HIV-Patienten
Psychische Störung oft unerkannt
Psychische Störungen treten bei HIV-Patienten häufig auf; sie bleiben aber in vielen Fällen unerkannt. Ein weiteres Problem: Sie können den Erfolg einer Anti-HIV-Therapie erheblich gefährden.
Veröffentlicht:BERLIN. Unter HIV-Patienten ist die Lebenszeitprävalenz für depressive Erkrankung bis zu doppelt so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung. Andreas Mertens, Psychiater in einer Berliner HIV-Schwerpunktpraxis, erinnert außerdem daran, dass sich etwa 50 Prozent aller Suizide in einer Depression ereignen.
"Psychiatrische Komorbidität begünstigt Substanzmissbrauch, sexuell riskantes Verhalten, schlechte CART (Combined Anti-Retroviral Therapy)-Adhärenz und schlechten Immunstatus", so Mertens (MMW 2014; 156 (Suppl. 1): 15).
Kumulative Stigmatisierung
Die psychosozialen Folgen von Depressionen, Angststörungen oder Psychosen sind unter Umständen Arbeitslosigkeit, Erwerbsunfähigkeit und soziale Isolation.
Die Betroffenen fühlen sich oft im beruflichen wie privaten Umfeld zurückgewiesen. "Die Patienten erleben sich als Objekt kumulativer Stigmatisierung durch psychische Krankheit, HIV-Infektion, Homosexualität oder Drogenabhängigkeit."
Differenzialdiagnostisch kann es recht schwierig sein zu erkennen, ob zum Beispiel der Mangel an Energie, Appetitlosigkeit oder Schlafstörungen die Symptome der HIV-Infektion sind, Zeichen unerwünschter Arzneimittelwirkungen oder eben einer Depression. Prinzipiell jedoch müsse Letzteres bei folgenden körperlichen Symptomen in Betracht gezogen werden, empfiehlt Mertens: Gewichtsverlust, gastrointestinale Symptome, Libidostörungen, Schwindel, Palpitationen, Tachykardien, Engegefühl, Luftnot, Parästhesien, Kopfschmerzen.
Belastende private sowie auch berufliche Situationen sind ebenso zu bedenken wie ein Substanzmissbrauch als Auslöser psychischer Störungen. Hepatitis-C-Virus-Koinfektion und eine Interferon-basierte Therapie gehen ebenfalls gehäuft mit Depressionen einher.
Psychotherapie plus Antidepressiva
Bei leichter Depression kann eine Psychotherapie bereits ausreichend sein. Ansonsten hilft die Kombination aus Psychotherapie mit Antidepressiva, die depressiven Kognitionen und Verhaltensmuster zu verändern sowie die Konfliktfähigkeit des Patienten zu stärken. HIV-Beratungsstellen unterstützen die Suche nach einem geeigneten Therapeuten.
Bei der medikamentösen Therapie zu bedenken sind mögliche Interaktionen mit CART: Unter den Anti-HIV-Medikamenten gibt es CYP3A-Induktoren und -Inhibitoren, viele Antidepressiva werden über CYP2D6 und CYP3A4 metabolisiert.
"Substrate mit geringer therapeutischer Breite und langer Elimination wie zum Beispiel trizyklische Antidepressiva, Fluoxetin und einige Benzodiazepine können problematisch sein", so ein Hinweis von Mertens.
Johanniskraut ist kontraindiziert, weil subtherapeutische CART-Plasmaspiegel auftreten können. Beachte man diese und weitere Regeln, ergäben sich in der Praxis wenige Probleme.
"Man sollte mit der halben Startdosis eines Antidepressivums beginnen und langsam in kleinen Schritten titrieren", so Mertens. Begleitet wird dies mit einem engmaschigen Monitoring, Plasmaspiegel-Kontrollen und der Klärung potenzieller Interaktionen, etwa mit Hilfe internetbasierter Datenbanken.
Vor Therapiebeginn sollten eine bipolare Störung und eine Psychose ausgeschlossen worden sein. Denn Antidepressiva können eine Manie auslösen oder die Psychose verstärken.
Oft empfohlen werden bei HIV-Patienten mit Depressionen die SSRI* Citalopram und Escitalopram, auch das SNRI (SNRI - Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Inhibitor) Venlafaxin ist nach Mertens Angaben meist gut mit der CART kombinierbar. Mirtazapin ist wegen seines sedierenden Effekts bei agitierten Patienten oder bei Schlafstörungen hilfreich.
Erst nach zwei bis vier Wochen kann mit dem Einsetzen der Wirkung von Antidepressiva gerechnet werden. "Die häufigsten Gründe für Non-Response sind eine zu geringe Dosis und zu kurze Therapiedauer", erklärt der Berliner Psychiater.
Vereinzelt würden unter SSRI (SSRI - selektiver Serotonin-Reuptake- Inhibitor) und SNRI paradoxe Effekte beobachtet, die meist schnell wieder abklingen. Ein abruptes Absetzen dieser Medikamente ist nicht empfehlenswert, weil dies zu Schwindel, Myalgien und Übelkeit führen kann - die Dosis muss also schrittweise reduziert werden. Bei Therapieresistenz werden zum Beispiel Lithium mit Neuroleptika kombiniert.