Cannabis nach Op

Keine Wirkung, aber Halluzinationen

Cannabispräparate taugen offenbar nicht, um postoperative Schmerzen zu lindern. Von sieben Untersuchungen ergab nur eine Studie Vorteile für ein Cannabinoid, fünf deuteten auf eine Placebowirkung, eine fand nur Nachteile.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Cannabis: keine signifikanten Vorteile in der Schmerzlinderung.

Cannabis: keine signifikanten Vorteile in der Schmerzlinderung.

© Opra / Fotolia.com

MELBOURNE. Medizinische Cannabispräparate erfreuen sich einer ungebremsten Beliebtheit. Für einige Indikationen liegen durchaus brauchbare Studiendaten vor. So sieht die US-Neurologengesellschaft AAN eine recht gute Evidenz für die Wirksamkeit gegen zentrale und spastikbedingte Schmerzen. Bei vielen anderen Indikationen ist der Nutzen jedoch umstritten, so auch bei akuten Schmerzen.

Ärzte um Dr. Alexander Stevens vom St Vincent's Hospital in Melbourne haben daher gezielt nach qualitativ hochwertigen Studien gefahndet, in denen Cannabispräparate vor oder nach medizinischen Eingriffen zur Analgesie geprüft wurden. Insgesamt war das Resultat recht mager. Von über 300 Cannabisstudien fanden sie nur sieben, in denen Cannabinoide nach allen Regeln der Kunst – also verblindet und placebokontrolliert – gegen postoperative Schmerzen getestet worden sind (Acta Anaesthesiol Scand 2017, online 16. Januar). Darunter befanden sich Untersuchungen bei Patienten mit orthopädischen, gynäkologischen und urologischen Operationen sowie zwei Studien zur Zahnextraktion. In der Regel konnten die Patienten dabei auf höherpotente Analgetika zurückgreifen, wenn keine ausreichende Schmerzlinderung erzielt wurde.

Bei drei Studien bekamen die Patienten schon vor dem Eingriff das Medikament, in den übrigen meist unmittelbar danach, in einer erst am zweiten postoperativen Tag, sofern noch ein Analgetikabedarf bestand. Alle Studien führten einen Placeboarm, vier prüften das Cannabinoid zusätzlich gegen ein etabliertes Analgetikum, etwa Naproxen, Ibuprofen oder Ketoprofen. Zu den verwendeten Cannabinoiden zählten Nabilon, Levonantradol, THC und Dronabinol.

Die Forscher um Stevens attestierten drei Studien ein geringes Risiko für Verzerrungen, bei den übrigen vier ließ sich diese Gefahr mangels Angaben nicht gut ermitteln. An den sieben Studien hatten zusammen 611 Patienten teilgenommen.

Halluzinationen und Agitation

Wie sich zeigte, gab es in fünf der Studien bei der Schmerzlinderung keine signifikanten Vorteile gegenüber Placebo. Sowohl Schmerzwahrnehmung, Opioidbedarf als auch die Zeit bis zum Wechsel auf höherpotente Analgetika unterschieden sich nicht signifikant, jedoch traten unter dem Cannabinoid häufiger Nebenwirkungen wie Sedierung, Agitation und auch Halluzinationen auf. Lediglich in einer Untersuchung aus dem Jahr 1981 bei Patienten mit Traumata erwies sich Levonantradol dem Scheinmedikament als überlegen. In einer Studie schnitt Nabilon bei den Schmerzscores signifikant schlechter als Placebo ab.

Nach Auffassung von Stevens und Mitarbeitern legt die bisherige Evidenz damit nahe, dass Cannabinoide bei akuten Schmerzen wenig nützen.

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Kommentare
Siegfried Hauswirth 06.03.201713:55 Uhr

Herr Juresch, wenn bezeichnen Sie hier als Scharlatane ?

Ob eine Pflanze als Ganzes besser wirkt als der Wirkstoff selbst - in irgendeiner Form extrahiert und in Tabletten- oder Tropfenform verabreicht, mag im Einzelfall ja zutreffen. Dies aber pauschal zu behaupten und auf die Pharmaindustrie einzudreschen, entbehrt jeder Grundlage, wird aber gerne von sogenannten "naturheilkundlich" orientierten Heilpraktikern gemacht. Was allein zählt, ist die nachgewiesene Wirksamkeit - und die kann man nur mit aufwändigen wissenschaftlichen Tests nachweisen. Dieser Nachweis muss durch die ach so böse und korrupte Pharmaindustrie erbracht werden, die ja im Gegensatz zu anderen Branchen nur Geld verdienen will. Herr Jurisch, Scharlatane sind die, die nachweislich unwirksame Medikamente und Verfahren mit Heilversprechen belegen und damit Geld verdienen. Die Homöopathiebranche setzt so mit Zucker ohne Wirkstoff mehr als 1 Mrd. Euro jährlich um ! Zur Info: Ich habe keine Aktien in der Pharmabranche, ich bin nur ein einfacher Patient mit langjährigen Erfahrungen mit Ärzten, Heilpraktikern und Naturheilkundlern !

Steffen Jurisch 06.02.201707:08 Uhr

Wenn Scharlatane meinen...

es besser zu können als die Natur, um damit Profite machen zu können, dann kommt regelmäßig unnützes Zeug mit einem Haufen Nebenwirkungen heraus. Wann legt man den Pharmakonzernen endlich mal das Handwerk? Ach ja, dazu bräuchten wir ja Politiker die noch keine Ektomie des Testes haben...
Cannabis als Pflöanze wurde bereits vor Christus im alten China als Medizin beschrieben und verschrieben - nun soll es keine Wirkung mehr haben? Lächerlich!
Es wird wie immer sein, die Pföanze als solches zeigt Wirkung in jeglichen Tests, z.B. auch Kurkuma im Ganzen, nicht aber das Curcumin extrahiert - aber die Pflanze kann man nicht patentieren lassen...
Wann hören wir auf mit dem Blödsinn???

Thomas Georg Schätzler 06.02.201707:04 Uhr

Cannabis allenfalls palliativ- und schmerzmedizinische Handlungsoption

Tetrahydrocannabinol (THC) als Dronabinol (ATC A04AD10) wirkt antiemetisch, appetitstimulierend, schmerzlindernd, entzündungshemmend, muskelentspannend, dämpfend und psychotrop zugleich. Es ist ergänzend als Heil- und Linderungsversuch bei chronischen Schmerzen bzw. konsumierenden Erkrankungen zulässig, wenn mögliche evidenzbasierte Alternativen unwirksam oder nicht mehr ausreichend waren.

Es wirkt außerdem zentral sympathomimetisch. Die Wirkung setzt in ca. 60 Minuten ein. Psychotrope Effekte halten 4-6 Stunden, die Appetitstimulation bis zu 24 Stunden an. Bisher konnte ein Betäubungsmittelrezept (BTM) als Rezepturarzneimittel folgendermaßen ausgestellt werden:

BTM-Rezeptur für Dronabinoltropfen in Neutralöl 2,5 %:
Dronabinol 0,25 g
Neutralöl ad 10,00 g NRF 11,4 (Oleum neutrale Miglyol 812)

Dosierung einschleichend beginnend mit 2 x 3 Tropfen (2 x 2,5 mg) tgl.

Zur Beachtung: In der GKV immer noch n i c h t erstattungsfähig, weil Ausführungsvorschriften fehlen. Ausschließlich sehr teuer privat verordnungsfähig. Dosierung gemäß schriftlicher Gebrauchsanweisung.
Die höchstmögliche Verschreibungsmenge beträgt 500 mg Dronabinol pro Monat.
Hersteller von Dronabinol: Bionorica Ethics und THC Pharm.

In der postoperativen Schmerztherapie macht Cannabis wegen der schlechten Steuerbarkeit keinen Sinn. Wie bei allen Medikamenten kommt es auf Qualität, Standardisierung, exakte Dosierung und Galenik an. Cannabis-Blüten, womöglich noch aus dem Eigenanbau selbst geerntet, schwanken in ihrem Wirkstoffgehalt erheblich.

Damit wird ausschließlich auf medizinisch-schmerztherapeutische Effekte fokussiert. Denn es geht nicht um Permissivität oder Förderung von Drogenkarrieren ("legalize it"?), sondern um die Erweiterung palliativ- und schmerzmedizinischer Handlungsoptionen.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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