Immuntherapie bei Kindern mit Fragezeichen
Die Immuntherapie ist bei Erwachsenen mit Allergien längst etabliert. Anders sieht es bei Kindern aus. Das Problem: Es fehlen Studien und Evidenz.
Veröffentlicht:LONDON. Die Immuntherapie bei Allergien wurde schon vor 100 Jahren eingeführt. Dennoch sind noch immer nicht alle Fragen endgültig beantwortet, etwa zum besten Hyposensibilisierungsschema oder zum Langzeiteffekt.
Zwar gibt es Studien dazu auch bei Kindern. Jedoch fehle eine sichere wissenschaftliche Grundlage dafür, heißt es in einem EAACI*-Positionspapier, in dem es vor allem um Atemwegsallergien geht (Ped Allergy Immunol 2012; 23: 300).
Weil die allergische Rhinokonjunktivitis sich meist schon früh bei Kindern entwickelt und die Immunreaktionen in dieser Phase leichter beeinflussbar sind, bietet sich diese Entwicklungsphase für eine frühzeitige Intervention an, die den Verlauf der Allergie beeinflussen kann.
Derzeit ist die Hyposensibilisierung bekanntlich die einzige Maßnahme, mit der sich die Ausprägung einer allergischen Rhinitis anhaltend zumindest dämpfen lässt. In der Folge wird so auch die Entwicklung der allergischen Rhinitis zu Asthma - der Etagenwechsel - verhindert.
Manche Immunologen vermuten, dass der Langzeiteffekt der Hyposensibilisierung wegen des noch "jungen" Immunsystems bei Kindern sogar größer ist als bei Erwachsenen.
Wenige Analysen kontrolliert-randomisierter Studien
Unklar bleibt aber, ob sich die Ergebnisse der Immuntherapie bei Erwachsenen auch auf Kinder übertragen lassen. Für die Wirksamkeit der subkutanen Immuntherapie bei Erwachsenen gibt es genug wissenschaftliche Belege.
Bei Kindern ist dies nicht der Fall, nicht zuletzt aus ethischen Gründen im Zusammenhang mit randomisierten placebokontrollierten Doppelblindstudien. Deshalb plädiert die EAACI dafür, Studien mit niedrigerem Evidenzgrad bei Kindern nicht zu verwerfen.
Die Akademie erinnert daran, dass es zudem inzwischen mehrere Studien zur sublingualen Immuntherapie als Option bei Kindern mit saisonaler allergischer Rhinokonjunktivitis gibt. Wirksamkeit und Sicherheit der Therapie seien in den Studien belegt.
Nur wenige Daten mit ausreichendem Evidenzgrad gibt es schließlich auch zur subkutanen spezifischen Immuntherapie bei Kindern mit allergischem Asthma. So fehlen zum Beispiel Daten einer Metaanalyse randomisierter kontrollierter Studien, wie es für die Evidenzklasse Ia gefordert wird.
Die EAACI weist aber darauf hin, dass es einzelne Studien gibt, in denen durchaus eine moderate Wirksamkeit bei Kindern mit saisonalem oder ganzjährigem Asthma belegt wurde. Bei milbeninduziertem Asthma konnte zudem in einer Studie die Kortikosteroiddosis signifikant verringert werden.
Zur Anwendung der sublingualen Immuntherapie bei Kindern mit Allergien und Asthmasymptomen gibt es derzeit noch keinen Konsens. Auch fehlen noch klinische Studien zum Vergleich der Wirksamkeit der subkutanen und sublingualen Anwendung.
Ethische Probleme
Die EAACI listet in ihrem Konsensuspapier zur Immuntherapie bei Kindern mehrere Punkte auf, die noch nicht ausreichend geklärt sind. Dazu zählen die optimale Dosierung der Allergene und die Häufigkeit der Applikation.
Auch die Häufigkeit der unerwünschten Wirkungen der Hyposensibilisierungen sei besser zu dokumentieren. Zu prüfen sei zudem die Wirksamkeit und Sicherheit der Immuntherapie bei Kindern, die auf eine Pharmakotherapie nicht ansprechen.
Unklar seien schließlich die langfristige Wirksamkeit und die Sicherheit der Hyposensibilisierung. Auch die Frage, wie lange bereits Symptome bestehen müssen, bevor die Therapie beginnen kann, müsse noch geklärt werden.
Schließlich regt die Akademie die Entwicklung von Strategien an, mit denen sich die Adhärenz der Kinder verbessern lässt.
Derzeit enthält das pädiatrische Prüfkonzept (PIP, paediatric investigation plan) als Bestandteil von Prüfungsunterlagen für die EMA (European Medicine Agency) den Verweis auf die Notwendigkeit, bei Kindern Studien über fünf Jahre laufen zu lassen, und nicht kürzer, um damit den Evidenzgrad zu erhöhen.
Wie es in dem Konsensuspapier heißt, könnte dies allerdings einen nachteiligen Effekt haben. Zu prüfen sei daher, ob nicht doch "Raum für eine kürzere Studiendauer" ist.
"Wäre es ethisch vertretbar, Kindern den Nutzen einer spezifischen Immuntherapie vorzuenthalten, weil Studien in dieser Altersgruppe noch nicht den höchsten Evidenzgrad erreicht haben?", fragt die EAACI.
*EAACI = European Academy of Allergology and Clinical Immunology