Lichtblicke bei bisher unheilbaren Augenkrankheiten
Drei erblindete Patienten haben durch einen Netzhautchip grundlegende Sehleistungen zurückerlangt. Eine europaweite Fortsetzung der Pilotstudie hat begonnen.
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Der Netzhautchip mit Leitung.
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TÜBINGEN. Ein Teilnehmer der Pilotstudie war nach der Op fähig, 16 verschiedene Buchstaben sowie geometrische Formen zu erkennen, die Uhr abzulesen, Wörter zu entziffern und Gegenstände zu identifizieren. Diese aufsehenerregenden Erfolge haben Forscher um Professor Eberhart Zrenner von der Uni-Augenklinik Tübingen vorgestellt (wie berichtet). Den Mikrochip hatten sie den Patienten, die durch erbliche degenerative Augenerkrankungen seit mehreren Jahren blind waren, an der Makula unter die Netzhaut gepflanzt.
Der Eingriff erfolgt unter Vollnarkose und dauert vier bis sechs Stunden, wie Zrenner der "Ärzte Zeitung" mitteilte. Komplikationen hätten sich keine ergeben, Problem könne allerdings eine vernarbte oder schlecht durchblutete Netzhaut sein, so dass die Sehkraft - wie bei zwei Patienten geschehen - hinter den Erwartungen zurückbleibt. "Und zwei Mal fiel ganz am Anfang der Chip aus", berichtete Zrenner.

Miikka aus Finnland las seinen Namen - und beschwerte sich über die Schreibfehler.
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Die mit 1500 Photodioden bestückte stecknadelkopfgroße Polyimidfolie ersetzt die zugrunde gegangenen Photorezeptoren, indem sie auf Lichteinfall wie eine Mini-Solarzelle reagiert: Entsprechend der Intensität des optischen Signals erzeugt sie elektrische Ströme, die verstärkt und über den intakt geblieben Sehnerv ans Sehzentrum im Gehirn geleitet werden. An einem Band um den Hals tragen die Patienten ein Kästchen, mit dem sie per Drehknopf die Spannung an die Helligkeit - wie Mittags- oder Dämmerlicht - anpassen können.
Die aktuellen Resultate sind nur der Anfang: Im Mai dieses Jahres ist eine multizentrische Hauptstudie mit insgesamt 20 bis 35 Teilnehmern gestartet. In einer ersten Phase werden in Tübingen Patienten operiert, dann auch in anderen europäischen Ländern. So plant Professor Robert MacLaren von der University of Oxford für 2011 die erste Implantation in Großbritannien. Ein wichtiger Unterschied zur Pilotstudie: Der Mikrochip ist nicht mehr an ein Kabel angeschlossen, das den Körper verlässt, erläuterte Zrenner. Sondern die Stromversorgung wird durch zwei magnetisch fixierte Spulen hinterm Ohr gewährleistet: unter der Haut die eine, auf der Haut die andere, die dann über ein Drähtchen zur Batterie in der Hosentasche führt.
Diese technische Neuerung erlaube es den Patienten, das Implantat dauerhaft und überall zu nutzen. "Damit sind sie in der Lage, im Restaurant Messer, Gabel oder Bierglas zu finden", so Zrenner. Zudem lernen sie, Seheindrücke zu erkennen, wie die Mimik ihrer Gesprächspartner: ein Lächeln zum Beispiel am Blitzen der weißen Zähne.
Obwohl der Mikrochip auch Patienten mit Makuladegeneration einen Hoffnungsschimmer bieten könnte, schließt Zrenner diese Indikation vorerst aus: In Frage kommt für den Eingriff derzeit nur, wer vollständig blind ist. So sind alle Patienten der Studien durch Retinitis pigmentosa (RP) erblindet. Diese Bezeichnung umfasst Genmutationen, die begleitet von Pigmentablagerungen einen Untergang der Photorezeptoren bewirken. Ungefähr jeder 80. Mensch trägt eine solche Anlage: etwa im Gen fürs Eiweiß RPE65, das am Vitamin-A-Stoffwechsel beteiligt ist, oder für REP-1, das die RP-Unterform der Chorioideremie auslöst.
Weltweit sind rund drei Millionen Menschen - in Deutschland knapp 40 000 - an RP erkrankt. Die Symptome beginnen meist in der Jugend mit Nachtblindheit und Gesichtsfeldausfällen. Dann verschlechtern sich Kontrast- und Farbsehen, später auch die Sehschärfe schleichend oder schubweise über Jahre. Bis heute gibt es keine Therapie, diesen Prozess auch nur zu verlangsamen.