Alkohol und geistige Fähigkeiten
Es darf auch gern ein zweites Gläschen sein
Ein leichter bis moderater Alkoholkonsum geht mit einer verbesserten kognitiven Leistung im mittleren und höheren Alter einher. Moderat heißt hier: gern auch mal ein zweites Bier oder ein weiteres Gläschen Wein.
Veröffentlicht:Athens / USA. Zum Thema Alkohol, so hat man den Eindruck, ist aus medizinischer Sicht längst alles gesagt und geschrieben: Hunderte Kohortenstudien und Metaanalysen deuten bei all ihren Beschränkungen immer wieder auf eine U- oder J-förmige Kurve, wenn es um die kardiovaskulären Risiken geht: Etwas Alkohol ist hier zumindest nicht schädlich, eher sogar von Vorteil, jenseits eines Gläschens Wein oder einer Flasche Bier am Abend erhöhen sich die Risiken jedoch mit steigernder Dosis.
Gestritten wird meist um die Interpretation solcher Daten und die Fallstricke der jeweiligen Studien: Ist ein moderater Alkoholkonsum tatsächlich von Vorteil oder eher der damit verbundene Lebensstil? Das lässt sich letztlich nicht scharf trennen, zudem basieren sämtliche Daten auf subjektiven Angaben mit einem hohen Verzerrungspotenzial.
Vor diesem Hintergrund sind auch aktuelle Studien zum Einfluss von Alkohol auf die kognitive Funktion zu beurteilen. Klar ist, dass man seine Hirnzellen sehr wirksam in Alkohol ertränken kann, was aber, wenn man sie damit nur etwas kitzelt? Wie bei den kardiovaskulären Risiken deutet sich auch für die Kognition eine U- oder J-Kurve an: Zu viel führt in die Demenz, geringe Dosen schützen vielleicht davor.
Analyse der Angaben von 20.000 Teilnehmern
Die neueste Publikation zu diesem Thema stammt von Epidemiologen und Biostatistikern um Dr. Ruiyuan Zhang von der Universität in Athens in den USA (JAMA Netw Open 2020; 3(6): e207922). Die Forscher haben Angaben der Health and Retirement Study (HRS) ausgewertet, einer seit 1992 in mehreren Wellen laufenden Longitudinalstudie, an der eine repräsentative Auswahl von US-Bürgern im mittleren und höheren Alter teilnimmt und sich alle zwei Jahre untersuchen lässt.
Die Wissenschaftler berücksichtigten nur rund 20.000 Teilnehmer mit mindestens drei Folgeuntersuchungen, bei denen sowohl Angaben zum Alkoholkonsum als auch die kognitive Leistung erfasst wurden. Sie wollten damit einen Fehler vieler anderer Studien vermeiden, die den Alkoholkonsum nur einmal zu Beginn evaluieren. Da sich der Konsum im Laufe des Lebens oft deutlich ändere, sei eine einmalige Erhebung wenig aussagekräftig, schreiben Zhang und Mitarbeiter.
Im Schnitt erreichte das Alter der Teilnehmer zu Beginn 62 Jahre, 60 Prozent waren Frauen, 85 Prozent weiß. Immerhin 46 Prozent gaben an, nie Alkohol getrunken zu haben, 19 Prozent hatten früher schon mal, jetzt aber nicht mehr, 30 Prozent wurde ein geringer bis moderater Alkoholkonsum attestiert.
Die Grenze lag hier bei maximal 8 Standarddrinks pro Woche für Frauen und 15 für Männer. Ein US-Standarddrink enthält 14 Gramm Alkohol, das entspricht etwa einem kleinen Bier (0,33 l / 5 Prozent Alkohol) oder einem Glas Wein (150 ml / 12 Prozent Alkohol). Menschen mit einem höheren Konsum, das waren rund 5 Prozent, wurden als starke Trinker klassifiziert.
Geringeres Risiko für schlechten kognitiven Verlauf
Die Kognitionstests erfassten drei Domänen: Erinnerung, mentaler Status (Orientierung, Wissen, sprachliche Fähigkeiten) sowie kristalline Intelligenz (Erfahrung, Wortwissen, Allgemeinwissen). Zusammen ergaben sie einen Summenscore mit maximal 35 Punkten.
Schauten sich die Forscher die jeweiligen Verläufe bei der Kognition an, so differenzierten sie zwischen Teilnehmern mit altersbezogen konsistent hohen Werten in allen Untersuchungen (im Schnitt 25 bis 22 Punkte im Alter von 67–81 Jahren), das waren etwa die Hälfte der Teilnehmer, und solchen mit konsistent niedrigen Werten in sämtlichen Tests (etwa 19–14 Punkte), dazu zählte rund ein Fünftel. Diese Trajektorien setzten sie in Bezug zum Alkoholkonsum.
Wie sich zeigte, befanden sich Teilnehmer mit geringem bis moderatem Alkoholkonsum am seltensten in der unteren und am häufigsten in der oberen Kurve. Verglichen mit Niemalstrinkern war für sie die Wahrscheinlichkeit (odds ratio) für konsistent schlechte Kognitionstests um 36 Prozent geringer, wenn sämtliche bekannte Begleitfaktoren wie BMI, Bildung, Rauchen oder Familienstand berücksichtigt wurden.
Für ehemalige Konsumenten ergab sich ein um 18 Prozent reduziertes Risiko, selbst heftige Trinker befanden sich noch zu 13 Prozent häufiger in der oberen Kognitionskurve, hier war die Differenz aber nicht mehr statistisch signifikant.
Über neun Jahre nachbeobachtet
Die deutlichsten Veränderungen ergaben sich im Laufe der rund neunjährigen Nachbeobachtungsdauer beim Gedächtnis: Hier fiel mit dem Alter die Leistung in beiden Kurven erheblich ab. Sowohl ehemalige als auch aktuell moderate Trinker befanden sich jedoch zu etwa einem Viertel seltener in der unteren Kurve als Niemalstrinker, starke Trinker hatten keinen Vorteil.
Die Ergebnisse waren für Frauen ähnlich wie für Männer, für weiße US-Bürger günstiger als für Afroamerikaner – letztere scheinen weniger von einem moderaten Alkoholgenuss zu profitieren.
Verwendeten die Forscher um Zhang nicht nur grobe Kategorien zum Alkoholkonsum, sondern trugen sie die mittlere Dosis gegen das Risiko für einen ungünstigen kognitiven Verlauf auf, manifestierte sich wieder einmal die typische U-Kurve.
Optimum bei 10–14 Drinks pro Woche
Interessant ist der Wendepunkt: Er liegt für die einzelnen kognitiven Domänen zwischen 10–14 Drinks pro Woche und damit an der Grenze dessen, was als starker Konsum gewertet wurde, bei Frauen sogar jenseits dieser Grenze. Danach wären also zwei Liter Wein oder fünf Liter Bier die Woche geradezu optimal.
Dies sollte nun niemanden dazu ermuntern, seinen Alkoholkonsum zu steigern. Zum einen bleibt der kausale Zusammenhang unklar – vielleicht trinken geistig fitte Leute im Schnitt einfach mehr Alkohol, was nicht bedeutet, dass Alkohol den geistigen Fähigkeiten nützt. Zum anderen lag das Optimum in vielen anderen Studien deutlich niedriger, einige fanden auch gar keine Vorteile für einen moderaten Alkoholkonsum.