Darmkrebsmonat März
"Männer müssen früher zur Vorsorge"
Männer haben ein höheres Darmkrebs-Risiko - sie sollten also auch früher Zugang zur Darmkrebsvorsorge haben, fordert Professor Jürgen F. Riemann im Interview mit der "Ärzte Zeitung". Politiker reagieren darauf bisher allerdings nur halbherzig.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Die Königsdisziplin der Darmkrebsvorsorge ist nach wie vor die Koloskopie. In zahlreichen Publikationen konnte ihr Nutzen inzwischen belegt werden. Das muss Ihnen als dem Vorsitzenden der Stiftung LebensBlicke, der sich seit über zehn Jahren für die Vorsorgekoloskopie starkmacht, doch Genugtuung sein ?
Professor Jürgen F. Riemann
Ehemaliger Direktor der Medizinischen Klinik C am Klinikum Ludwigshafen.
Vorsitzender der Stiftung LebensBlicke, die sich den Kampf gegen Darmkrebs auf ihre Fahnen geschrieben hat.
Der Gastroenterologe hat die Stiftung 1998 gegründet.
Professor Jürgen F. Riemann: Auch im letzten Jahr sind wieder zahlreiche Publikationen erschienen, die noch einmal die großen Erfolge der Darmkrebsvorsorge und -früherkennung unterstreichen, so vor allem aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) aus der Arbeitsgruppe des Klinischen Krebsepidemiologen Professor Dr. Hermann Brenner.
Er hat zum einen noch einmal sehr deutlich formuliert, dass die Risikoreduktion nach unauffälliger erster Koloskopie nach zehn Jahren bei 90 Prozent und auch für das rechte Kolon bei 80 Prozent liegt.
Selbst bei der Indikationskoloskopie konnte eine Risikoreduktion von bis zu 80 Prozent erreicht werden.
Brenner schätzt darüber hinaus, dass in den zehn Jahren seit Einführung der Screening-Koloskopie etwa 180.000 Darmkrebserkrankungen verhindert werden konnten. Das ist tatsächlich ein Erfolg, auf den wir stolz sein können.
Dennoch: Der präventive Effekt könnte noch weit größer sein, wenn nur die Akzeptanz des Screenings größer wäre. Nur jeder Fünfte der Berechtigten nimmt die Koloskopie tatsächlich in Anspruch. Der Großteil der Bevölkerung lässt sich trotz intensiver Aufklärungsbemühungen nicht dafür gewinnen…
Riemann: Sie sprechen ein heißes Eisen an. Die Teilnahmerate vor allem an der Screening-Koloskopie ist eher rückläufig.
Ich rechne aber damit, dass nach Einführung des bundesweiten Einladungsverfahrens, bei dem jeder Anspruchsberechtigte aufgefordert wird, zumindest ein Beratungsgespräch in Anspruch zu nehmen, sich diese Zahlen deutlich verbessern werden.
Wir erreichen derzeit vor allem Menschen aus unteren sozialen Schichten leider eher schlecht. Ein weiterer Schritt ist die Verbesserung der betrieblichen Darmkrebsvorsorge.
Da das betriebliche Gesundheitsmanagement eine Säule des neuen Präventionsgesetzes sein wird, ist auch hier mit einer deutlichen Verbesserung der Inanspruchnahme zu rechnen.
Modellprojekte wie z. B. im Saarland zeigen klar, dass mit einem Einladungsverfahren mehr Menschen erreicht werden können. Wir warten daher sehnlichst auf die flächendeckende Einführung.
Mit dem Brustkrebs-Screening sind ja schon logistische Vorgaben gemacht worden, an denen sich das Darmkrebs-Screening orientieren könnte.
Koloskopie ist zwar der Goldstandard, aber nicht die einzige Möglichkeit der Darmkrebsvorsorge. Offensichtlich wünschen viele weniger invasive Früherkennungsmethoden...
Riemann: Ich persönlich glaube, dass in der Tat mehr Menschen nur durch ein Mehrangebot unterschiedlicher Maßnahmen erreicht werden können: von niederschwelligen Tests wie zum Beispiel den immunologischen Tests über (in Zukunft mögliche) Stuhl- und blutbasierte DNA-Tests bis hin zur Koloskopie.
Die Screening-Koloskopie ist ja auch keineswegs für alle notwendig. Nur sechs Prozent der Menschen entwickeln ein Kolonkarzinom im Laufe ihres Lebens; bei 20 bis 25 Prozent findet man Adenome. Aber etwa 75 Prozent der Menschen haben keinen Befund.
Solche Menschen würde man einer unnötigen Spiegelung trotz sehr geringer, aber doch möglicher Komplikationen aussetzen.
Deshalb habe ich ja schon immer die Filterstrategie verfolgt: Filter müssen so gut sein, dass sie fortgeschrittene Adenome und Karzinome mit einer hohen Spezifität und Sensitivität entdecken. Man muss wissen, dass auch die Koloskopie keine 100-prozentige Sicherheit bringt.
Im letzten Jahr hatten Sie im Interview mit der "Ärzte Zeitung" zum Thema Darmkrebsvorsorge gefordert, dass den Versicherten der im Vergleich zum herkömmlichen Stuhlbluttest bessere immunologische Stuhltest nicht länger vorenthalten werden dürfte. Was wurde hier inzwischen erreicht?
Riemann: Das Jahr 2014 war geprägt von vielen Strategiesitzungen, zuletzt in der Steuerungsgruppe des Nationalen Krebsplans.
Leider malen die gesetzlichen Mühlen langsam. Die Verantwortlichen im Gemeinsamen Bundesausschuss versichern zwar, dass die konzeptionellen Arbeiten zur Umsetzung des Krebsfrüherkennungs- und -registergesetzes(KFRG) 2016 abgeschlossen sein werden.
Ich persönlich glaube aber erst daran, wenn tatsächlich grünes Licht vom GBA gegeben worden ist. Traurig bleibt das Hickhack um die Einführung des i-FOBT.
Trotz der von der Stiftung LebensBlicke in Zusammenarbeit mit der DKG, den Kassen und der KBV erarbeiteten Qualitätsanforderungen an die immunologischen Tests ist bisher noch nicht zu erkennen, wann der Bewertungsausschuss seine Entscheidung trifft.
Bei einem Gespräch mit der KBV haben wir noch einmal deutlich gemacht, dass den Versicherten nicht länger zuzumuten sei, auf diesen deutlich besseren Test gegenüber dem herkömmlichen zu verzichten.
Ich glaube, dass der öffentliche Druck weiter erhöht werden muss, um mehr zu erreichen.
Um die Vorsorgeerfolge zu optimieren, hat die Stiftung LebensBlicke gezielt spezielle Risikogruppen ins Visier genommen: Männer, Menschen mit familiärem Risiko oder mit entzündlichen Darmerkrankungen. Sehen Sie mit dieser gezielten Ansprache schon Erfolge?
Riemann: Die risikoadaptierte Früherkennung bleibt nach wie vor ein Sorgenkind. Zwar gelten inzwischen für Menschen mit familiärem und genetischem Risiko besondere Empfehlungen, die in den S3-Leitlinien festgelegt sind.
Beim genetischen Risiko funktioniert das, beim familiären noch nicht richtig.
Hier müssen alle Krankenkassen an einem Strang ziehen und dafür Sorge tragen, dass erstens Menschen mit familiärem Risiko erfasst (zum Beispiel durch einfache Fragebögen) und zweitens, wenn positiv, diese auch spätestens mit 40 bis 45 Jahren einer Indexkoloskopie zugeführt werden sollten.
Bei dieser besonderen Gruppe sollten andere Verfahren gar nicht erst angewandt werden.
Zu den Männern: Auch hier hat sich leider noch nicht viel getan. Immerhin ist die Erkenntnis gewachsen - auch bei Kostenträgern und bei Gesundheitspolitikern -, dass Männer ein höheres Risiko haben.
Ich bleibe daher unverändert bei der Forderung der Stiftung LebensBlicke, dass Männern mindestens fünf Jahre früher als Frauen Zugang zu Darmkrebsvorsorge und Früherkennungsmaßnahmen möglich gemacht werden sollten.
Eine große Studie aus Großbritannien mit über 35 000 per Stuhlbluttest gescreenten Männern und Frauen hat ergeben, dass nach positivem Stuhlbluttest mehr als jeder Dritte die Koloskopie nicht wahrgenommen hat . Welche Gründe sehen Sie für dieses Vermeidungsverhalten und wie könnte man dies ändern?
Riemann: Das ist ja das alte, aber offensichtlich nach wie vor aktuelle Problem, das wir seit Jahrzehnten kennen und das sich bereits in unserer ersten betrieblichen Darmkrebsvorsorge-Studie mit der BASF gezeigt hat. Ein positiver Stuhlbluttest ist ja kein Krebstest.
Das bedeutet, dass zum einen die Menschen sich zunächst einmal lieber kontrollieren lassen und wenn der Test dann negativ ist, keine weiteren Konsequenzen ziehen.
Viel entscheidender ist aber, dass sich manchmal auch Ärzte so verhalten und damit die Betroffenen in eine falsche Richtung führen.
Hinzu kommt, dass ein positiver Stuhltest möglicherweise auch Ängste erzeugt, die nicht hinreichend berücksichtigt worden sind. Die Ausgabe von Stuhltesten sollte, egal wo sie erfolgt, mit einem Aufklärungsgespräch einhergehen.
Vor allem sollten sie mit dem Hinweis verbunden sein, dass ein positiver Test - wie schon eingangs erwähnt - zwar kein Krebstest ist, aber in den allermeisten Fällen entweder Krebse in einem frühen, heilbaren Stadium und viel mehr noch nicht bösartige Vorstufen anzeigen kann.
Darmkrebsvorsorge ist nicht nur Primärprävention. Die Stiftung LebensBlicke hat im letzten Jahr eine Initiative aus Krebsforschern, Onkologen und Präventionsmedizinern in Deutschland zur Tertiärprävention bei Darmkrebs angestoßen. Was will sie erreichen?
Riemann: Es ist ein offenes Geheimnis, rechnet man alles zusammen, dass circa 50 Prozent der Menschen im anspruchsberechtigten Alter bei uns schon einmal eine Darmkrebsfrüherkennung in Anspruch genommen haben.
Für die andere Hälfte gilt aber, dass Menschen nach wie vor an Darmkrebs erkranken. Für die Stadien I bis II ist die Chance auf Heilung gut. Aber auch für diese Menschen gilt, dass Nachsorgeempfehlungen vorhanden sind und eingehalten werden sollten.
Diese Nachsorgeempfehlungen, und das ist Tertiärprävention zur Vermeidung von Rezidiven, sind klar definiert und sollten propagiert werden.
Das Leben nach Krebs hat viele Menschen nach der einschneidenden Krebsdiagnose verändert und macht sie eher zugänglich für Empfehlungen wie Ernährung, Bewegung, gegebenenfalls psychoonkologische Betreuung, überhaupt aber für Initiativen, die positive Botschaften vermitteln.
Die Deutsche Krebsgesellschaft hat inzwischen einen Cancer Survivor Day ausgerufen. Er soll deutlich machen, dass der Mensch auch nach einer Krebsbehandlung oder unter einer Krebsbehandlung weiterer Betreuung und Hilfe bedarf.
Die Stiftung LebensBlicke versteht sich daher in Zukunft als mehrdimensional: Von der Primär- über die Sekundär- bis hin zur Tertiärprävention.
Wo sehen Sie Defizite für die Versorgung von Menschen nach überstandener Krebserkrankung ?
Riemann: Sie bestehen vor allem darin, dass sich viele Menschen nach einer Krebsbehandlung, vor allem nach einer Operation, alleine gelassen fühlen. Es fehlt ihnen vermeintlich ein richtiger Ansprechpartner.
Dabei gibt es inzwischen durchaus viele Möglichkeiten wie etwa die Beratungsstellen im Rahmen der zertifizierten Darmzentren, die Landeskrebsgesellschaften mit Dienststellen in allen größeren Städten, natürlich auch die Hausärzte, die als Lotsen im System psychoonkologische Betreuung vermitteln oder andere Hilfen anbieten können.
Aber auch wir als Stiftung stehen als Ansprechpartner für solche Menschen zur Verfügung und können über unser System der Regionalbeauftragten in allen Bundesländern dafür Sorge tragen, dass Menschen, die Hilfe brauchen, auch einen Ansprechpartner finden.
Welche Angebote und Initiativen sind für Menschen nach überstandener Krebserkrankung konkret geplant?
Riemann: Derzeit geplant sind zusammen mit verschiedenen Zentren Arzt-Patienten-Seminare in Deutschland, in denen das Thema angesprochen wird. Die Stiftung LebensBlicke wird sich an Studien beteiligen, die das Leben nach Krebs zum Inhalt haben.
Wir haben eine Kooperationsvereinbarung mit der ILCO getroffen, um als ein weiterer Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen.
Wir werden uns zusammen mit der ILCO um Betroffene kümmern, die Rat suchen, weil sie keinen Weg finden, mit der Diagnose fertig zu werden; vor allem auch um Menschen, die nach Operationen nicht weiter wissen und Unterstützung brauchen.
Das können zum Beispiel Stomaträger sein, die wir über die Stiftung an die ILCO weitervermitteln. Entscheidend bleibt, dass es auch für das Leben mit oder nach Krebs bereits ein Netzwerk von Informationsmöglichkeiten gibt, die nur noch zu wenig bekannt sind.
Dazu wird auch eine gerade von der Stiftung LebensBlicke entwickelte App gehören, die wahrscheinlich noch in diesem Jahr geschaltet werden kann. Nicht zuletzt steht unsere Hotline schon jetzt zur Verfügung.
Herr Professor Riemann, wir bedanken uns für das Gespräch.
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