Experten fordern

Neugeborene auf Sichelzellanämie screenen!

Noch ist die Sichelzellanämie in Deutschland eine seltene Erkrankung. Doch das könnte sich angesichts der größer werdenden Zahl an Migranten ändern. Experten plädieren daher, Neugeborene auch hierzulande auf diese Erkrankung zu screenen.

Katharina GrzegorekVon Katharina Grzegorek Veröffentlicht:
Sichelzellen unter dem Rasterelektronenmikroskop: Das pathologische Hämoglobin S verändert die Form der Erythrozyten.

Sichelzellen unter dem Rasterelektronenmikroskop: Das pathologische Hämoglobin S verändert die Form der Erythrozyten.

© Janice Haney Carr/CDC

WIESBADEN. Sind nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen von einer Erkrankung betroffen, gilt sie in Europa definitionsgemäß als selten. Doch Krankheiten, die ein Arzt in Deutschland vielleicht einmal in seinem Berufsleben zu Gesicht bekommt, sind in anderen Ländern Normalität.

An der Sichelzellanämie, die ja im subsaharischen Raum weit verbreitet ist, sterben jährlich eine viertel Million Kleinkinder. In Deutschland leiden etwa 3000 Menschen an der Hämoglobinopathie.

Angesichts zunehmender Migration müsse der Arzt auch an solche "neuen seltenen Erkrankung" denken, wies Professor Gerd Hasenfuß, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), auf einer Veranstaltung zum Herbstsymposium der Korporativen Mitglieder der Gesellschaft hin.

Es kann zu Schlaganfällen kommen

In einigen Ländern, etwa den USA, den Niederlanden oder Frankreich ist ein Neugeborenen-Screening auf Sichelzellanämie bereits üblich, berichtete Dr. Stephan Lobritz von der Charité Berlin.

Nun gibt es auch Pilotprojekte in Berlin, Hamburg und Heidelberg - und diese zeigen Erfolg. Insgesamt 51.000 Neugeborene wurden im Rahmen der Studien untersucht und bei 22 konnten die Forscher eine Sichelzellanämie feststellen. Damit sei die Sichelzellanämie die Krankheit gewesen, die am zweithäufigsten nachgewiesen wurde, so Lobritz.

Patienten könnten von einer frühen Diagnose stark profitieren, denn die Krankheit bringt viele Komplikationen mit sich. So kann es im Rahmen einer Sichelzellkrise, die unter anderem durch Infektionen ausgelöst werden kann, zu Schlaganfällen kommen. "10 Prozent der Sichelzellpatienten erleben einen Schlaganfall, bevor sie 20 Jahre alt sind", sagte Lobritz.

Ein meist schon im Kleinkindalter auftretender Verlust der Milzfunktion macht die Patienten zudem anfälliger für Infektionen. Mit Maßnahmen, wie einer Infektionsprophylaxe mit Penicillin oder Impfungen gegen Pneumokokken können solche Folgen verhindert werden.

Auch Eltern sollten geschult werden, um eine akute Anämie bei ihrem Kind schnell zu erkennen und einen Arzt aufzusuchen. Sehr einfache Maßnahmen können die Sterberate bei den Patienten drastisch reduzieren.

Hämoglobin im Blick

Sichelzellanämie

Durch eine Mutation im b-Globin-Locus des Chromosom 11 bilden Menschen mit Sichelzellanämie pathologisches Hämoglobin S (HbS).

HbS verändert Form, Oberflächeneigenschaften und Lebensdauer der Erythrozyten. Die Erkrankung ist gekennzeichnet durch Vasookklusionen in allen Organen, hohes Infektionsrisiko durch die funktionelle Asplenie (Folge von Vasookklusionen) und chronische hämolytische Anämie.

Die Akutform der Erkrankung – die Sichelzellkrise – wird unter andrem durch eine medikamenteninduzierte Hämolyse, Infekte oder Veränderungen des Sauerstoffpartialdrucks ausgelöst.

Das Neugeborenen-Screening auf die Sichelzellkrankheit wird international mit chromatografischen und elektrophoretischen Methoden durchgeführt, die das veränderte Hämoglobin detektieren.

Diese Laborausstattung ist in deutschen Screeninglabors nicht vorhanden, da die Methode nur für die Sichelzellerkrankung nutzbar ist, nicht aber für andere Erkrankungen, nach denen im Rahmen des deutschen Screeningprogramms gefahndet wird.

Die meisten Erkrankungen werden hier mittels Tandemmassenspektrometrie detektiert. Prinzipiell könne auch die Sichelzellkrankheit damit entdeckt werden.

In einem Projekt will Lobritz untersuchen, ob ein Neugeborenen-Screening auf Sichelzellkrankheiten auch mithilfe dieser Tandemmassenspektrometrie unter den Bedingungen des Neugeborenen-Screeningprogramms möglich ist.

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