Internistenkongress 2017
"Ökonomische Kennziffern verdrängen ethische Grundsätze"
Die deutschen Internisten wollen es nicht bei ihrer scharfen Kritik an der Ökonomisierung der Medizin belassen. Mit einem Klinik-Codex werden leitende Ärzte unterstützt, sich gegen betriebswirtschaftliche Vorgaben von Geschäftsführungen zu wehren. Ein Interview mit Professor Petra-Maria Schumm-Draeger, München, Vorsitzende der DGIM 2017/2017.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Frau Professor Schumm-Draeger, Sie sprechen sich in Ihrer Einladung zum diesjährigen DGIM-Kongress für eine Werteorientierte, individualisierte und fürsorgliche Medizin aus. Ist denn eine solche Medizin gegenwärtig gefährdet?
Prof. Petra-Maria Schumm-Draeger
Position: Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) und Präsidentin des 123. DGIM-Kongresses, Ärztliche Direktorin des Zentrums Innere Medizin / Fünf Höfe München
Werdegang: Medizinstudium in Frankfurt am Main, Weiterbildung zur Internistin mit Spezialisierung auf Endokrinologie und Diabetologie, 1989 Habilitation und Oberärztin am Uniklinikum Frankfurt a. M., 1993 Leitende Oberärztin der Medizinischen Klinik I und geschäftsführende Oberärztin des Zentrums für Innere Medizin der Universität Frankfurt, 1995 Ernennung zur außerplanmäßigen Professorin, 2002 bis 2016 Chefärztin der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Angiologie des Klinikums Bogenhausen an der TU München
Schwerpunkte: Klinische und experimentelle Schilddrüsenforschung, klinische Diabetologie, polyglanduläres Autoimmunsyndrom
Petra-Maria Schumm-Draeger: Sie ist bereits seit einigen Jahren in zunehmendem Maße und inzwischen erheblich gefährdet. Der Mensch als Patient rückt immer mehr aus dem Fokus. Ich bin seit 35 Jahren Krankenhausärztin und beobachte, dass sich besonders seit Einführung der Fallpauschalen die medizinische Welt in Deutschland verändert hat.
Es handelt sich um eine ökonomisch gesteuerte Neuausrichtung der medizinischen Versorgung. Fehlanreize resultieren in einer künstlich herbeigeführten Über- und Unterversorgung kranker Menschen in unserem Land. Das ist bedenklich! Es wird ein großer materieller wie immaterieller Schaden angerichtet. In der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) sehen wir das mit großer Sorge. Es ist unser ausdrückliches Ziel, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten und eine Veränderung herbeizuführen.
Was Sie sagen, adressiert in erster Linie politische Entscheider. Zugleich erinnern Sie die Kongressteilnehmer an ethische Grundwerte ärztlicher Tätigkeit, Sie beziehen sich ausdrücklich auf Hippokrates und die Genfer Konvention. Was hat Sie dazu veranlasst?
Es ist die zunehmende Verschärfung dieser Entwicklung. Ökonomische Kennziffern verdrängen unsere ethischen Grundsätze: Invasive Maßnahmen werden bevorzugt, die wichtige Kommunikation zwischen Arzt und Patient kommt zu kurz, es ist eine erhebliche Personalknappheit im ärztlichen wie im nichtärztlichen Bereich zu beklagen – abhängig auch von der betriebswirtschaftlichen Wertigkeit des jeweiligen Schwerpunkts.
Überlegungen zur Indikation medizinischer Maßnahmen werden zunehmend von Kenngrößen bestimmt, die sich eben nicht primär nach dem individuellen Bedarf des Patienten richten, sondern nach dessen Wertigkeit im Abrechnungssystem. An vielen Stellen fehlt Zeit für bestimmte Aktivitäten, vor allem in der sprechenden Medizin wie beispielsweise für Präventionsarbeit und Aufklärung. All dies wirkt sich auf die Qualität der Versorgung aus.
Verändert das System auch die Ärzte selbst?
Wenn junge Kolleginnen und Kollegen vom ersten Arbeitstag an in diesem System "aufwachsen", wird deren Blick für das eigentlich Wichtige in der Medizin verstellt. Wer ständig aufgefordert ist, nach der Verweildauer eines Patienten, dem Case-Mix für die Abrechnung zu schauen und wer kranke Menschen entsprechend dieser Parameter möglichst zügig durch Diagnostik und Therapie bringen soll, dem geht vieles verloren. Das beginnt bei der Anamnese und klinischen Untersuchung sowie einer sinnvoll und stufenweise ausgewählten Diagnostik. Nicht zuletzt adressiert ja auch unsere Initiative "Klug entscheiden" diese Problematik: Es ist die Indikationsqualität für den individuellen Patienten, die im Vordergrund stehen muss!
Sie erwähnten die Zeit, die im Umgang mit Patienten vielfach nicht ausreiche. Was könnte denn helfen wieder mehr Zeit zu haben?
Es muss die Bewertung medizinischen Handelns modifiziert werden. Wenn eine Maßnahme wie das Arzt-Patienten-Gespräch nicht finanziell honoriert wird, wird dieser Teil der Arbeit leiden.
Wir sprechen hierbei nicht übers Geldverdienen, sondern darüber, dass eine Klinik, ein niedergelassener Arzt betriebswirtschaftlich zurechtkommen muss. Schauen wir uns jedoch heute die Personalschlüssel einer Klinik an, dann ist dieser allein darauf ausgerichtet, eine hohe Anzahl an Patienten in unglaublich kurzer Zeit durchzuschleusen. Zeit für das Gespräch wird erst dann wieder in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen, wenn Personalschlüssel entsprechend bemessen werden.
Wir müssen unbedingt dahin kommen, dass das Arzt-Patienten-Gespräch den gleichen Wert erhält wie zum Beispiel eine apparative Untersuchung.
Sie meinen, dass das Abrechnungssystem per se falsch ist?
Ja, das derzeitige System setzt andere Akzente als wir Ärzte es gegenüber unseren Patienten vertreten können. Konstrukte wie das Fallpauschalensystem treiben uns in die falsche Richtung. Diese müssen dringend und mittelfristig geändert werden.
Sie sagten, die DGIM will der ökonomisch ausgerichteten Medizin Einhalt gebieten. Wie wird sie das tun?
In einer Arbeitsgruppe der Kommission Struktur-Krankenhausversorgung der DGIM haben wir den KlinikCodex "Medizin vor Ökonomie" erarbeitet. Darin formulieren wir, dass eine betriebswirtschaftliche Komponente nie das ärztliche Handeln bestimmen darf, weder eine Indikation noch irgendeine Maßnahme der Diagnostik und Therapie.
Was heißt das konkret?
Die Entscheidung, was mit einem Patienten geschieht oder nicht geschieht, soll immer primär der am Patienten tätigen Ärztin oder dem Arzt obliegen. Das wird im Codex im Einzelnen ausgeführt. Er soll eine Handreichung sein für alle Kolleginnen und Kollegen, die sich damit gegenüber Geschäftsführungen, die oft aus rein betriebswirtschaftlich ausgebildeten Menschen bestehen, auf die DGIM als eine der größten medizinischen Fachgesellschaften Deutschlands berufen können. Das ist etwas anderes, als wenn sie als Einzelpersonen ihre ethischen Grundsätze vertreten müssen.
Der Codex als eine moderne Interpretation des hippokratischen Eids?
So könnte man es sehen. Der Klinik-Codex ist aber nicht als Dekoration für die Praxiswand gedacht. Wir wollen auf dieser Grundlage mit Vertretern der Gesundheitspolitik und anderen Funktionsträgern dringend notwendige Veränderungen anstoßen, auch mit Blick auf die Bundestagswahl im Herbst.
Wer hat den Klinik-Codex erarbeitet?
Ich habe die Erarbeitung in meiner Funktion als Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin in Abstimmung mit dem DGIM-Vorstand initiiert. Die Kommission "Struktur Krankenversorgung", der ich bis vor kurzem vorgesessen habe, der Berufsverband Deutscher Internisten und leitende Vertreter der Schwerpunktgesellschaften der Inneren Medizin haben gemeinsam mit Vertretern weiterer Fachgesellschaften wie der Neurologie und der Chirurgie diesen Codex erarbeitet. Einbezogen worden sind zudem Meinungsbildner außerhalb der Medizin.
Der Klinik-Codex wird im Rahmen des Kongresses vorgestellt werden.
Frau Professor Schumm-Draeger, es heißt, der Umgang mit Krankheiten werde in Zukunft durch eine systemorientierte Betrachtungsweise gekennzeichnet sein. Was ist mit dem Begriff "Systemmedizin" gemeint?
Wir beobachten derzeit einen enormen Entwicklungsschub in der Medizin, allein wenn wir den Erkenntnisgewinn in der Molekulargenetik oder die Informationstechnologie betrachten. Dies ermöglicht es uns, besser als früher die komplexen Zusammenhänge der Entstehung und des Verlaufs von Krankheiten zu erfassen und wird sich künftig noch mehr als bereits heute in der Diagnostik und Therapie niederschlagen.
In mehreren Symposien wollen wir deshalb die Systemmedizin der Zukunft umreißen, angefangen von der Grundlagenforschung bis hin zur klinischen und zur digitalen Medizin. Der ganze Mensch soll aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Daraus ergeben sich diagnostische und therapeutische Empfehlungen, die wir an vielen Stellen des Kongresses diskutieren werden.
Nehmen wir das metabolische Syndrom als zentraler Risikofaktor für viele Krankheiten. Die Diabetes-Epidemie weitet sich kontinuierlich aus. Wie könnten diese Probleme denn systemmedizinisch gelöst werden?
Diese Frage bedürfte einer sehr umfassenden Antwort. Die Lösung liegt nicht nur in medizinischen Maßnahmen, sondern benötigt gesellschaftliche Veränderungen, die durch die Politik angestoßen werden müssen.
Maßnahme Nummer Eins sollte die Prävention sein, mit Vorgaben, die vom Kindergarten bis ins junge Erwachsenenalter reichen, weil wir in diesen Altersgruppen die größten Zunahmen von Übergewicht verzeichnen. Schulungen, Aufklärung, Gespräche – diese Dinge müssen politisch und finanziell gefördert werden. Im Moment reagieren wir selbst dann, wenn bei Menschen bereits Diabetes, Hypertonie oder Fettstoffwechselstörungen vorliegen, häufig noch viel zu spät. Medizinisch können wir dieser komplexen Problematik nur mit interdisziplinärer Vernetzung begegnen. Auch das wird in unserem Gesundheitssystem noch viel zu wenig praktiziert.
Wie meinen Sie das?
Es darf nicht sein, dass ein interventionell hervorragend versorgter KHK-Patient oder ein auf der Stroke Unit behandelter Schlaganfall-Patient mit hohem Blutdruck und schlecht eingestelltem Diabetes mellitus die Klinik verlässt. Jede Internistin und jeder Internist ist aufgerufen, über den Tellerrand des eigenen Schwerpunkts zu schauen und stets alle Risikofaktoren eines Patienten zu adressieren. Dazu braucht es nicht nur gut funktionierende Netzwerke mit spezialisierten ärztlichen wie nicht-ärztlichen Kolleginnen und Kollegen, sondern auch eine engere Verzahnung zwischen dem stationären und dem ambulanten Bereich. Aus gesundheitspolitischer Perspektive bin ich überzeugt davon, dass man letzten Endes Geld sparen könnte, wenn es gelänge, auf diese Weise Spätfolgen und Komplikationen des metabolischen Syndroms zu verhindern.
Die Endokrinologie bietet viele Schnittstellen zu diversen medizinischen Fachgebieten, sie ist ein Schwerpunktthema dieses Kongresses. Welches sind im Moment die spannenden Entwicklungen in diesem Querschnittsfach?
Das Spannende an der Endokrinologie ist, dass es um seltene wie um Volkskrankheiten geht, nehmen wir allein die Schilddrüse mit Hyper- und Hypothyreosen oder die teils seltenen Karzinome, bei denen es interessante therapeutische Neuerungen gibt. Mehr als das ist es mir jedoch ein Anliegen, dass eine Funktionsstörung stets viele weitere Organfunktionsstörungen beeinflusst. Störungen der Schilddrüsenfunktion können zum Entgleisen des Blutzuckers oder des Blutdrucks führen, provozieren unter Umständen Herzrhythmusstörungen. Ähnliches lässt sich etwa für Nebennierenerkrankungen durchdeklinieren. Wir wollen beim Kongress die besondere Bedeutung der strukturierten Kooperation und Kommunikation mit anderen medizinischen Fächern wie beispielsweise der Chirurgie oder der Radiologie anhand von im klinischen Alltag häufigen Situationen darstellen. Die Kongressteilnehmer sollen etwas mitnehmen können, das ihnen für ihre tägliche Arbeit nutzt. Außerdem wollen wir darauf hinweisen, dass dabei die Schnittstellen zu anderen Fachgebieten stets mit zu bedenken sind.
Was täglich nutzen soll, sind auch die Klug-entscheiden-Empfehlungen. Seit zwei Jahren läuft diese Kampagne der DGIM. Wie erleben Sie die Resonanz unter Kolleginnen und Kollegen?
Die Resonanz ist überwiegend positiv, das zeigen auch Umfragen zur Kampagne. Natürlich gibt es auch kritische Stimmen. Von den Diskussionen, die wir beim Kongress in sieben Sondersitzungen werden führen können, profitieren letztlich alle. Die Schwerpunkte der Inneren Medizin haben jeweils fünf Positiv- und Negativ-Empfehlungen abgegeben. Dieser Prozess wird weitergeführt, jedes Jahr werden die einzelnen Fachgesellschaften mindestens eine weitere Positiv- und Negativ-Empfehlung abgeben.
Die Klug-entscheiden-Kampagne der DGIM passt gut zur viel diskutierten Ökonomisierung der Medizin, da wir hierbei Schnittstellen von Medizin und Ökonomie thematisieren.
Viele Ärzte sehen seit langem Tendenzen der Über- und Unterversorgung, die teilweise durch ökonomische Fehlanreize bedingt sind. Im Zentrum aller Bemühungen zur Korrektur solcher Entwicklungen muss stets der Patient stehen.
Ein viel diskutiertes und ebenfalls fächerübergreifendes Thema ist ja das Mikrobiom und sein Einfluss auf diverse Krankheitsentitäten. Wie erleben Sie das als Endokrinologin?
Ich finde die Erkenntnisse faszinierend, wonach unsere Darmbewohner Bedeutung für die Manifestation zum Beispiel einer Diabetes-Erkrankung und womöglich deren Verlauf haben könnten. Wir verfügen inzwischen über interessante Daten, wonach Stuhltransplantationen bei adipösen Menschen hilfreich sein und Stoffwechselstabilisierungen bei Diabetes-Patienten erreicht werden können. Vieles bedarf natürlich noch der wissenschaftlichen Aufklärung, wir stehen da erst am Anfang.
Schon jetzt ist aber klar: Das Mikrobiom wird wohl ein fester Bestandteil der Tätigkeit eines jedes Diabetologen werden und eines jeden, der sich mit dem metabolischen Syndrom beschäftigt. Ein interdisziplinäres Symposium, in dem es um den Grenzbereich Gastroenterologie-Diabetologie gehen soll, wird dieses Thema beleuchten.
Genderspezifische Aspekte in Diagnostik und Therapie sind ein weiteres Leitthema des Kongresses. Spielen solche Aspekte bereits eine maßgebliche Rolle im klinischen oder Praxisalltag?
Nein, das wird kaum bedacht, obgleich die Datenlage dazu zunehmend besser geworden ist. Nicht nur zwischen postmenopausalen Frauen und Männern mit Diabetes mellitus sowie metabolischem Syndrom, sondern bereits prämenopausal besteht zum Beispiel ein klarer prognostischer Unterschied: Männer stehen bei vergleichbaren Krankheitsparametern signifikant besser da als Frauen, was das kardiovaskuläre Risikoprofil angeht. Daher wären wir bei Frauen mehr noch als bei Männern aufgefordert, frühzeitig zu diagnostizieren und therapeutisch zu handeln. Es ist ja ein bekanntes Phänomen, dass Frauen mit einem Myokardinfarkt aus verschiedenen Gründen vergleichsweise spät diagnostiziert werden. Nur muss das auch Konsequenzen haben.
Zum ersten Mal behandeln wir bei einem DGIM-Kongress deshalb Gender-Aspekte, und zwar am Samstag mit einem vom Deutschen Ärztinnenbund organisierten Symposium zum "kleinen Unterschied" mit Fokussierung auf Niere, Herz und Knochen sowie am Dienstag mit einer Sitzung mit den Schwerpunkten Prävention, Herz-Kreislauf und Diabetes, organisiert von Frau Professor Vera Regitz-Zagrosek, die an der Berliner Charité das Institut für Geschlechterforschung in der Medizin leitet.
Nach wie vor ist es in Deutschland etwas Besonderes, wenn eine Frau eine Klinik leitet oder die Ausrichtung eines großen Fachkongresses verantwortet...
In der 135-jährigen Geschichte der DGIM bin ich nach Frau Professor Elisabeth Märker-Hermann tatsächlich erst die zweite Kongress-Präsidentin und Vorsitzende. Übrigens wurde auch noch nie ein weibliches Ehrenmitglied benannt. Das werden wir in diesem Jahr ebenfalls ändern.
Sie selbst haben ihre akademische Karriere parallel zur Familiengründung gestartet. Gibt es etwas, das Sie jungen Kolleginnen raten würden?
Der Grat zwischen Familie und Beruf ist schmal, ganz besonders wenn eine akademische Karriere, gar eine leitende Position angestrebt wird. Das braucht Zeit und eine gute Organisation. Als mein Sohn 1988 geboren wurde, hätte ich mir gewünscht, dass in der Zeitspanne bis heute sehr viel mehr passiert wäre, das es Frauen leichter machen würde, Familie und Beruf gut verbinden zu können. Das fängt an mit Ganztags-Kindereinrichtungen oder mit Kliniken, die ein entsprechendes Setting anbieten.
Im Medizinstudium und in den Weiterbildungsjahrgängen finden wir heute ganz überwiegend Frauen, in den Leitungspositionen spiegelt sich das noch lange nicht wider. Das liegt daran, dass gerade diese Kombination noch immer sehr schwierig ist. Das ist eine deutsche Besonderheit! Schauen wir zu unseren europäischen Nachbarländern wie beispielsweise nach Skandinavien oder Frankreich, erkennen wir, dass es auch anders geht.
Frau Professor Schumm-Draeger, das DGIM-Programm "Tag der Jungen Internisten" ist in diesem Jahr erweitert worden. Unter anderem wird dort die Vereinbarkeit von Familie und Beruf thematisiert werden. Junge Ärztinnen und Ärzte fordern ja inzwischen diese Dinge ein...
Das ist auch gut so. Die Jungen Internisten sind in Kooperation mit den europäischen Internisten berufspolitisch wie auch in Weiterbildungsfragen sehr engagiert. Beim Forum Chances werden die Kolleginnen und Kollegen Hinweise für ihre Karriereplanung erhalten und Erfahrungsberichte aus dem Spannungsfeld von Familie und Beruf hören, unter anderem von Frau Professor Elisabeth Märker-Hermann aus Wiesbaden. Wichtig ist uns auch, wie man eine gute klinische Ausbildung mit Forschungsaktivitäten verbinden kann, ohne dass dies unendlich viel Zeit in Anspruch nimmt. Darauf wird Professor Nisar Malek aus Tübingen näher eingehen.
Und der Blick wird nicht nur auf Deutschland gerichtet...
Der Blick auf Europa ist für junge Ärztinnen und Ärzte an vielen Stellen bedeutsam. Die Globalisierung und die Mobilität von Ärzten und Patienten sowie die Zusammenarbeit der Fachgesellschaften verschiedener europäischer Länder machen eine vereinheitlichte europäische Ausbildung für Internisten in Europa erforderlich. Ich bin selbst seit 2002 in der European Federation of Internal Medicine (EFIM) aktiv und habe diese in den Kongress einbezogen. Die EFIM hat zusammen mit der European Union of Medical Specialists (UEMS) das europäische Curriculum Weiterbildung Innere Medizin abgestimmt. Jetzt ist dieses Curriculum fertiggestellt. Es soll nun in den europäischen Mitgliedsländern implementiert werden. Wir werden es sowohl beim Forum Chances als auch beim Symposium der EFIM am Sonntag vorstellen.
Hervorgehoben werden in Bezug auf die Aus- und Weiterbildung die Fachgebiete Geriatrie und Infektiologie. Hatte das einen besonderen Grund?
Die DGIM erachtet gerade diese beiden Gebiete als außerordentlich wichtig, zum einen im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel unserer Gesellschaft, andererseits wegen der zunehmenden Probleme im Umgang mit Infektionen. Bedauerlicherweise verfügen wir bislang weder für Geriatrie noch für Infektiologie über einen eigenen Weiterbildungsschwerpunkt in der Inneren Medizin, aber wir kämpfen darum.Dass das Bundesgesundheitsministerium nun die Zusatzweiterbildung Infektiologie fördert, ist ein erstes positives Zeichen.
Über diese Perspektive möchten wir junge Internisten informieren, zumal wir auf diesem Gebiet in Deutschland nur etwa 300 qualifizierte Ärzte haben. Dennoch wird der Weg zu diesen beiden Schwerpunktweiterbildungen wohl noch lang sein.
Welche Themen sind bei "Chances" noch zu erwarten?
Chances ist der Programmteil des Internistenkongresses, der an die jungen Mediziner gerichtet ist. Meinem Organisationsteam und mir ist es hierbei sehr wichtig, sowohl junge Assistenzärzte/innen in der Weiterbildung Innere Medizin als auch angehende Mediziner anzusprechen. Ziel ist es, Themen aus dem klinischen und wissenschaftlichen Alltag aufzugreifen, die in einem jungen Arbeitsleben relevant sind. Dabei ist zum Beispiel die Beantwortung der Fragen der Rechtssicherheit ebenso wichtig wie die Vermittlung von klinischem Wissen.
Ganz aktuell sind natürlich medizinische Fragen bei Flüchtlingen und Migranten. Hier werden Kollegen von ihren humanitären Hilfseinsätzen in Krisengebieten berichten. Hinzu kommen interessante Fallbesprechungen, Grundlagen verschiedener Bildgebungsverfahren sowie ein eigenes Symposium zu juristischen Aspekten im medizinischen Alltag.