Schmerz ist teuer - Demenz nicht
Über den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich wird Geld an die Kassen verteilt. Einer seiner Bausteine, ein Katalog von 80 Krankheiten, wurde neu gefasst. Chronischer Schmerz gehört jetzt dazu, Demenz nicht mehr.
Veröffentlicht:BERLIN/BONN. Die große Umverteilungsmaschine zwischen den Krankenkassen, der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA), wird modifiziert.
Das Bundesversicherungsamt (BVA) hat für das Jahr 2013 das Raster von 80 Krankheiten verändert, mit dem die "Morbiditätslast" der Versicherten einer Kasse ermittelt wird.
Berücksichtigt werden sollen, so will es der Verordnungsgeber, vor allem Krankheiten "mit schwerwiegendem Verlauf", die besonders kostenintensiv sind.
Das Resultat spaltet die Ärzteschaft: Einige Fachgesellschaften und Verbände jubeln, andere sind entsetzt.
So haben beispielsweise Schmerztherapeuten die Aufnahme des chronischen Schmerzes als Krankheit in die Liste der 80 Krankheiten begrüßt. Dagegen wird Demenz - einschließlich der Alzheimer-Erkrankung und vaskulärer Demenz - aus dem Katalog herausgenommen.
Morbi-RSA: Nur Kosten der Krankenversicherung
Für die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft zeigen sich an diesem Beispiel die Folgen der Sektorisierung des Gesundheitswesens: "Mit dem Morbi-RSA werden nur die Kosten der Krankenversicherung betrachtet. Was eine leitliniengerechte Therapie und die Ausnutzung der Rehabilitationspotenziale für die Pflegekassen und auch für die Versorgung durch die Familien bedeutet, wird in dieser Sichtweise nicht berücksichtigt", heißt es in einem Schreiben an das BVA.
Tatsächlich hat die Behörde als Begründung für die Herausnahme der Demenz aus der Liste angeführt, sie erfülle nicht "das Aufgreifkriterium 'kostenintensiv‘".
Vergeblich hatte die Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie an BVA-Chef Dr. Maximilian Gaßner appelliert, er habe es in der Hand, "die Chancen für eine umfassende medizinische Behandlung von Demenzkranken" zu verbessern oder zu verschlechtern.
BMI von über 35 neu in die Liste aufgenommen
Die Behörde setzt, so ergibt sich aus Erläuterungen zu dem Krankheitskatalog, nun auf das Prinzip Hoffnung: "Die Nichtberücksichtigung der Demenz im Morbi-RSA darf nicht als Argument für eine fortbestehende Unterversorgung (...) missbraucht werden."
Mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgen Experten auch, dass "Adipositas mit Krankheitsbezug" bei Versicherten mit einem BMI von über 35 neu in die Liste aufgenommen wird.
Begründet wurde dies damit, Adipositas sei ein etablierter Risikofaktor für viele chronische Krankheiten.
Liste zum Download
Bundesversicherungsamt: Krankheiten für das Ausgleichsjahr 2013 (Größe: 13,4 KByte)
Unter den beteiligten Fachleuten wurde aber angemerkt, die meisten der durch Adipositas verursachten Krankheiten (zum Beispiel Hypertonie, koronare Herzkrankheit oder Diabetes Typ 2) seien ohnehin schon im Morbi-RSA berücksichtigt. Dem wurde entgegengehalten, Adipositas werde zunehmend als eigenständiger Kostenfaktor diskutiert.
Insgesamt wurden - außer chronischem Schmerz und Adipositas - folgende Krankheiten neu in die Liste des Morbi-RSA aufgenommen:
Peritonitis, Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend, tiefgreifende Entwicklungsstörung, bösartige Neubildungen der Genitalorgane, Schlafapnoe, Narkolepsie und Kataplexie sowie Angst- und Zwangsstörungen.
Herausgefallen aus der Liste sind außer Demenz:
Bösartige Neubildungen der männlichen Genitalorgane, akute schwere Lebererkrankung, Angsterkrankungen, hypertensive Herz-/Nierenerkrankung/Enzephalopathie, Asthma bronchiale, vaskuläre Retinopathien, Risikogeburt.
Grundpauschale, Zu- und Abschläge: Wie der Morbi-RSA funktioniert
Mit dem Start des Gesundheitsfonds im Jahr 2009 wurde auch der Risikostrukturausgleich (RSA) zwischen den Kassen erweitert.
Bis Ende 2008 erfasste der Ausgleich nur das Alter und Geschlecht der Versicherten. Außerdem wurde berücksichtigt, ob eine Erwerbminderungsrente bezogen wird. Seit 2009 fließt in den Ausgleichsmechanismus außerdem eine Liste von 80 Krankheiten ein. So soll das Geld dorthin gelangen, wo es zur Versorgung am dringendsten gebraucht wird.
Neben einer Grundpauschale werden mithilfe eines Klassifikationsmodells Zu- und Abschläge ermittelt. Ein Beispiel: Eine Kasse erhält für eine 24-jährige Versicherte eine Grundpauschale.
Ist sie gesund, wird ein Abschlag ermittelt. Hat die Versicherte dagegen beispielsweise Epilepsie, ergibt sich ein Aufschlag.
Der Leistungsanspruch eines Versicherten ist von diesen Verteilungsregeln völlig unberührt.