Sekundärtumoren

Prostatakarzinom – Erhöhte Krebsgefahr nach Bestrahlung?

Prostatakrebspatienten entwickeln nach einer Bestrahlung etwa zu 50 Prozent häufiger einen Sekundärtumor als nach einer Prostatektomie. Bei einer adjuvanten Bestrahlung ist die Tumorinzidenz etwas weniger erhöht.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Bei Patienten mit alleiniger Radiatio ergab sich in der Studie eine1,7-fach höhere Inzidenz für Lungen- und Rektalkarzinome.

Bei Patienten mit alleiniger Radiatio ergab sich in der Studie eine1,7-fach höhere Inzidenz für Lungen- und Rektalkarzinome.

© Springer Medizin Verlag GmbH

MÜNCHEN. Das Risiko für einen Strahlentherapie-induzierten Sekundärtumor lässt sich oft nur schwer abschätzen. Dazu müssen viele Patienten über mindestens ein bis zwei Dekaden nachuntersucht werden. Faktoren wie Rauchen, Ernährung und Alter können das Risiko zusätzlich beeinflussen.

So sei nach epidemiologischen Untersuchungen die Gefahr für ein Lungenkarzinom bei Nichtrauchern nach einer Brustbestrahlung nicht erhöht, bei Rauchern jedoch um den Faktor 25, berichten Radioonkologen um Dr. Nina-Sophie Hegemann von der LMU München. Bestimmte Noxen könnten das Risiko für einen Sekundärtumor offenbar vervielfachen. Dies müsse natürlich bei der Risikobewertung berücksichtigt werden.

Welche Risiken für Sekundärtumoren eine Radiotherapie bei Prostatakrebs birgt, sei noch weitgehend unklar. Die Ärzte um Hegemann verweisen auf widersprüchliche Analysen großer Datenbanken wie SEER. Sie schauten daher im Münchner Krebsregister nach, ob sich dort Anhaltspunkte für eine erhöhte Krebsgefahr nach einer Prostatabestrahlung finden lassen. In der Tat fanden sie ein deutlich erhöhtes Risiko für Sekundärtumoren nach einer Bestrahlung – auch nach Adjustierung für Alter und Tumorcharakteristika.

Angaben von 42.000 Patienten

Die Ärzte berücksichtigten Angaben zu mehr als 42.000 Männern mit Prostatatumoren, die zwischen 1988 und 2008 in das Register aufgenommen worden sind (Rad Oncol 2017; online 3. Januar). 14.300 hatten eine radikale Prostatektomie erhalten, rund 3900 eine alleinige Radiatio und 1400 eine Bestrahlung nach einer Prostatektomie. Nur diese drei Gruppen mit zusammen fast 20.000 Männern wurden analysiert.

Wie erwartet, zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Patienten in den jeweiligen Gruppen. Männer mit alleiniger Radiatio waren mit einem Durchschnittsalter von 70 Jahren fünf Jahre älter als in den anderen beiden Gruppen, zudem hatten sie häufiger metastasierte Karzinome (11,4 Prozent).

Von den Männern mit Prostatektomie plus adjuvanter Radiatio trugen etwa 40 Prozent einen lokal fortgeschrittenen Tumor – in den anderen beiden Gruppen war der Anteil nur halb so hoch. Ansonsten gab es jedoch keine größeren Unterschiede bei den Tumorcharakteristika. Im Median lag die Nachbeobachtungsdauer in den einzelnen Gruppen bei neun bis zehn Jahren.

Bezogen auf einen Zeitraum von zehn Jahren entwickelten 15,9 Prozent der Männer mit alleiniger Radiatio einen Sekundärtumor, bei solchen mit der adjuvanten Bestrahlung waren es 13,2 Prozent und bei reiner Prostatektomie nur 10,5 Prozent. Danach wäre das Risiko für einen solchen Tumor nach einer Radiatio etwa 50 Prozent oder 5,4 Prozentpunkte höher als nach einer alleinigen Op. Bei den Berechnungen für den 20-Jahreszeitraum lagen die Zweittumorraten jeweils bei 26,7, 26,6 sowie 23,7 Prozent. Absolut betrug der Unterschied zwischen alleiniger Bestrahlung und reiner Op folglich nur noch drei Prozentpunkte.

Nach zehn Jahren war die Inzidenz von Lungen-, Kolon- und Rektalkarzinomen sowie Non-Melanom-Hauttumoren mit alleiniger Radiatio etwa doppelt so hoch wie mit ausschließlicher Op. Noch größere Differenzen gab es mit 2,7 versus 1,1 Prozent bei Blasenkarzinomen. Die Werte bei Patienten mit der adjuvanten Radiatio lagen dazwischen.

Liegt es am Rauchen?

Wurden Alter und Tumorcharakteristika berücksichtigt, so ergab sich in der Gruppe mit alleiniger Radiatio eine 1,7-fach höhere Inzidenz für Lungen- und Rektalkarzinome sowie eine zweifach erhöhte Inzidenz für Blasenkarzinome – im Vergleich zur alleinigen Op. Bei Männern mit der adjuvanten Radiatio traten dagegen fast doppelt so häufig Kolonkarzinome auf.

Da bei Patienten mit einer alleinigen Radiatio vor allem die Inzidenz von alters- und tabakbezogenen Tumoren anstieg, gehen die Radioonkologen um Hegemann davon aus, dass diese beiden Faktoren der Hauptgrund für die erhöhte Inzidenz bei Patienten mit alleiniger Bestrahlung sind. Dies wird ihrer Ansicht nach auch durch die Beobachtung unterstützt, nach der Patienten mit der adjuvanten Bestrahlung bis auf Kolonkarzinome kaum eine erhöhte Tumorinzidenz zeigen. "Es ist daher unwahrscheinlich, dass die Bestrahlung der Grund für den beobachteten Effekt bei Patienten mit alleiniger Radiatio ist."

Da sie jedoch keine konkreten Angaben zum Lebenswandel und zum Raucheranteil nennen, bleibt dies natürliche eine reine Hypothese. Letztlich wurde in der Analyse nur für Alter und Tumorcharakteristika adjustiert, und danach ergab sich sehr wohl eine erhöhte Tumorinzidenz bei alleiniger Bestrahlung. Da nur sehr wenige Patienten eine Op mit adjuvanter Bestrahlung erhalten haben, sind die Resultate hier möglicherweise nicht sehr aussagekräftig.

Die Radioonkologen um Hegemann beharren in ihrer Conclusio jedoch auf der Feststellung: "Unsere Daten legen nahe, dass die Radiotherapie das Risiko von Sekundärtumoren nicht erhöht."

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Kommentare
Nina-Sophie Hegemann 14.05.201716:49 Uhr

Zweitkarzinomrate nach Ersttherapie des Prostatakarzinoms

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

Wir freuen uns, dass unsere Arbeit über das Zweittumorrisiko nach Strahlentherapie des Prostatakarzinoms in der Ärztezeitung publiziert wurde und von Herrn Thomas Müller kommentiert worden ist. Diese Thematik ist extrem brisant und verschiedene SEER- und Tumorregister-Analysen kommen zu teils widersprüchlichen Ergebnissen.
Leider gibt der Artikel von Herrn Müller eine verkürzte Darstellung unserer Arbeit wieder und suggeriert, dass die Strahlentherapie des Prostatakarzinoms das Risiko für Zweitkarzinome erhöht. Wir meinen, dass bei einzelner Betrachtung der als Zweittumor in Frage kommenden Tumorentitäten die monokausale These des Referenten einer „sehr wohl erhöhten Tumorinzidenz bei alleiniger Bestrahlung“ den wirklichen Verhältnissen nicht gerecht wird.
Wir danken daher dem Autor sowie dem Verlag für die Möglichkeit, die Ergebnisse unserer Arbeit kurz zusammenzufassen:
Generell spricht man von einem durch Bestrahlung induzierten Zweittumor, wenn dieser in räumlicher Nähe zum Bestrahlungsvolumen, mit zeitlicher Verzögerung von mindestens 10 Jahren auftritt und häufig eine untypische Histologie aufweist.
In unserer Arbeit haben wir Patienten mit Prostatakarzinom, welche entweder eine alleinige Radiotherapie (3883 Patienten), eine alleinige radikale Prostatektomie (14289 Patienten) oder eine Kombination aus Operation gefolgt von Strahlentherapie (1366 Patienten) erhalten haben, miteinander in Hinblick auf die Zweitkarzinomrate verglichen. Typischerweise waren die Patienten mit alleiniger Strahlentherapie um 5 Jahre älter als die jeweiligen Patienten der anderen beiden Gruppen. Nach 10 Jahren entwickelten 15.9% der Patienten mit alleiniger Strahlentherapie einen Zweittumor, gefolgt von 13.2% der Patienten mit Kombinationstherapie und 10.5% der Patienten mit alleiniger Operation. Dies ist etwas, was uns, die wir unsere Prostatakarzinom Patienten, die eine primäre Bestrahlung erhalten, kennen, nicht verwundert hat: Diese Patienten sind nicht meist nicht nur älter, sondern haben deutlich häufiger den Lebensgewohnheiten, wie Rauchen, geschuldete Komorbiditäten als Patienten, die fit für eine Operation sind.
Schaut man sich die einzelnen Tumorentitäten, welche bei den Patienten im Verlauf nach der Ersttherapie des Prostatakarzinoms aufgetreten sind, an, so bestätigt sich unsere Einschätzung, dass nicht die Radiotherapie, sondern zum Großteil die bestehenden Lebensgewohnheiten für die leicht erhöhte Rate an Zweittumoren nach Strahlentherapie verantwortlich sind.
So wurden vermehrt Bronchialkarzinome bei Patienten nach primärer Strahlentherapie (2,2%) diagnostiziert, hingegen war die Rate bei Patienten nach Operation oder Kombinationsbehandlung (1.2%) gleich. Erstens ist es nach Definition bereits fraglich, ob ein Lungentumor definitionsgemäß überhaupt aufgrund der Entfernung von Zielvolumen als Strahlentherapie induzierter Tumor gezählt werden darf. Ferner konnte keine erhöhte Rate bei Patienten mit radikaler Prostatektomie und postoperativer Bestrahlung nachgewiesen werden. Dies deutet auf einen bestehenden Bias hin, welcher am ehesten der bestehende Nikotinabusus, ätiologisch der primäre Risikofaktor für ein Bronchialkarzinom ist.
Gleiches lässt sich für das Blasenkarzinom aufschlüsseln: Auch hier zeigt sich in unserer Kohorte eine leicht erhöhte Rate bei Patienten mit primärer Strahlentherapie (2,7%) gefolgt von Patienten mit Kombinationsbehandlung (1,5%) und radikaler Prostatektomie (1,1%). Es lässt sich nicht erklären, wieso die Rate an Blasenkarzinom bei Patienten mit Kombinationsbehandlung nicht gleichermaßen erhöht ist wie bei Patienten mit primärer Strahlentherapie, wenn nicht ein weiterer Faktor für die Tumorgenese herangezogen wird. Was auch in diesem Fall ein bestehender Nikotinabusus sein muss.
Das Rektumkarzinom, als möglicher strahleninduzierter Tumor mit räumlicher Nähe zum Bestrahlungsgebiet war bei Pati

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