Online-Kongress
Kritik an organbezogener Überdiagnostik bei Schmerzen
Je länger Schmerzen anhalten, desto mehr werden emotionale Faktoren relevant. „Psyche und Schmerz“ ist daher ein Fokusthema beim diesjährigen Schmerz- und Palliativtag der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS). Das Interesse am Online-Kongress ist so groß wie nie zuvor.
Veröffentlicht:Berlin. Der Deutsche Schmerz- und Palliativtag der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS) hat sich zur größten Fortbildungsveranstaltung zum Thema chronischer Schmerz entwickelt: Bereits zu Beginn des fünftägigen Online-Kongresses am Dienstag hatten sich nach Angaben von DGS-Präsident Dr. Johannes Horlemann mehr als 3500 Teilnehmer angemeldet.
„Wir müssen irgendetwas richtig gemacht haben“, sagte Horlemann bei der Auftakt-Pressekonferenz. Das sei offenbar die Praxisnähe der Themen und deren Relevanz für den Versorgungsalltag, so der Allgemein- und Schmerzmediziner aus Kevelaer.
Das Interesse gibt den Forderungen der Fachgesellschaft ebenfalls mehr Gewicht. An erster Stelle steht dabei die rechtssichere Bedarfsplanung der schmerzmedizinischen Versorgung in Deutschland. „Es geht darum, dass Handlungssicherheit entsteht bei denjenigen, die die Patienten versorgen und dass die Patienten Sicherheit erfahren bei denjenigen, die sie versorgen“, erklärte Horlemann.
„Jeder Schmerz wird biologisch bewertet“
Zu den Forderungen der DGS gehört weiterhin, neben wissenschaftlicher Evidenz, auch Evidenz aus der realen Versorgungswelt mit Patientenwertungen und Erfahrungen der Therapeuten in der Praxis anzuerkennen. Dies hatte die DGS bereits vor zwei Jahren in ihrem Kernpunktepapier „Individualisierung statt Standardisierung“ fixiert und wird seitdem mit Bezug auf Schwerpunktthemen beim jährlichen Schmerztag konkretisiert.
Fokusthema in diesem Jahr ist „Psyche und Schmerz“. Mehr als bislang müsse die psychische und soziale Ebene bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Schmerzen berücksichtigt werden, sagte DGS-Vizepräsidentin Dr. Silvia Maurer aus Bad Bergzabern. „Jeder Schmerz, den wir erleiden, wird biografisch bewertet.“ Je länger Schmerz bestehe und je mehr er chronifiziere, desto mehr nehme die Bedeutung biopsychosozialer Faktoren zu. Die Schmerzverarbeitung vollziehe sich dann zunehmend in den emotionsverarbeitenden Regionen des Gehirns. Deswegen sei bereits in der Diagnostik die Erfassung aller Facetten von Schmerz erforderlich.
Maurer kritisierte die organbezogene Überdiagnostik, vor allem mit bildgebenden Methoden, gefolgt von teils chirurgischer Übertherapie, etwa bei Rückenschmerzen, oft ohne maßgeblichen Erfolg. Vielmehr sei es wichtig, Komorbiditäten, soziales Umfeld und Lebenshintergrund zu beleuchten.
Die DGS stellt dafür Instrumente wie Fragebögen zur Verfügung. In diesem Jahr kooperiert die DGS beim Schmerz- und Palliativtag mit der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) beim gemeinsamen Curriculum „Ärztliche Psychotherapie“. Der Kongress läuft noch bis Samstag.
Weitere Informationen zum Schmerz- und Palliativtag unter www.dgschmerzmedizin.de/kongresse/deutscher-schmerz-und-palliativtag