Neue Erkenntnisse
SARS-CoV-2 als Auslöser für Kawasaki-ähnliches Syndrom bei Kindern?
In mehreren Ländern berichten Ärzte von unerwartet vielen Kindern, die wegen eines Kawasaki-Syndroms behandelt werden müssen. Als Auslöser wird das neue Coronavirus vermutet – und die Hinweise, die diese Hypothese stützen, mehren sich.
Veröffentlicht:Bergamo. In Italien, Spanien, New York und dem Vereinigten Königreich häufen sich Krankheitsfälle bei Kindern, die Symptome wie eine schwere Vaskulitis, hohes Fieber oder Exantheme zeigen. Die Erkrankungen ähneln dem seltenen Kawasaki-Syndrom, die genaue Ursache ist aber noch unklar.
Grundsätzlich wird als Auslöser des Kawasaki-Syndroms eine Fehlreaktion des Immunsystems auf Pathogene bei Personen mit einer genetischen Prädisposition vermutet. Ein Zusammenhang mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 ist daher durchaus plausibel.
Zunahme der Fälle um 30 Prozent
Auch in der von der Corona-Pandemie stark betroffenen italienischen Region Bergamo hat es einen deutlichen Anstieg gegeben, berichten Kinderärzte des Papa Giovanni XXIII. Krankenhauses in Bergamo: Während im Zeitraum Januar 2015 bis Mitte Februar 2020 gerade einmal 19 Kinder wegen eines Kawasaki-Syndroms behandelt wurden, seien es zwischen dem 18. Februar und 20. April – also gerade einmal zwei Monaten – 10 Fälle gewesen. Das bedeutet ein Anstieg um 30 Prozent (Lancet 2020; online 14. Mai).
Bei 8 dieser 10 Kinder wurden zudem Antikörper gegen SARS-CoV-2 nachgewiesen, was für die Kawasaki-ähnlichen Symptome als eine späte Manifestation einer SARS-CoV-2-Infektion spricht.
Das Team um Dr. Lucio Verdoni hat nun erstmals detaillierte Daten zum Krankheitsverlauf aller 29 Kinder publiziert. Ihre Theorie: Zeigen sich bei Kindern, die vor dem 18. Februar wegen eines Kawasaki-Syndroms (definiert nach den Kriterien der American Heart Association) behandelt wurden, und den Kindern, die in Zeiten der Corona-Pandemie behandelt wurden, spezifische Unterschiede, stützt das die Vermutung, dass SARS-CoV-2 als Auslöser hinter den aktuellen Krankheitsfällen steckt.
Eigene Klassifizierung?
Tatsächlich wurden die Ärzte fündig: Während die Kinder in der Prä-Corona-Zeit eher jünger waren (im Mittel drei Jahre), waren die Kinder, die während der Pandemie behandelt wurden, älter (7,5 Jahre). Zudem wurden zu Corona-Zeiten deutlich häufiger schwere Symptome und kritische Verläufe festgestellt. So litten 60 Prozent der Kinder an kardialen Komplikationen, bei den früheren Fällen waren es dagegen nur 10 Prozent gewesen. 50 Prozent zeigten ein toxisches Schock-Syndrom, vor dem 18. Februar war eine solche Komplikation bei keinem einzigen Kind mit Kawasaki-Syndrom festgestellt worden.
Daraus resultierend mussten die Kinder auch unterschiedlich therapiert werden: Zwar wurden alle 29 Kinder mit Immunglobulinen behandelt, allerdings erhielten während der Corona-Pandemie 80 Prozent der Kinder zusätzlich Steroide. In den Jahren zuvor hatten nur 16 Prozent der Kinder eine solche Behandlung benötigt.
In der früheren Gruppe erholten sich alle Kinder vollständig, und auch alle während der Pandemie behandelten Kinder wurden mittlerweile aus der Klinik entlassen, die Behandlung mit Acetylsalicylsäure und Thrombozytenaggregationshemmern wird Angaben der Pädiater zufolge derzeit aber noch fortgesetzt.
Aufgrund der deutlichen klinischen Unterschiede plädieren die Pädiater trotz der in der Studie analysierten geringen Fallzahl dafür, die während der Corona-Pandemie aufgetretenen Fälle als eigenes „Kawasaki-ähnliches Syndrom“ zu klassifizieren. „Die Erkrankung bleibt insgesamt aber eine sehr seltene Komplikation“, betonen die Ärzte. Die meisten Infektionen mit SARS-CoV-2 bei Kindern verliefen asymptomatisch oder sehr mild.