unabhängige Forscher“.

Der Fachmediziner äußert hier pauschale Kritik, ohne dass klar wird, inwiefern er begründet über Tausende Experten in Deutschland und auf der ganzen Welt urteilen kann. Neben Köhler zeichnen auch drei weitere Autoren für das Positionspapier verantwortlich, darunter der Karlsruher Ingenieurwissenschaftler Thomas Koch. Laut dessen offizieller Vita entwickelte Koch zehn Jahre lang Motoren für Daimler. Aufrufe von Wissenschaftlern seien „ein beliebtes Lobbyinstrument“, kritisierte Lobbycontrol, ein Verein, der sich für mehr Transparenz in politischen Entscheidungsprozessen einsetzt.

Ein weiterer Kritikpunkt von Köhler lautet, dass kein Mensch bisher an Stickoxiden und Feinstaub gestorben sei. Dies gilt aber etwa auch für das Rauchen, für Bewegungsmangel und hohen Zuckerkonsum. Menschen sterben nicht an den unmittelbaren Einwirkungen, sondern an den möglichen Folgen davon.

Gleiches gilt dem wissenschaftlichen Konsens zufolge für Luftschadstoffe: Sie sind ein Risikofaktor für Krankheiten, die es nach Kräften zu vermeiden gilt. Entsprechend müssen Schadstoff-Grenzwerte politisch festgelegt werden und sind daher oft besonders streng ausgelegt, um das Risiko zu minimieren – ein Kompromiss aus Anspruch und Machbarkeit. (dpa)

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 27.01.201917:55 Uhr

Nicht nur Pneumologen sollen und müssen dem vorherrschenden "Mainstream" widersprechen!

Feinstäube, Stickoxide, CO2 und andere Luft-Schadstoffe wie z.B. Polycyclische Aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) oder Polychlorierte Biphenyle (PCB) in Umwelt, Wohn- und Arbeitsstätten, Raucherzonen, Verkehr, Industrie, Produktion, Land- und Energiewirtschaft führen nicht nur bei Hitze und anhaltender Trockenheit zu chronischer Bronchitis, Asthma, COPD und Schlimmerem. Alle Umweltbelastungen führen zu Atem- oder anderen Krankheitsproblemen, das bestreiten ernsthaft weder Haus- und Familien-Mediziner/-innen, noch Pneumologen, Pathologen und alle anderen Fachrichtungen!

Weshalb müssen aber "in drei Teufels Namen" nur und ausschließlich Diesel-Straßenfahrzeug-Antriebe als Sündenbock herhalten? Andere Umweltsünder werden vorsätzlich ausgeklammert?

Alle Lebewesen werden nicht monokausal geschädigt und krank: (Straßen)Verkehr, Emissionen, Immissionen, Lärm machen nur einen Teil von krankheitsfördernder Risikofaktoren aus.

Doch unterschiedslos werden kleine Diesel-Motoren mit großvolumigen PKWs, SUVs, Protz-, Nutz-, Sonder-, Schienen-Fahrzeugen, LKWs gleichgeschaltet.

Industrie-, Produktions-, Logistik- bzw. Energie- und Entsorgungswirtschafts-Emissionen/-Immissionen werden dabei europaweit gar nicht erst gemessen, weil diese nämlich Schadstoff-belastend wesentlich höher liegen und von ihnen viel größere Gesundheits- und Krankheitsgefahren ausgehen.

Umwelt-Messstationen dürfen nach einheitlichen europäischen Richtlinien niemals auch nur in der Nähe von gewerblichen Industrie- und Produktionsanlagen oder Braunkohle-Tagebau, Braunkohle-Kraftwerken, Kernenergieanlagen, Aluminium-, Kupfer- und Stahlhütten bzw. der Chemie-Industrie platziert werden:
https://www.umweltbundesamt.de/themen/luftmessnetz-wo-wie-wird-gemessen

"Grundsatz der Luftqualitätsüberwachung
Grundprinzip der europäischen Richtlinie ist es, die Einhaltung der Grenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit überall sicherzustellen. Ausgenommen von dieser Anforderung sind lediglich Bereiche, zu denen die Öffentlichkeit keinen Zugang hat (z.B. Autotunnel) und es keine festen Wohnunterkünfte gibt, Industriegelände und Fahrbahnen. Die Messstationen sind deshalb so aufzustellen, dass sie die höchsten Konzentrationen erfassen, denen die Bevölkerung ausgesetzt ist. Für Schadstoffe - wie z.B. Stickstoffdioxid - die überwiegend aus dem Verkehr stammen, wird diese Forderung mit Messstationen an viel befahrenen Straßen in Städten (so genannten verkehrsnahen Messstationen) erfüllt. Aus diesen Daten lässt sich durch einfache Abschätzungen auf die räumliche Ausdehnung der Belastung bzw. auf andere belastete Straßen schließen. Neben der Forderung, am Ort der höchsten Belastung zu messen, sollen zudem Konzentrationsdaten erhoben werden, die für die Exposition der Bevölkerung allgemein repräsentativ sind. Dies erfolgt an Messstationen in typischen städtischen Wohngebieten, so genannten städtischen Hintergrundmessstationen. (Anlage 3 A und B der 39. BImSchV)" ...

"Lage der Messstationen
Neben dem Grundprinzip, am Ort der höchsten Belastung zu messen, macht die Richtlinie konkrete Vorgaben zum Abstand verkehrsnaher Messstationen zur nächsten Kreuzung, zum Fahrbahnrand, zu Gebäuden, zu den Anströmungsbedingen und auch zur Höhe der Messeinlassöffnung (dort wird die zu untersuchende Luft angesaugt). Demnach soll eine verkehrsnahe Station z.B. nicht weiter als 10 Meter vom Fahrbahnrand und mindestens 25 Meter entfernt von einer verkehrsreichen Kreuzung aufgestellt werden. Zusätzlich müssen jedoch auch Störfaktoren (z.B. Bäume, Balkone), Sicherheit, Zugänglichkeit, Stromversorgung und Telefonleitungen, Sichtbarkeit der Messstation in der Umgebung, Sicherheit der Öffentlichkeit und des Betriebspersonals bei der Standortwahl berücksichtigt werden. (Anlage 3 C der 39. BImSchV)" ...

Man misst also extra ausschließlich Straßenverkehrsbelastungen an besonders ausgewiesenen str

Prof.Dr. Erland Erdmann 26.01.201918:58 Uhr

Kein echter Faktenchek

Sie haben versucht, die Fakten kritisch zu würdigen. Ich vermisse aber die wirklichen Fakten, nämlich ob und ab welcher Durchschnittskonzerntration NOx die Lunge oder andere Organe schädigt! Nur das wäre ein Argument für oder wider die Kohlersche Kritik! Nach meiner Information fehlen derartige Fakten.

Dr. Martin Junker 26.01.201914:01 Uhr

Eine neue Bewertung mit neuen Konsequenzen ist erforderlich

Die Untersuchung, daß ein Euro 5 Diesel in einer geschlossenen Garage ein fast 10-faches Weniger an Feinstaub produziert als ein 3 Zigaretten rauchender Mensch in einer 1/2 Std., ist altbekannt. Das Problem ist, dass hier der von der lügenden und betrügenden Autoindustrie gebeutelte Bürger/in die Zeche zahlen soll, aber die Dreckschleudern ÖNV, Kreuzfahrt-Diesel, Billig-Flugverkehr, Raucher u.a., die ein zigfaches täglich in die Luft jagen, außen vor bleiben. Es fehlt bei der verlogenen Ursachenermittlung an der lebensnahen, sachbezogenen Ursachensuche und an einer ideologiefreien Problembekämpfung! Da kann und darf sich auch und gerade die Politik nicht länger vornehm aus der Schusslinie halten sondern muss endlich Farbe bekennen. Arbeitsplätze sind nicht Alles: "Gesundheit ist nicht Alles, aber ohne Gesundheit ist Alles Nichts!" (Schopenhauer)- Niemand kann mir als Umweltmediziner belegen, daß mit einem Bleigeschoss Rehfleisch so kontaminiert wird, dass es gesundheitsgefährdend wäre, wenn überhaupt nachweisbar (zumal wenn ich in einer Großstadt lebe oder an einer Straßenkreuzung stehe). Das können nur ideologisch verbohrte, diskussionsresistente Grüne oder selbsternannte Umwelt-Phantasten. - Die sollten lieber die schwedische Schülerin unterstützen! - Insofern hat Prof. Köhler, den ich persönlich schätze und unterstütze, Recht! Die große Mehrheit der Pneumologen, die bisher allzu schweigend gewesen sind, sollten sich nicht nur durch ihren vorsitzenden Funktionär einseitig vor den falschen Karren spannen lassen sondern auf die wirklichen Verursacher zeigen!

PD Dr. Ole-A. Breithardt 25.01.201920:21 Uhr

Faktencheck?

Ein "Faktencheck" sieht anders aus - ziemlich einseitige Analyse mit offensichtlich vorher feststehendem Ergebnis - schwach...

Dr. Gert Krabichler 25.01.201917:23 Uhr

Aua! Dieser Artikel tut weh!

Es wäre an der Zeit, mit dem Herumposaunen von Meinungen aufzuhören! Niemand wird doch allen ernstes behaupten, dass Stickoxide oder Feinstaub gesund sind. Das gilt aber auch z.B. für geräucherte Wurstwaren, die auch nach WHO als "möglicherweise krebserregend" gelten! Niemand wird jedoch auf die Idee kommen, deshalb in Gaststätten oder beim Metzger die Portionen an rotem oder geräuchertem Fleisch zu begrenzen.
Richtig ist, dass es sinnvoll ist, schädliche Umwelteinflüsse weitmöglichst zu minimieren. Das gilt für das Essen von Würstchen wie auch für Stickoxide. Und wie in der gezeigten Graphik zu sehen ist, haben sich in den letzten 20 Jahren die begonnen Maßnahmen schon positiv ausgewirkt, und dies bei den heutigen im Verkehr befindlichen Fahrzeugen. Dies bedeutet, dass mit der Zunahme von Fahrzeugen der neuesten Normen die NOx und Feinstaubwerte weiter sinken werden.
Wissenschaftlich korrekt ist es, Risiken anhand von wissenschaftlichen Fakten abzuwägen. Die Studien der WHO sind alle multifaktoriell erhoben und basieren nicht auf einzelnen toxikologischen Parametern. Wie kann es sein, dass die maximale Arbeitsplatzkonzentration für NOx beim 23-fachen Wert liegt (950 statt 40)?
Für mich ist es unverständlich, dass seriöse Wissenschaftler hier mehr Politik spielen als sich klar an Fakten zu halten. In der Abwägung aller Fakten zu den möglichen gesundheitlichen Risiken gibt es aus meiner Sicht keinen Grund für Fahrverbote in Deutschland.

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