Über 90-Jährige
Schützt Hypertonie vor Demenz?
Was nach allgemeiner Auffassung die Entwicklung von Demenz eher beschleunigt, könnte paradoxerweise im hohen Alter die umgekehrte Wirkung haben: Forscher haben jetzt festgestellt, dass Menschen, die erst mit über 80 oder 90 Jahren Bluthochdruck entwickeln, seltener dement werden.
Veröffentlicht:KOPENHAGEN. Bluthochdruck steht in einem denkbar schlechten Ruf. Blutdruckwerte oberhalb der Norm gehören gesenkt, um kardiovaskulären Erkrankungen und möglicherweise auch dem Verlust geistiger Fähigkeiten vorzubeugen, lautet die uneingeschränkte Devise der Präventionsmedizin.
Doch möglicherweise ist die schädigende Wirkung gar nicht die ganze Wahrheit über Hypertonie.
Im hohen Alter könnte sich ihre böse Eigenschaft womöglich ins positive Gegenteil verkehren. Das legen jedenfalls Beobachtungen nahe, die ein US-Forscherteam um Dr. Maria Corrada von der University of California in Irvine in einer Studie bei betagten Menschen gemacht hat.
Corrada hat die Studienergebnisse bei der Alzheimer's Association International Conference (AAIC) 2014 in Kopenhagen vorgestellt (AAIC 2014; Abstract P2-083). Die Studie (90+ Study) ihrer Arbeitsgruppe ist ein 2003 begonnenes Folgeprojekt einer 1981 gestarteten Beobachtungsstudie (Leisure World Cohort Study).
Studie bei über 90-Jährigen
Teilnehmer, die 2003 ein Alter von mindestens 90 Jahren erreicht hatten, wurden gefragt, ob sie bereit wären, auch am Folgeprojekt teilzunehmen. Insgesamt 625 Personen, die im Schnitt 93 Jahre alt und frei von Demenz waren, stimmten dem zu.
Bei ihnen haben die Untersucher dann innerhalb eines Beobachtungszeitraums von bis zu zehn Jahren (im Schnitt 2,8 Jahre) alle sechs Monate Informationen zum Gesundheitszustand eingeholt. Die Teilnehmer wurden auch danach befragt, ob bei ihnen in der Vergangenheit Bluthochdruck festgestellt worden war.
Im Studienverlauf entwickelten 259 Teilnehmer (41 Prozent) eine Demenz. Diejenigen Personen, bei denen eine Hypertonie schon vor Erreichen des 80. Lebensjahres aufgetreten war, hatte das gleiche Demenzrisiko wie Teilnehmer mit normalen Blutdruckwerten.
Dagegen war ein Bluthochdruck, der sich erst in der achten Lebensdekade entwickelt hatte, bereits mit einem signifikant um 41 Prozent niedrigeren Risiko für Demenz assoziiert.
Trat die Hypertonie erst im Alter von über 90 Jahren auf, war das Risiko für eine künftige Demenz-Entwicklung sogar signifikant um 55 Prozent niedriger.
Weitere Forschung nötig
Die Untersucher verließen sich nicht allein auf die subjektiven Angaben zur Hypertonie in der Vorgeschichte, sondern blickten auch auf die zu Studienbeginn gemessenen Blutdruckwerte der Teilnehmer. Auch hier zeigte sich wieder das gleiche Muster: je höher der Blutdruck, desto seltener die Demenz.
Noch lassen sich aus diesen Ergebnissen keine praktischen Schlussfolgerungen ziehen. Bei Menschen im Alter über 80 Jahren Blutdrucksenker abzusetzen oder den Salzkonsum zu steigern, um den Blutdruck aus Gründen der Demenz-Prävention in die Höhe zu treiben, wäre sicher keine gute Idee.
Die scheinbar paradoxen Befunde der Arbeitsgruppe Corradas verleihen aber der Forderung vieler Hypertonie-Experten Nachdruck, die es für dringend notwendig halten, die Auswirkungen der Hypertonie und ihrer medikamentösen Behandlung bei der wachsenden Population der sehr alten Menschen gründlicher zu erforschen. (ob)