Patienten im Mittelpunkt
Krebsforschung: EU fordert mehr Patientenbeteiligung ein
Mission Patient: Unter deutscher Ratspräsidentschaft angestoßene, nun konsentierte „Prinzipien für eine erfolgreiche Patientenbeteiligung in der Krebsforschung“ sollen EU-weit den Weg zu einem patientenzentrierten Ansatz onkologischer Forschung ebnen.
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Bei der Krebsforschung sollen Patienten laut EU eine zentrale Rolle einnehmen.
© Rupert Oberhäuser/picture alliance/dpa
Berlin/Brüssel. Bereits mit dem von der EU-Kommission Anfang Februar verabschiedeten EU-Krebsplan hat sich Brüssel auf die Fahne geschrieben, Ungleichheiten entlang des Krankheitspfades onkologischer Patienten von der Prävention über Diagnostik und Therapien bis hin zur Förderung der Lebensqualität von Krebskranken und -überlebenden möglichst zu egalisieren – und zwar auf einem möglichst hohen Versorgungsniveau in allen 27 EU-Mitgliedstaaten.
Der nächsten großen Versorgungsbaustelle nahm sich die deutsche Ratspräsidentschaft im vergangenen Jahr an. Im Rahmen der Triopräsidentschaft mit Slowenien und Portugal hat Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) mit der der Berliner Deklaration „Europe: Unite against Cancer“ die Hebel in Bewegung gesetzt, um das Signal in der EU und die Weichen in Richtung einer patientenzentrierten Krebsforschung zu stellen, die in Europa langfristig zum Standard werden und sich noch enger an den Bedürfnissen der betroffenen Patienten ausrichten solle. Als Vehikel dienen die inzwischen konsentierten „Prinzipien für eine erfolgreiche Patientenbeteiligung in der Krebsforschung“ (Principles of Successful Patient Involvement in Cancer Research), die Karliczek im September in Berlin vorgestellt hat.
In einem mehrstufigen Verfahren haben Patientenorganisationen, Forschende, in medizinischen und pflegerischen Berufen Tätige, Vertreter aus der Industrie und aus Förderorganisation sowie weitere Beteiligte aus ganz Europa die neuen Grundprinzipien formuliert, wie es aus dem Bundesforschungsministerium heißt.
Das Ungefähre als Königsdisziplin
Wer indes in dem 14-seitigen Prinzipien-Papier konkrete und vor allem messbare Handlungsempfehlungen für das patientenzentrierte, onkologische Forschen sucht, der wird enttäuscht werden. Die Ausführungen zu den notwendigen nationalen Strategien, zum – auch kommunikativen – Umgang mit den Patienten, Methoden und Ansätzen, aber auch rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten bleiben oft im Ungefähren.
Klar und deutlich ist indes in dem Dokument der Appell an alle Forschungsbeteiligten zu vernehmen, eventuell beim bisherigen Habitus einen Paradigmenwechsel einzuleiten. „Ein Hauptziel der Krebsforschung ist es, das Leben der Betroffenen zu verbessern. Daher müssen ihre Stimmen gehört werden. Ohne sie bleibt das Bild unvollständig. Die Einbindung von Patienten, Pflegenden oder Patientenvertretern macht die Krebsforschung – und letztlich auch Therapieentscheidungen oder die klinische Praxis – sinnvoller, relevanter und wertvoller, indem sie auf die tatsächlichen Bedürfnisse und Anforderungen der Zielgruppe ausgerichtet wird. Patienten sind ‚Experten aus eigener Erfahrung‘. Sie wissen, was es bedeutet, mit einer bestimmten Bedingung zu leben. Sie bringen vielfältige und neue Sichtweisen, Fragen und Lösungen zur weiteren Diskussion auf den Tisch und können so die Forschungsqualität verbessern. Die Patientenbeteiligung ist auch ein Mittel, um den gesellschaftlichen Erwartungen in Bezug auf Transparenz und Rechenschaftspflicht der häufig öffentlich finanzierten Forschung Rechnung zu tragen“, steht es in den Prinzipien geschrieben.
Klar verbunden mit der Patientenzentrierung ist EU-seitig die Hoffnung, dass die Patientenbeteiligung die öffentliche Unterstützung von Forschungsprogrammen und -projekten stärken, die Akzeptanz von Forschungsergebnissen erhöhen und ihren Transfer in Prävention, klinische Praxis und Gesundheitsversorgung verbessern solle. Sie könne auch eine gerechtere Verteilung und den Zugang zu Forschungsergebnissen unterstützen.
Plädoyer für Real World Data
Ohne den bis 2025 zu errichtenden Europäischen Gesundheitsdatenraum (European Health Data Space/EHDS) oder die Notwendigkeit der Nutzung von Real World Data (RWD) aus dem Versorgungsalltag zum Beispiel für essenzielle Fortschritte in der Präzisionsonkologie beim Namen zu nennen, wird eine solche Strahlkraft unterstellt: „Für Krebspatienten und ihre Betreuer hat das Engagement eine immense stärkende Wirkung und trägt zu ihrer Autonomie bei. Auf politischer Ebene unterstützt die Patientenbeteiligung die Förderung von Open Science und Data Sharing und trägt damit zur bestmöglichen Nutzung der erhobenen Daten bei.“
Um das volle Potenzial der Patienten- oder Öffentlichkeitsbeteiligung auszuschöpfen, sei es von grundlegender Bedeutung, dass sich nicht nur Forscher, Patienten und die Öffentlichkeit, sondern auch Mitglieder von Wissenschafts- und Gesundheitssystemen, Politik und Geldgeber an den Bemühungen beteiligten. Nur wenn alle Ebenen zusammenarbeiteten, könnten sie die notwendigen Ressourcen, Zeit und Mühe aufwenden, lautet die Conclusio.
Dass auf dem Weg zur Realisierung der konsentierten patientenzentrierten Krebsforschung noch dicke Bretter zu bohren sein werden, daraus macht die deutsch-slowenisch-portugiesische Triopräsidentschaft keinen Hehl. „Es erfordert auch ein Überdenken bestehender Hierarchien und Mechanismen in der traditionellen Gesundheitswissenschaft und damit ein Umdenken von Wissenschaftlern, Patienten und anderen Akteuren aus dem Gesundheitswesen, den Trägern und der Politik. Angesichts der aktuellen Philosophie und des Belohnungssystems in der Forschung könnte dies sogar einen Wandel der Forschungskultur insgesamt erfordern“, heißt es in den Prinzipien.