Blutdruck-Messung

Maskierte Hypertonie bleibt oft unerkannt

Von wegen Weißkittelhypertonie: Dass Patienten im Behandlungszimmer oft höheren Blutdruck haben, ist vielen Ärzten bekannt. Jetzt sagt eine US-Studie: Bei der Praxismessung wird der Blutdruck eher unter- als überschätzt.

Von Veronika Schlimpert Veröffentlicht:
Bei jüngeren, schlanken Menschen mit einem Praxisblutdruck im oberen Normbereich könnte eine 24-Stunden -Messung sinnvoll sein.

Bei jüngeren, schlanken Menschen mit einem Praxisblutdruck im oberen Normbereich könnte eine 24-Stunden -Messung sinnvoll sein.

© Kzenon/ Fotolia

NEW YORK. Die verbreitete Annahme, dass der Praxisblutdruck in der Regel höher liegt als der Wert der ambulanten Blutdruckmessung, scheint auf gesunde Menschen nicht zuzutreffen. In einer aktuellen großen US-amerikanischen Kohortenstudie war sogar genau das Gegenteil der Fall (Circulation 2016; 134: 1794-1807).

So lagen die Praxiswerte der 888 gesunden Teilnehmer der "Masked Hypertension Study" im Schnitt um 7/2 mmHg niedriger als deren Werte in der ambulanten 24-Stunden-Blutdruckmessung (ABPM).

Besonders ausgeprägt war diese Diskrepanz bei jüngeren, normalgewichtigen Personen. Eine maskierte Hypertonie – also erhöhte ABPM-, aber normale Praxiswerte – kam in dieser Kohorte mit einer Rate von 15,7 Prozent damit deutlich häufiger vor als eine Weißkittelhypertonie (1,0 Prozent).

"Ärzte sollten bei gesunden Menschen somit eher davon ausgehen, dass der in der Praxis gemessene Blutdruck den mittleren Blutdruck am Tage unterschätzt als überschätzt", resümieren die Studienautoren um Joseph Schwartz von der Stony Brook University.

Relativ junge Teilnehmer in Studie

Der Blutdruck der Studienteilnehmer wurde an drei verschiedenen Praxisterminen jeweils dreimal gemessen. Es nahmen Personen teil, deren Blutdruck beim ersten Praxisbesuch unter 160/105 mmHg gelegen hatte.

Die Teilnehmer waren arbeitstätig und mit einem mittleren Alter von 45 Jahren relativ jung, sie hatten weder eine kardiovaskuläre Vorerkrankung, noch nahmen sie Antihypertensiva ein. Nach den drei Praxismessungen erfolgte bei jedem Teilnehmer eine ABPM.

Der mittlere ABPM-Wert lag dabei mit 123,0/77,4 mmHg signifikant höher als die mittleren aus den drei Praxisbesuchen gepoolten Werte (116,0/75,4 mmHg). Bei mehr als einem Drittel der Teilnehmer überstieg der systolische ambulante Wert den Praxis-Wert um mehr als 10 mmHg.

Der umgekehrte Fall – also ein um 10 mmHg höherer Praxisblutdruck als der ABPM-Wert – kam nur bei 2,5 Prozent der Teilnehmer vor.

Mit steigendem Alter und BMI schwächte sich die Diskrepanz zwischen Praxisblutdruck und ABPM-Wert zunehmend ab, wobei der Praxisblutdruck den ambulanten Wert zu keinem Zeitpunkt überstieg. Der diastolische Praxisblutdruck hingegen lag bei Teilnehmern ab einem Alter von etwa 65 Jahre im Schnitt höher als der ABPM-Wert.

Vor allem dünne Menschen betroffen

Am deutlichsten zeigte sich der Unterschied zwischen Praxisblutdruck und ABPM-Wert bei einem BMI unter 25 kg/m². Im Falle des diastolischen Blutdrucks kehrte sich das Verhältnis ab einem BMI von 32,5 kg/m² um. Ab einem BMI von etwa 35 kg/m² lag der diastolische Praxisblutdruck dann signifikant höher als der ABPM-Wert.

Eine nach Ansicht der Studienautoren plausible Erklärung dafür, dass gerade bei jüngeren, schlanken Personen die ambulanten Blutdruckwerte die Praxisblutdruckwerte übersteigen, ist wahrscheinlich deren vermehrte körperliche Betätigung.

Die Assoziation zwischen ambulanten Blutdruckwerten, Alter und BMI könnte also im Wesentlichen durch die körperliche Aktivität abgeschwächt werden, vermuten die Wissenschaftler.

Beeinflusst wird das Verhältnis von Praxisblutdruck und ambulanten Werten wohl aber auch durch die Höhe des in der Praxis gemessenen Blutdrucks. So lag die Wahrscheinlichkeit, in der ambulanten Messung einen Wert =135 mmHg aufzuweisen, für Teilnehmer mit einem Praxisblutdruck von 120 mmHg bei gerade mal 10 Prozent; diejenigen mit einem hoch normalen Praxisblutdruck von über 135 mmHg hatten hingegen schon eine über 50-prozentiges Risiko für eine maskierte Hypertonie.

Daher könnte es gerade bei jüngeren, schlanken Menschen mit einem Praxisblutdruck im oberen normalen Bereich (130–139/85–89 mmHg) in der hausärztlichen Versorgung sinnvoll sein, eine ambulante 24-Stunden-Blutdruckmessung oder alternativ eine häusliche Blutdruckmessung in die Wege zu leiten, um eine möglicherweise maskierte Hypertonie erkennen zu können, wie Bryan Williams in einem begleitenden Editorial zur Studie ausführt.

Weitere Forschungen nötig

Immerhin gehe eine maskierte Hypertonie mit einem vergleichbar hohen kardiovaskulären Risiko einher wie eine diagnostizierte Hypertonie. Ob Patienten mit einer maskierten Hypertonie hinsichtlich ihres kardiovaskulären Risikos von einer medikamentösen Intervention profitieren, muss allerdings erst in randomisierten klinischen Studien untersucht werden.

Wichtig für die Interpretation dieser Ergebnisse ist allerdings die Tatsache, dass die Praxismessungen in dieser Studie streng nach den gültigen Leitlinienprotokollen vorgenommen worden sind. In der alltäglichen Praxis seien entsprechende Blutdruckmessungen häufig fehlerbehaftet, bemerken die Studienautoren.

Somit ist fraglich, ob diese Befunde die Realität wirklich widerspiegeln. Darüber hinaus waren nur wenige Studienteilnehmer über 65 Jahre alt, sodass ein Rückschluss auf diese Altersgruppe ebenfalls nicht möglich ist.

Studienergebnisse

Der mittlere ABPM-Wert lag bei den Probanden mit 123,0/77,4 mmHg signifikant höher als die mittleren aus den drei Praxisbesuchen gepoolten Werte (116,0/75,4 mmHg).

Bei mehr als einem Drittel der Teilnehmer überstieg der systolische ambulante Wert den Praxis-Wert um mehr als 10 mmHg.

Der umgekehrte Fall kam nur bei 2,5 Prozent der Teilnehmer vor.

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Kommentare
Steffen Jurisch 08.03.201707:21 Uhr

ruhig Blut...

als erstes würde ich mich dem Kommentar von Dr. med. Schätzler anschließen, das lesen des Originals ist erhellend.
Weiterhin wurde nichts, und daher gehe ich davon aus das es auch nicht kontrolliert wurde, gesagt über die Messungen zu Hause, wann, wo unter welchen Umständen... zumindest ziehen die "Forscher" in Betracht, dass schlankere Menschen sich mehr bewegen als die, die mehr Masse zu bewegen haben. Weiterhin wurde keine Aussage zur Ernährung getätigt, keine Aussage zu Träumen etc. alles Faktoren die auch kurzfristig zu einer Blutdruckerhöhung beitragen können. Bekanntlich reichen bei manchen Menschen allein schon die Abbildung von bestimmten Politikern oder/und die Nachrichten um den Blutdruck zu erhöhen...

Ich glaube der wichtigste Satz ist, wie in allen Studien, der, dass natürlich noch mehr Studien nötig sind um wirkliche aussagen zu treffen. ;-) Das sichert wenigstens Arbeitsplätze.

Thomas Georg Schätzler 13.12.201608:54 Uhr

"Publish or Perish" - veröffentliche oder verrecke?

Der in Circulation publizierte "ORIGINAL RESEARCH ARTICLE" mit dem Titel:
"Clinic Blood Pressure Underestimates Ambulatory Blood Pressure in an Untreated Employer-Based US Population - Results From the Masked Hypertension Study" von Joseph E. Schwartz et al.
http://circ.ahajournals.org/content/134/23/1794
ist geschickt vormanipuliert.

888 angeblich gesunde Individuen ohne Blutdruck-Medikation hatten einen "Screening-Blutdruck" kleiner als 160/105 mm Hg. Damit wurden offenkundig Patienten mit einer Hypertonie 1. Grades inkludiert ["Methods: Between 2005 and 2012, 888 healthy, employed, middle-aged (mean±SD age, 45±10.4 years) individuals (59% female, 7.4% black, 12% Hispanic) with screening BP <160/105 mm?Hg and not taking antihypertensive medication..."].

Kein Wunder, dass diese Studienpopulation einen höheren Blutdruck beim Aufwachen gemessen hatte, als bei häufigen klinischen Kontrollen tagsüber. Insofern ist es eine sich selbst erfüllende Prophezeiung ("self fulfilling prophecy") dass bei vielen Probanden eine letztlich durch 24-Stunden-RR-Messung bestätige maskierte Hypertonie vorlag ["Demonstrated CBP-aABP gradients, if confirmed in representative samples (eg, NHANES [National Health and Nutrition Examination Survey]), could provide guidance for primary care physicians as to when, for a given CBP, 24-hour ABP would be useful to identify or rule out masked hypertension"].

Diese hätte aber bereits bei den Einschlusskriterien ohne weitere Tests diagnostiziert werden können. Die Frage nach der Anzahl von "dippern/non-dippern", also mit/ohne RR-Nachtabsenkung, blieb unbeantwortet!

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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