Mehnert-Kolumne
Diabetes führt oft zu Gebrechlichkeit
Das Frailty-Syndrom bezeichnet in der Geriatrie eine Kombination aus unbeabsichtigtem Gewichtsverlust, körperlicher und geistiger Erschöpfung sowie muskulärer Schwäche. Hauptursache ist meist Mangelernährung - und die ist bei Diabetikern häufig.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Das Frailty-Syndrom bezeichnet in der Geriatrie eine Kombination aus unbeabsichtigtem Gewichtsverlust, körperlicher und geistiger Erschöpfung sowie muskulärer Schwäche. Die primäre Ursache ist oft Mangelernährung: Im Alter verringern sich Hunger und Appetit.
Prof. Hellmut Mehnert
Arbeitsschwerpunkte: Diabetologie, Ernährungs- und Stoffwechselleiden: Diesen Themen widmet sich Prof. Hellmut Mehnert seit über 50 Jahren.
Erfahrungen: 1967 hat er die weltweit größte Diabetes-Früherfassungsaktion gemacht sowie das erste und größte Schulungszentrum für Diabetiker in Deutschland gegründet.
Ehrung: Er ist Träger der Paracelsus-Medaille, der höchsten Auszeichnung der Deutschen Ärzteschaft.
Besonders auch bei Diabetikern kommen oft Kau- und Schluckprobleme hinzu. Eine autonome Neuropathie verzögert zudem die Magenentleerung und verringert die Darmmotilität. Betroffene sind immer weniger mobil, was zu Problemen beim Einkaufen und bei der Essenszubereitung führt.
Durch die Gewichtsabnahme werden weitere Gesundheitsstörungen und Erkrankungen begünstigt: Schwäche, Apathie, Müdigkeit, Muskeldystrophie, Hautläsionen und Hämatome, schuppige Haut, Risse oder wunde Stellen am Mund, schlaffe Hautfalten, die sogenannte pudertrockene Axilla und eine blasse Hautfarbe.
Laboruntersuchungen unterstützen die Diagnostik: Im Vordergrund bei Malnutrition steht vor allem das reduzierte Serumalbumin: Werte über 40 g/Liter sind normal, unter 30 g/Liter ein Alarmzeichen. Bei weit fortgeschrittener Frailty ist zudem auf Exsikkose mit Ödemen und Aszites zu achten.
Demenz und Depressionen
Frailty und Diabetes gehen häufig mit Demenz und Depressionen einher. Demenz kann auch Folge einer zu scharfen Diabetes-Einstellung sein.
Nach Studiendaten verdoppelt sich bei drei schweren Hypoglykämien mit Fremdhilfe in der Anamnese das Demenzrisiko: Ein Circulus vitiosus, weil die erwünschte gute Einstellung nicht selten (zu oft?) mit gelegentlichen Hypoglykämien erkauft wird.
Auch Probleme mit den Zähnen häufen sich bei Diabetes, etwa die Parodontitis. Parallel hierzu entwickeln sich - post oder propter hoc? - mikroangiopathische Schäden im Sinne von Retinopathie und Nephropathie.
Beim Zahnstatus sind folgende Fragen zu beachten: Ist der Kauvorgang behindert? Kommt es zu Schmerzen beim Öffnen oder auch beim Schließen des Mundes? Gibt es Probleme mit der Prothese (unregelmäßiges Tragen, verschiebbarer Sitz, nicht intakt oder ungepflegt)?
Auch Druckstellen des Zahnersatzes sind gefürchtet, vor allem bei trockener Mundschleimhaut. Und dann natürlich die für Diabetiker so wichtige Frage, ob das Zahnfleisch entzündet ist oder auch die Zähne locker oder kariös geworden sind.
Subkutane Flüssigkeitsinfusionen
Zur Behandlung bei der Frailty ist natürlich die ausreichende Kalorienzufuhr sowie die richtige Zusammensetzung der Nahrung von Bedeutung. Mitunter ist sogar eine Sondenkost erforderlich, etwa bei Schluckstörungen, Depression oder Demenz. Alte Menschen trinken in der Regel zu wenig.
Dies gilt ganz besonders auch bei der Frailty. Wenn die erforderliche Trinkmenge (30 bis 40 ml/kg Körpergewicht pro Tag) längere Zeit nicht erreicht wird und sich der Allgemeinzustand verschlechtert, sind gelegentlich subkutane Infusionen erforderlich.
Diese haben im Vergleich zu intravenösen Infusionen Vorteile bei unruhigen Patienten, die Venen werden geschont und ebenso der Kreislauf bei Herzinsuffizienz.
Bei den nicht seltenen Hypokaliämien kann den Infusionen bis zu 40 mmol/l Kalium beigemischt werden. Patienten mit Frailty sollten zudem grundsätzlich ein Multivitaminpräparat bekommen; unter Umständen ist auch der Vitaminstatus zu überprüfen (Vitamin B12, Vitamin D).
Besonders bei sehr alten Patienten steckt hinter der Frailty häufig auch eine unzureichende Diabetes-Therapie. Weil die Patienten lange Zeit auf orale Antidiabetika befriedigend eingestellt waren, wird ihnen zu lange das dringend nötige Insulin vorenthalten.
Doch gerade durch die anabolen Effekte des Insulins können Betroffene wieder in ein lebenswertes Leben zurückgeführt werden.