Therapie von Senioren

Führen Risiko-Arzneimittel häufiger ins Krankenhaus?

Senioren werden "bemerkenswert häufig" mit potenziell inadäquaten Medikamente (PIM) behandelt, so eine aktuelle Analyse. Das Risiko dieser Patienten unter der Therapie in der Klinik zu landen, ist deutlich erhöht.

Von Beate Schumacher Veröffentlicht:
Polypharmazie: Wurden mögliche schädliche Wechselwirkungen überprüft?

Polypharmazie: Wurden mögliche schädliche Wechselwirkungen überprüft?

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PHILADELPHIA. Altersbedingte physiologische Veränderungen, Multimorbidität und Polypharmazie erhöhen bei alten Menschen die Gefahr für schädliche Wechselwirkungen von Medikamenten. Um solche Risiken gering zu halten, gibt es diverse Empfehlungen, welche Wirkstoffe bei älteren Patienten als potenziell inadäquate Medikamente (PIM) nach Möglichkeit zu meiden sind. Dazu gehört etwa die in Deutschland gebräuchliche PRISCUS-Liste oder die in den USA entwickelte Beers-Liste. US-Wissenschaftler haben jetzt untersucht, ob PIM insgesamt oder einzeln das Risiko für Krankenhauseinweisungen bei Patienten über 65 Jahre erhöhen (Brit J Clin Pharmacol 2017, online 1. Juli).

Ausgewertet wurden Daten, die in der italienischen Region Emilia-Romagna zwischen 2003 und 2013 erhoben worden waren. PIM waren gemäß den Maio-Kriterien definiert, der in Italien üblichen Version der Beers-Kriterien.

Gebrauch "bemerkenswert hoch"

Potenziell inadäquate Medikamente (PIM)

» Häufig verordnet: Jedem zweiten von 1,5 Millionen über 65-Jährigen war in der Studie ein in diesem Alter "immer zu vermeidendes" PIM verschrieben worden.

» Mehr Klinikaufenthalte: Von Patienten mit PIM kamen 228/1000 Personenjahre in ein Krankenhaus, von Patienten ohne PIM 152/1000.

Dabei beschränkte man sich auf die Untergruppe von PIM, die "immer vermieden werden sollte". Das sind laut Maio-Kriterien von 2014: Amitriptylin, Chlorproamid, orales Clonidin, Disopyramid, Indometacin, Ketorolac i.v./i.m. (in Deutschland nicht mehr auf dem Markt), Methyldopa, kurz wirksames Nifedipin, NSAR für mehr als 15 Tage, orales Östrogen, Orphenadrin, Pentazocin (in Deutschland nicht mehr zugelassen), Testosteron, Spironolacton >25 mg/d, Escitalopram >10 mg/d, Citalopram >20mg/d, Ticlopidin, Imipramin, Nortriptylin, Trimipramin und Clomipramin.

Der Gebrauch dieser PIM war "bemerkenswert hoch", wie die Studienautoren berichten. 54,2 Prozent der knapp 1,5 Millionen älteren Patienten hatten im Beobachtungszeitraum mindestens einmal ein Rezept dafür erhalten.

Damit standen ältere Menschen im Schnitt für 10,9 Prozent der Zeit unter der Therapie mit einem PIM. Sehr häufig traf es Patienten im Alter über 75 oder mit vier oder mehr Erkrankungen. Sie trugen 49,6 Prozent bzw. 31,4 Prozent der erfassten Personenjahre bei, bei den Personenjahren mit PIM-Exposition erreichte ihr Anteil 57,6 und 54,7 Prozent.

Von den über 1,6 Millionen stationären Behandlungen gingen 15,6 Prozent auf Patienten unter PIM zurück. Damit traten in der Zeit mit PIM-Exposition 228,1 Hospitalisierungen pro 1000 Personenjahre auf, in der Zeit ohne PIM nur 152,1. Nach Abgleich anderer Einflussfaktoren entsprach das einer Risikosteigerung um 16 Prozent.

Kausalität unklar

Falls dieser Zuwachs tatsächlich durch die Einnahme von PIM verursacht wäre – was sich aus den Studienergebnissen nicht ableiten lässt –, würde das umgekehrt bedeuten, dass mit einer idealen – PIM-freien – Verordnung etwa 27.500 Krankenhauseinweisungen (1,7 Prozent) vermeidbar gewesen wären. Von den untersuchten PIM (Maio-Kriterien 2014) waren mit Ausnahme von Östrogen alle mit erhöhten Hospitalisierungsraten verbunden (>155 pro 1000 Personenjahre). Auf Platz 1 stand Ketorolac, gefolgt von Pentazocin und Spironolacton (1138, 525 und 473 Aufnahmen/1000 Personenjahre). Besonders lange Expositionszeiten fanden sich für NSAR, unter denen sich 176 Hospitalisierungen/1000 Personenjahre ereigneten.

Eigentlich gehören auch lang wirksame Benzodiazepine zu den PIM, die laut Maio-Kriterien "immer vermieden werden sollten". Sie konnten in dieser Studie nicht berücksichtigt werden, weil sie in Italien nicht erstattet und daher nicht erfasst werden. Daher würden die Ergebnisse das PIM-assoziierte Risiko möglicherweise noch unterschätzen, so die Studienautoren.

In einer deutschen Studie aus dem Jahr 2016 hatten Patienten, die PIM erhielten, ein um 38 Prozent höheres Risiko, binnen 180 Tagen ins Krankenhaus eingeliefert zu werden, als Patienten mit alternativen Medikamenten (Plos One 2016; online 3. Februar).

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Kommentare
Dr. Karlheinz Bayer 29.08.201709:16 Uhr

es gibt die Beers-Liste auch in Deutschland

Ich gehe mal davon aus, daß die Ärztezeitung aus irgendwelchen juristischen Gründen keine Links wie die anbieten kann.
Aber ein Leser wie ich darf das sicher:

http://www.bcp.fu-berlin.de/pharmazie/klinische_pharmazie/arbeitsgruppe_kloft/materialien/Beers-Liste.pdf

Warum wir uns in Deutschland mit Positiv- und Negativlisten so schwer tun, ist ein Kapitel für sich.
Immerhin, man kommt dazu.
So läßt sich die schwedische Pharmakopoe herunterladen und die Beers Liste wird sein ca. 4 Jahren von der FU Berlin gepflegt.

Dr.Karlheinz Bayer

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