Diabetischer Fuß

Patienten weiter schlecht versorgt

Viele Patienten mit diabetischem Fuß werden in Deutschland zu spät zum Spezialisten überwiesen und in Kliniken wird viel zu schnell amputiert, kritisieren Experten.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Patienten weiter schlecht versorgt

© astoria / fotolia.com

BERLIN. Immer noch werden in Deutschland jährlich bei 50.000 Diabetikern Fußamputationen vorgenommen. Die Zahl geht seit Jahren nicht zurück, wie beim Branchentreff Diabetes der Fortbildungsgesellschaft Cognomed in Berlin berichtet worden ist. Dabei sind die Komponenten für eine bessere Versorgung von Patienten mit Diabetes-bedingten Fußulzera durchaus vorhanden, betonte Dr. Jürgen Raabe aus Birkenwerder bei der Veranstaltung.

Dazu gehören die Behandlung gegen Neuropathie-Druckgeschwüre mit druckentlastenden Schuhen, die feuchte Wundbehandlung und die Revaskularisierung bei Durchblutungsstörungen, wie der Chefarzt der Asklepiosklinik Birkenwerder berichtet hat.

Trotzdem gehen aktuelle Zahlen in der KV Nordrhein von 51 Prozent Major-Amputationen bei stationären Patienten mit diabetischem Fuß aus. Im Gegensatz dazu liegt die Rate bei nur 7,8 Prozent in Einrichtungen, die von der AG Fuß der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) zertifiziert worden sind. Raabe berichtete über eine Studie aus Dänemark, in der durch zwei Maßnahmen die Rate der Amputationen um 90 Prozent reduziert werden konnte. Zum Einen waren das infrapopliteale Revaskularisationen bei Patienten mit Durchblutungsstörungen, zum Anderen eine Umstellung auf eine Versorgung mit Expertenteam.

Die Therapie mit diabetischem Fuß ist nämlich extrem komplex und erfordert ein multidisziplinäres Team. Begegnet werden muss Wundinfektionen, mangelhafter Perfusion, möglicher Osteomyelitis, Druckgeschwüren oder Ödemen bei kardiovaskulären Erkrankungen. Dazu werden für die Behandlung in Klinik und Praxis außer Diabetologen auch Gefäßchirurgen, Wundschwestern, Podologen und orthopädische Schuhmacher gebraucht.

Dass bei der Versorgung in Deutschland auch mehrere Stolpersteine aus dem Weg geräumt werden müssen, erläuterte Raabe an mehreren Beispielen. So kann ein Patient mit sperrigem Fußverband nicht Autofahren, die Kostenübernahme für einen Krankentransport in ein Zentrum sei aber nicht geregelt.

Als Therapiestandard zur Druckentlastung bei diabetischem Fußulkus gilt zudem die Druckentlastung mit einem Total Contact Cast (TCC). Für die nicht vom Patienten entfernbare kniehohe Orthese gibt es gute Evidenz für die Wirksamkeit.

Allerdings ist der Wechsel mit 30 bis 40 Minuten in der ambulanten Therapie zeitaufwendig. Die Hauskrankenpflege bekomme den Mehraufwand nicht vergütet. Die Begründung: Eine ärztliche Leistung. Aber Ärzte nehmen diesen Verbandswechsel nicht vor. Hier müssen dringend in der ambulanten Versorgung die Kosten übernommen werden.Ein leidiges Thema wäre auch die Versorgungmit orthopädischen Schuhen. Wobei die Kassen oft drei Wochen für die Bearbeitung des Antrags auf Kostenerstattung benötigen. Es folgten weitere Wochen, bis die Schuhe angefertigt seien. In dieser Zeit habe der Patient häufig schon ein Rezidiv entwickelt.

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Kommentare
Wolfgang P. Bayerl 30.09.201609:44 Uhr

"schlecht versorgt" ist eine zu pauschale Wertung

in USA wird noch mehr amputiert :-)
Auch hier bitte mal den Patient fragen.
Vermutlich ist auch die Bertelsmanstiftung dagegen, weil es dann teurere wird.

Thomas Georg Schätzler 28.09.201612:15 Uhr

Jährlich 50.000 Fuß-Amputationen bei Diabetikern in Deutschland?

Diese extrem hohe Zahl tragen alle verantwortlichen Fachgesellschaften wie ein Mantra vor sich her. Doch gibt es für diese Zahlenangabe auch nur eine einzige statistisch belastbare Quelle?

Bei meiner Recherche fallen mir extrem vage, unverbindliche Aussagen zu diesem ernsten Thema auf: "Etwa 50.000 Füße werden jährlich in Deutschland als Folge einer Diabeteserkrankung amputiert – alle 15 Minuten verliert ein Mensch eine Extremität. ''Diese Zahl ist, auch im internationalen Vergleich, viel zu hoch'', stellt Professor Dr. med. Ralf Lobmann, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß der DDG, fest."
http://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/presse/ddg-pressemeldungen/meldungen-detailansicht/article/zu-viele-fussamputationen-in-deutschland-experten-fordern-zweitmeinungsverfahren-und-bessere-anreiz.html

Hier werden leichtfertig und Medizin-bildungsfern die Fuß- und viel häufiger reinen Zehenamputationen mit dem Verlust einer Extremität gleichgesetzt. Doch selbst bei der DDG heißt es "Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß" und n i c h t "Arbeitsgemeinschaft Diabetische Extremität".

Eine veraltete Quelle, aus der wohl regelmäßig zitiert wird, stammt vom Wissenschaftlichen Institut der Ortskrankenkassen WIdO der AOK: "Schlussfolgerungen - In Deutschland im Jahr 2001 fielen 44.252 Amputationen an den unteren Extremitäten an. Zusätzlich wurden rund 4.000 Revisionen, also nochmalige Operationen der Amputationsstümpfe, durchgeführt. Laut der AOK-Daten lag bei 68,6% der Patienten, bei denen Amputationen und Revisionen durchgeführt wurden, eine Diabeteserkrankung in der Krankengeschichte bis zu 4 1/2 Jahren vor Amputation vor. Überträgt man den Anteil der Amputationen vor Diabetes-Hintergrund, der sich für die AOK-Patienten ergibt, auf alle 2001 durchgeführten Amputationen, so lässt sich abschätzen, dass bei jährlich 30.428 Amputationen begleitend eine Diabetes-Erkrankung besteht oder in der individuellen Krankengeschichte bestand."
http://www.wido.de/fileadmin/wido/downloads/pdf_krankenhaus/wido_kra_amputation_1104.pdf

Besonders auffällig war bei den Zahlen von 2001, dass von 44.252 Amputationen an den unteren Extremitäten nach DRG-OPS 5-865.7 allein 14.949 reine Zehenamputationen waren; also in 33,8% aller Fälle ohne entscheidende dauerhafte Geheinschränkung.

Offensichtlich ist ein wesentliches Kriterium, ob eine Amputation k a u s a l mit einem Typ-1 oder Typ-2 Diabetes mellitus zusammenhängt bzw. durch diese beiden Erkrankungsformen verursacht wurde, bis heute ungeklärt. Allein die Tatsache, dass die WIdO-Studie sich auf eine Diabetes "Krankengeschichte bis zu 4 1/2 Jahren" bezieht, belegt, dass der Diabetes mellitus in vielen Fällen nur als koinzidente und nicht als kausale Begleiterkrankung detektiert wurde.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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