Atemwegsinfekte
Hilfe für die gezielte Antibiose in der Praxis
Patienten mit Atemwegsinfekten sollten stets auch körperlich untersucht werden. Ein Algorithmus unterstützt bei der schnellen Entscheidungsfindung.
Veröffentlicht:MÜNCHEN. Nicht nur durch die Deutsche Antibiotika-Resistenz-Strategie (DART 2020) ist die Forderung „Antibiotika vermeiden!“ populär geworden. Doch viele Ärzte lehnen diese Pauschalforderung ab. „Das Pauschale wird oft nur pauschal gesehen“, sagte Dr. Michael Hubmann. „Der einzelne Arzt und Verordner sieht nicht den Link zu sich selbst.“ Denn es gehe nicht darum, Antibiosen pauschal zu vermeiden, sondern diese gezielt einzusetzen.
Korrekt sei hier vielmehr der Begriff „strenge Indikationsstellung“, so der Pädiater aus Zirndorf. Das bringe den nötigen Bezug zum eigenen Verhalten – wann schreibe ich im Alltag ein Antibiotikum wirklich auf? Denn die Entscheidungswege bei der Antibiotika-Verordnung hätten sich in den vergangenen 30 Jahren kaum verändert – trotz zunehmend verschärfter Resistenzsituation.
Hier sei zukünftig deutlich mehr Selbstreflexion nötig. „Wenn wir als Ärzte nicht besser werden, überholt uns der Computer“, sagte Hubmann und sprach sich vehement für die körperliche Untersuchung der Patienten aus. Die Mehrzahl der Kinder und Jugendlichen würde nicht untersucht, weiß der Pädiater.
Auf die Frage nach therapeutischen Optionen bei Kindern mit Atemwegsinfekten antwortete Hubmann: Zunächst die Mutter beruhigen. „Sie muss aufgeklärt werden, dass der Erreger meist ein Virus ist und ein Antibiotikum dann nichts bringt“, so Hubmann. „Im Gegenteil verursacht das Antibiotikum Nebenwirkungen.“ So kann etwa das Mikrobiom verändert werden und das sogar über einen längeren Zeitraum.
In der Arzneimitteltherapie sind evidenzbasierte Phytopharmaka eine wichtige therapeutische Option für den Pädiater. Dank der Verordnungsregularien in Bayern setzt der Pädiater Phytotherapeutika breit ein. In den meisten KVen gelte ein Richtwert, in Bayern jedoch gibt es Wirkstoffgruppen-Prüfungen. Pflanzliche Heilmittel seien darin nicht enthalten und können daher großzügiger verordnet werden, so Hubmann beim Round-Table „Antibiotic Stewardship – rationaler Einsatz von Antibiotika in der Praxis“.
Für den niedergelassenen Bereich fehle eine Variante des in der Klinik bereits bewährten Konzepts „Antibiotic Stewardship“ (ABS), beklagte Hubmann. ABS sei bisher ausschließlich auf die stationäre Versorgung ausgerichtet. Dort bekomme der Klinikarzt zum Beispiel standardisierte Hilfestellungen in der Substanzauswahl, etwa durch ein selektives Antibiogramm, sagte Professor André Gessner, Mikrobiologe von der Uni Regensburg. „Dadurch wird die Anwendung von Reservesubstanzen beschränkt“, so Gessner bei der von Bionorica SE unterstützten Veranstaltung in München. Und für schwierige Fälle gebe es in der Klinik ein infektiologisches Konsil. „Alle diese Prozesse finden im ambulanten Setting in der Einzelpraxis im Kopf des Inhabers statt“, ergänzte Hubmann.
Einen nachvollziehbaren Algorithmus im Sinne des Qualitätsmanagements hält der Pädiater für sinnvoll. Gemeinsam mit Allgemeinmedizinern, Pneumologen, HNO-Ärzten und Mikrobiologen hat Hubmann einen praxisnahen Algorithmus erarbeitet. Er bietet sowohl bei akuter Bronchitis als auch akuter Rhinosinusitis eine schnelle Orientierung. Indikationstypische „Red Flags“ sind aufgeführt, eine Tabelle erleichtert die Beurteilung von CRP- und Procalcitonin-Test. Der Algorithmus fokussiert auf eine strenge Indikationsstellung für eine Antibiose. Leitliniengerechte Antibiotika für beide Indikationen sind aufgelistet.
Download des Therapie-Algorithmus unter www.aerztezeitung.de/917409.Was sagen Ärzte zum Thema Prävention und Therapie von Atemwegsinfekten sowie zum rationalen Einsatz von Antibiotika? Springer Medizin sprach mit Allgemeinmedizinern, Pädiatern, Pneumologen, HNO-Ärzten und Mikrobiologen. Hier die Interviews: https://www.springermedizin.de/link/15035374