Typ-1-Diabetes
Immer mehr Kinder werden zuckerkrank
Die Zahl der Kinder mit Typ-1-Diabetes in Deutschland wächst und die Krankheit bricht immer früher aus. Die Gründe dafür sind unklar.
Veröffentlicht:MÜNCHEN. Die Mutter hat den Notarzt alarmiert. Der kleine Myron ist apathisch, weint oft, hat ständig Durst. Als Ärzte die Diagnose Typ-1-Diabetes stellen, ist er gerade zwei Jahre alt.
Die kleine Ann-Fabienne ist Leistungsturnerin. Sie bekam mit sieben Zucker. Luca war fünf. Das "Diabetes-Eltern-Journal" berichtet über die beiden - und wie sie dennoch ein weitgehend normales Leben führen.
"Warum der Typ-1-Diabetes ansteigt - für die Antwort kann man noch einen Nobelpreis gewinnen", sagte Professor Thomas Danne, Chefarzt am Kinder- und Jugendkrankenhaus auf der Bult in Hannover und Vorstandsvorsitzender von diabetesDE - Deutsche Diabetes Hilfe.
Diabetes ist die häufigste Stoffwechselerkrankung bei Kindern. Rund 30.000 unter 18-Jährige leiden in Deutschland an Typ-1-Diabetes, die Neuerkrankungen steigen jährlich je nach Quelle um zwei bis vier Prozent. Das Immunsystem entgleist und zerstört die Insulin produzierenden Zellen.
Finnland hat die meisten Kinder mit Typ-1-Diabetes. Die Gründe: unklar. "Wir wissen, dass bestimmte Viruserkrankungen das Risiko fördern", sagt Danne. Etwa 20 Gene stehen in Zusammenhang mit dieser Diabetesform.
Vitamin D-Mangel spielt vielleicht eine Rolle, vermutlich auch Ernährungsbestandteile. "Sicher ist nur: Süßigkeiten spielen keine Rolle", sagte Danne im Vorfeld des Welt-Diabetes-Tags am 14. November.
Die jüngsten Betroffenen sind Kleinkinder - für die Familien eine hohe Belastung. Ein halbes Dutzend Mal am Tag muss der Blutzucker gemessen und etwa vier Mal Insulin gespritzt werden. Teils müssen die Kleinen nachts geweckt werden. Wachstum, Bewegungsdrang und Infektionen beeinflussen den Stoffwechsel in unvorhersehbarer Weise.
Im Extremfall kann ein hoher Zuckerwert tödlich sein. Gefährlich ist auch Unterzuckerung, bei der sich das Bewusstsein trübt. Wenn Kinder älter werden und selbst Verantwortung übernehmen, wird es nicht unbedingt leichter.
Gefahr gerade bei jungen Erwachsenen: Alkohol erhöht das Risiko von Unterzuckerung, ebenso Ecstasy. "Da hat jemand drei Nächte durchgetanzt. Wenn er dann eine extreme Unterzuckerung hat, rettet ihn nichts mehr", sagt Danne.
Ein 17-Jähriger habe beim Segeln gemerkt, dass er in Unterzucker rutschte - und Freunden gesagt: "Ich muss essen, ich schwimme ans Ufer." Dort kam er nie an, wie Danne schildert.
An Typ-2-Diabetes erkranken Kinder selten
Besser geklärt sind die Ursachen für Typ-2-Diabetes: genetische Veranlagung, Übergewicht und Bewegungsmangel. Sechs Millionen Deutsche leiden an dieser Diabetesform. Auch hier erkranken mehr junge Leute, aber selten Kindern.
"Wir haben ein Problem mit Adipositas und Kindern. Aber Diabetes ist erst die Endstufe", sagt der Vizevorsitzende der Forschergruppe Diabetes am Helmholtz-Zentrum in München, Privatdozent Michael Hummel. "Dass der Typ-2-Diabetes bei Kindern wahnsinnig zunimmt, stimmt nicht." Aber: "Wir sehen immer mehr Typ-2-Patienten im Alter von 25 und 35 Jahren."
Im Kampf gegen Fettleibigkeit, aber auch Diabetes haben an die 20 Staaten eine Zwangsabgabe auf zuckerhaltige Getränke erhoben, weitere denken darüber nach, etwa Mexiko. Dort gibt es prozentual schon mehr Übergewichtige als in den USA und fast jeder Zehnte hat Diabetes.
Eine Zuckersteuer, aber auch Restriktionen bei der Eröffnung von Fastfood-Restaurants seien auch hierzulande Möglichkeiten, meint Danne. Die Politik sei gefordert.
"Was man in Deutschland gerne macht, ist bunte Broschüren drucken. Andere Länder haben einen nationalen Diabetesplan." Die Hilfe für Familien müsse verstärkt, Schulen besser vorbereitet werden.
Typ-2-Diabetes lässt sich mit Abnehmen und Bewegung behandeln. Bei Typ-1-Diabetes ist "das Einzige, was wir machen können, Insulin geben", sagt Danne. "Was wir anbieten können, sind technische Lösungen."
Kürzlich haben Patienten erstmals eine künstliche Bauchspeicheldrüse zu Hause getestet. Das Gerät misst automatisch den Zucker im Gewebe und gibt die richtige Insulinmenge ab. Bis zur Marktreife wird es aber dauern - eine Hoffnung vielleicht für Kinder, bei denen jetzt Diabetes festgestellt wird. (dpa)