Lebensstil

Ist Alkohol in Maßen wirklich gesund?

Die lebensverlängernde Wirkung, die moderatem Alkoholkonsum in Studien nachgesagt wird, könnte auf statistischen Unsauberkeiten beruhen.

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Ein, zwei Gläschen Wein am Abend - gut oder schlecht für das Herz?

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© Hemera / Thinkstock

LONDON. In einer britischen Studie keimte der Verdacht auf, dass die angeblich protektive Wirkung maßvollen Alkoholkonsums auf verwaschenen Kontrollgruppen und anderen Unzulänglichkeiten früherer Studiendesigns basieren könnte.

Die vielbeschriebene J-förmige Beziehung zwischen Alkoholkonsum und Gesamtmortalität besagt, dass Alkohol, in geringen Mengen genossen, eine gewisse Mortalitätsreduktion bieten kann.

Metaanalysen zufolge gilt dies für Männer im Arbeitnehmeralter, die maximal 33,7 Units/Woche trinken, sowie für Frauen mit höchstens 15,9 Units/Woche (1 Standard-Drink entspricht rund 2 UK-Units oder 16 g reinem Alkohol).

Über die optimalen Mengen bei Älteren ist wenig bekannt. In einer US-Studie starben 60- bis 75-Jährige später, wenn sie weniger als 3,5 Units pro Woche zu sich nahmen.

Ob die meist im mittleren Alter beobachtete Schutzfunktion tatsächlich für alle gilt, haben Craig Knott vom University College London und Kollegen nun genauer untersucht (BMJ 2015; 350: h384).

Die Autoren nutzten dazu populationsbasierte Daten von zehn Erhebungen des Health Survey for England aus den Jahren 1998 bis 2008 in Verbindung mit dem nationalen Sterberegister und berücksichtigten bei ihren Analysen zwei verschiedene Altersgruppen (50-64 Jahre und ab 65 Jahre) sowie unter anderem das Geschlecht der Probanden. Außerdem differenzierten sie zwischen "Niemals-Trinkern" und "Ex-Trinkern".

Die Probanden berichteten über ihren durchschnittlichen wöchentlichen Alkoholkonsum im vergangenen Jahr sowie über den Tag mit dem höchsten Alkoholkonsum der vergangenen Woche.

Vorteile von Alkohol schwinden

In der nicht adjustierten Analyse bestätigten sich zunächst die protektiven Effekte eines geringen Alkoholkonsums für Männer und Frauen aller Altersgruppen.

Nach Berücksichtigung des Alters und verschiedener anderer Individualfaktoren schwächte sich der Schutzeffekt allerdings deutlich ab und reduzierte sich weiter, wenn Ex-Trinker aus der Kontrollgruppe ausgeschlossen wurden.

Verglichen die Forscher die Daten mit denen von Probanden, die nie zuvor Alkohol getrunken hatten, waren nur noch Vorteile für die Gruppe der Männer zwischen 50 und 64 Jahren sowie für Frauen ab 65 Jahren erkennbar.

Signifikante Effekte zeigten sich letztlich nur bei jüngeren Männern mit einer durchschnittlichen wöchentlichen Trinkmenge von 15,1-20,0 Units oder 0,1-1,5 Units an ihrem alkoholträchtigsten Tag.

Bei ihnen lag das Mortalitätsrisiko um 51 bzw. 57 Prozent niedriger als in der Gruppe der Nie-Trinkern. Keine schützende Wirkung hatte der Alkohol dagegen bei älteren Männern und jüngeren Frauen, egal wie viel oder wenig sie tranken.

Möglicherweise uneinheitliche Kontrollgruppen

Bei den älteren Frauen war der Schutz breiter als bei den jungen Männern und reichte bis maximal 10,0 Units Alkohol pro Woche und blieb nach Berücksichtigung aller Kofaktoren und nach Ausschluss früherer Trinkerinnen aus der Kontrollgruppe erhalten.

Die größte Wirkung erzielten diejenigen, die an ihren promilleträchtigsten Tagen zwischen 3,1-4,5 Units tranken. Ihr Sterberisiko reduzierte sich um 24-42 Prozent. Die älteren Damen profitierten auch dann noch, wenn sie nur maximal zweimal im Monat Alkohol tranken.

Dass ihre Analyse die Schutzeffekte des Alkohols nur für einzelne Gruppen bestätigen kann, führen die Forscher zum Teil auf möglicherweise uneinheitliche Kontrollgruppen früherer Studien zurück, in denen Ex-Trinker zur Kontrollgruppe der Nicht-Trinker gerechnet wurden, oft aber eine deutlich schlechtere Gesundheit aufwiesen.

Auch die unzureichende Berücksichtigung anderer Kofaktoren, wie etwa des Alters, könnten eine Rolle spielen, meinen die Autoren. (St)

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 20.02.201508:04 Uhr

"Moderater Alkoholkonsum" muss "lebensbegleitend" in allen Altersklassen untersucht werden

Die Publikation von Craig S. Knott mit dem Titel: "Research - All cause mortality and the case for age specific alcohol consumption guidelines: pooled analyses of up to 10 population based cohorts" BMJ 2015; 350 doi: http://dx.doi.org/10.1136/bmj.h384 (Published 10 February 2015) Cite this as: BMJ 2015;350:h384 kann ihre Überheblichkeit gar nicht einlösen.

Denn keinesfalls ergeben sich "Leitlinien für den altersspezifischen Alkoholkonsum". Leitlinien machen nur für a l l e unterschiedlichen Altersgruppen Sinn. Die Zielsetzung, den ...Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Mortalität in verschiedenen Altersgruppen zu erforschen ["Objectives - To examine the suitability of age specific limits for alcohol consumption and to explore the association between alcohol consumption and mortality in different age groups"], gibt das gar nicht her.

Bereits im Studiendesign wird deutlich, dass es nur um Altersgruppen von 50-64 und ab 65 Jahren bei einem retrospektiven, mindestens 7 bis maximal 17 Jahre alten ''Health Survey for England'' ging ["Design - Population based data from Health Survey for England 1998-2008, linked to national mortality registration data and pooled for analysis using proportional hazards regression. Analyses were stratified by sex and age group (50-64 and =65 years)"].

Bei den Schlussfolgerungen ["Conclusions"] ging es dann auch eher um eine unangemessene Auswahl der Referenz-Gruppe und um ungenaue Berücksichtigung möglicher Störfaktoren ["may in part be attributable to inappropriate selection of a referent group and weak adjustment for confounders"], als um die im Titel angedeuteten Erkenntnisfortschritte.

Die Forscher haben nämlich schlicht und ergreifend "vergessen", was die untersuchte Population v o r und n a c h Erreichen ihrer Altersgruppe so Alles an Alkoholika verkonsumiert hat.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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