Angriffsziel Thalamus

Hitze gegen den Tremor

Es könnte die Tremortherapie der Zukunft sein: Ohne den Schädel zu öffnen, gelang es Ärzten, per Ultraschall einen Teil des Thalamus zu entfernen, der bei schwerem Tremor überaktiv ist. Die Symptome gingen dadurch um 90 Prozent zurück.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Tremor - Können Patienten hier auf eine nichtinvasive Therapie per Ultraschall hoffen?

Tremor - Können Patienten hier auf eine nichtinvasive Therapie per Ultraschall hoffen?

© Ralf Dolberg /ÄZ

TORONTO. Auch wenn das Verfahren als Machbarkeitsstudie erst bei vier Patienten getestet worden ist, die ersten Ergebnisse klingen recht vielversprechend.

Mit fokussiertem Ultraschall ist es einem Team um Dr. Nir Lipsman von der Universität in Toronto gelungen, den Nucleus ventrointermedius internus (Vim) präzise auszuschalten.

Dieser Thalamuskern ist Teil eines pathologisch überaktiven Netzwerks bei Tremorpatienten. Bisher wurde der Vim bei schwerem Tremor entweder per Elektroablation oder per Hirnstimulation stillgelegt.

Bei beiden Verfahren muss eine Elektrode durch das Gehirn zum Zielort geführt werden - mit all den Risiken wie Hirnblutungen oder zerebralen Infektionen.

Als nichtinvasive Methode wurde auch das Gamma-Knife getestet, doch damit lassen sich Therapieeffekte und Nebenwirkungen oft erst nach Wochen und Monaten abschätzen.

Zudem besteht hierbei immer die Gefahr, dass die Läsion auf wichtige Regionen in der Nachbarschaft übergreift.

Dadurch sind besonders Sprachareale gefährdet, berichten Lipsman und Mitarbeiter. Dysarthrien zählen vor allem bei beidseitigen Läsionen des Vim zu den gefürchteten Nebenwirkung.

Über 50 Grad im Thalamus

Für ihre Proof-of-Concept-Studie wählten die kanadischen Neurochirurgen vier Patienten mit schwerem arzneiresistentem essenziellem Tremor (Lancet Neurol 2013; 12: 462-68).

Sie fokussierten dabei Ultraschall aus 1024 Schallgebern unter MRT-Kontrolle zielgenau auf das nur zwei Millimeter große Vim-Areal kontralateral zur am stärksten betroffenen Körperseite. Dadurch erhitzten sie es auf über 50 Grad.

Die Patienten - nur unter Lokalanästhesie - konnten den Effekt in der Regel sofort spüren. Sie wurden so lange beschallt, bis der Tremor fast oder komplett verschwunden war. Dafür waren zwischen 12 und knapp 30 Beschallungen über jeweils 10-25 Sekunden nötig.

Der Erfolg wurde noch in der MRT-Röhre kontrolliert, indem sich die Patienten mit dem Zeigefinger der am stärksten betroffenen Hand an die Nase fassten und Kreise auf Papier zeichneten. Insgesamt dauerte die gesamte Prozedur fünf bis sechs Stunden pro Patient.

Trinken ohne Strohhalm wieder möglich

Einen Monat nach der Ultraschalltherapie war der Tremor um 90 Prozent reduziert, nach drei Monaten im Schnitt noch um 81 Prozent. Die tremorbedingten Behinderungen waren gemessen mit unterschiedlichen Skalen um etwa die Hälfte zurückgegangen.

So konnten alle Patienten nach drei Monaten wieder ein Glas greifen und ohne Strohhalm daraus trinken, auch gelang es ihnen, mit ihrer dominanten Hand den Namen und das Datum lesbar zu schreiben. All das war zuvor nicht möglich gewesen.

Als Nebenwirkung trat bei einem Patienten eine persistierende Parästhesie der Daumenspitze auf, offenbar wurden afferente sensorische Axone in der Nachbarschaft des Vim beschädigt, vermuten Lipsman und Mitarbeiter.

Ein weiterer Patient erlitt transiente Parästhesien, und bei einem dritten kam es zu einer Beinvenenthrombose, die vermutlich auf das lange Liegen in der MRT-Röhre zurückzuführen ist.

Risiken noch weitgehend unklar

"Die Magnetresonanz-geführte fokussierte Ultraschalltherapie führte zu einer effektiven Tremorkontrolle mit akzeptablem Nebenwirkungsprofil", so das Fazit der Forscher um Lipsman.

"Wir glauben, dass diese Behandlung einen substanziellen Fortschritt bei essenziellem Tremor darstellt."

Professor Günther Deuschl von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) sieht in der Ultraschalltherapie zunächst ein neues Therapieprinzip, dessen Entwicklung man aufmerksam beobachten sollte.

"Es handelt sich um eine interessante Machbarkeitsstudie, die zeigt, dass ein völlig neues Läsionsprinzip in diesen Fällen wirksam ist", so Deuschl in einer Mitteilung der DGN.

"Allerdings sind mögliche Nebenwirkungen wie lokale Blutungen oder sich postoperativ ausdehnende Läsionen nach nur vier Patienten noch nicht einschätzbar.

Auch hat die Methode den Nachteil, dass eine Inaktivierung des Gewebes nicht reversibel ist, wie bei der Tiefen Hirnstimulation, und es ist noch unbekannt, wie zielgenau das Verfahren ist."

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