Gentherapie reloaded
Eine neue Chance für HIV-Infizierte
Die Möglichkeit einer Gentherapie bei HIV war mangels Erfolgen und wegen unkalkulierbarer Risiken fast vergessen worden. Seit der "Berliner Patient" als geheilt gilt und Zinkfingernukleasen entwickelt worden sind, hat sich das geändert.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Zufälle haben in der Wissenschaftsgeschichte immer wieder zu bedeutsamen Entwicklungen geführt, auf dem Feld der Medizin ließen sich die Entdeckung der Röntgenstrahlen, des Penicillins und weitere Beispiele anführen.
Mit dem "Berliner Patienten", bei dem es sich um den US-amerikanischen Übersetzer Timothy Ray Brown handelt, ist diese Geschichte um ein Kapitel reicher geworden - die Wikipedia-Enzyklopädie im Übrigen ebenfalls, dort ist der Mann bereits "verewigt" worden.
Der damals in Berlin lebende Brown war 1995 HIV-positiv getestet worden und hatte eine hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART) erhalten, als elf Jahre später zusätzlich eine akute myeloische Leukämie diagnostiziert wurde.
"Nach zunächst erfolgreicher Induktionstherapie erlitt er Ende 2006 einen Rückfall der Leukämie, sodass die Indikation zur allogenen Stammzelltherapie bestand", schreibt der behandelndeHämatologe Dr. Gero Hütter in der "MMW - Fortschritte der Medizin" (2013; Suppl. 1: 17).
Bei der gezielten Suche unter den Stammzellspendern fand sich tatsächlich einer, der für die CCR5-delta32-Deletion homozygot war. Menschen mit dieser Anlage verfügen über eine natürliche Resistenz gegen HIV-1.
CCR5-Deletion macht HIV-resistent
CCR5 ist ein Chemokinrezeptor auf der Oberfläche von T-Lymphozyten und Makrophagen, seine Funktion ist weitgehend unbekannt und sein völliges Fehlen kann der Körper offenbar kompensieren. Viren wie HIV dient CCR5 als Ankerpunkt, sie docken an und können nun die Immunzelle entern.
In Mitteleuropa weisen 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung eine Deletion im CCR5-Gen auf. Bei homozygoter Anlage wird überhaupt kein CCR5 an der Zelloberfläche exprimiert, dies ist bei etwa einem Prozent der Bevölkerung der Fall. Mitte der 1990er-Jahre war aufgefallen, dass solche Menschen trotz mehrfacher Berührung mit HIV-1 sich nicht damit infizierten.
Brown bekam im Februar 2007 das Knochenmark eines solchen Spenders, und die antiretrovirale Therapie wurde beendet. Der Nachweis proviraler DNA in den Leukozyten wurde nach 60 Tagen negativ, in allen folgenden Testungen im Knochenmark, im ZNS und in verschiedenen Geweben ergab sich kein Hinweis mehr auf HIV.
Hütter: "Der Patient zeigte eine partielle Serodekonversion, bei der nur noch (sinkende) Antikörpertiter gegen HIV-Hüllantigene zu finden waren. Die partielle Serodekonversion ist eines der stärksten Argumente dafür, dass bei dem Patienten keine Replikation von HIV mehr stattfindet."
Seitdem wird diskutiert, ob bei Brown nur eine Kontrolle der Virusreplikation oder tatsächlich eine Eradikation erfolgt ist. Jedenfalls hatte er auch fünf Jahre nach Ende der antiretroviralen Therapie keine HIV-assoziierten Symptome (PLoS Pathog 2013; 9 (5): e1003347).
Ein Wermutstropfen bleibt
Angesichts von schätzungsweise 34 Millionen HIV-Infizierten weltweit erscheine eine stammzellbasierte Therapie für alle undurchführbar, so Hütter. Allerdings eröffne die Entwicklung der Zinkfingernukleasen (ZFN) die Möglichkeit, natürliche CCR5-delta32-Mutation zu imitieren.
Denn mit Hilfe der ZFN lassen sich durch Deletion oder Insertion einzelne Gene gezielt abschalten. Tierexperimentell ist es bereits gelungen, auf diese Weise eine künstliche Resistenz gegen die HIV-Übertragung zu erzeugen (Nat Biotechnol 2010; 28: 839).
Seit zwei Jahren werden CCR5-ZFN in kleinen Studien bei HIV-infizierten Patienten getestet. Dabei werden reife T-Zellen aus dem Blut entnommen, mit ZFN manipuliert und wieder injiziert.
"Die manipulierten Zellen haben einen Selektionsvorteil und expandieren im Körper, sodass es über einen gewissen Zeitraum bei allen Probanden zum Anstieg der T-Helferzellen kam", berichtet Hütter. Bei einem Probanden sei nach Unterbrechung der antiretroviralen Therapie eine spontane Kontrolle der Virusreplikation festgestellt worden.
Es gibt aber auch einen Wermutstropfen: Mit den CCR5-ZFN werden nur einige Immunzellen erreicht, deren Expansionspotenzial kleiner ist als das hämatopoetischer Stammzellen. Wie erfolgreich die CCR5-gerichtete HIV-Gentherapie sein wird, lässt sich daher jetzt noch nicht sagen.