Noch zu rasch: Antibiotika bei Otitis media
Das laufende Ohr bei einem Kind mit liegendem Paukenröhrchen ist nicht notwendigerweise eine Indikation zur Antibiotikatherapie. Denn das Ohr läuft in dieser Situation bei jedem Infekt mit.
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Das Ohr eines Patienten wird untersucht. Bei Mittelohentzündung ist Fieber über 39 Grad eine Indikation zur Antibiotikatherapie.
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FRANKFURT AM MAIN. Das laufende Ohr bei einem Kind mit liegendem Paukenröhrchen sei ein häufig missverstandenes Phänomen, sagte Professor Gerhard Grevers aus München/Starnberg. Das Paukenröhrchen diene der Entlastung des Mittelohrs, so der HNO-Arzt bei einer Fortbildungsveranstaltung für Pädiater in Frankfurt am Main. Die Sekretion sei nur eine Begleitreaktion der Mittelohrschleimhaut bei Infektionen aufgrund der Verbindung zwischen Nasenrachenraum mit Mittelohr. Eine Mittelohrentzündung bei intaktem Trommelfell sei im Vergleich dazu sogar gefährlicher, wenn es zu Komplikationen kommen sollte, so Grevers. Diese Komplikationen seien insgesamt zwar selten, kämen aber besonders bei solchen Kindern vor, die sehr lange erfolglos mit Hausmitteln behandelt worden sind, ohne dass ein Arzt konsultiert wurde.
Bei Kindern unter sechs Jahren sind akute Mittelohrentzündungen der Hauptgrund für Antibiotikaverschreibungen, obwohl die Spontanheilungsquote hoch ist. Studiendaten haben ergeben, dass der routinemäßige Gebrauch von Antibiotika den Kindern nur mäßig nützt.
Zudem treten Komplikationen wie die Mastoiditis in der Europäischen Union nur bei ein bis vier Patienten pro 100 000 auf, die Fazialisparese in 0,005 Prozent der Fälle. Nach Grevers' Angaben müssten 1400 Kinder mit akuter Mittelohrentzündung antibiotisch behandelt werden, um eine Mastoiditis zu verhindern. Er verwies auf die zunehmenden Antibiotika-Resistenzraten.
Wirklich angezeigt sind Antibiotika lediglich bei Fieber über 39°C in den letzten 24 Stunden und/oder starker Otalgie oder bei deutlich reduziertem Allgemeinbefinden sowie bei beidseitiger akuter Otitis media in den ersten drei Lebensjahren. Grevers empfahl zunächst für 24 bis 72 Stunden abzuwarten mit Schmerztherapie und abschwellenden Nasentropfen.