Mehnert-Kolumne
Sinneswandel bei Diabetes am Steuer
Es gab Zeiten, da wollten Staatsanwälte allen Diabetikern verbieten, einen PKW zu fahren. Langsam tritt beim Thema Autofahren und Diabetes aber ein Sinneswandel ein. Die Gründe erklärt unter Kolumnist Professor Hellmut Mehnert.
Veröffentlicht:Prof. Hellmut Mehnert
Arbeitsschwerpunkte: Diabetologie, Ernährungs- und Stoffwechselleiden: Diesen Themen widmet sich Prof. Hellmut Mehnert seit über 50 Jahren.
Erfahrungen: 1967 hat er die weltweit größte Diabetes-Früherfassungsaktion gemacht sowie das erste und größte Schulungszentrum für Diabetiker in Deutschland gegründet.
Ehrung: Er ist Träger der Paracelsus-Medaille, der höchsten Auszeichnung der Deutschen Ärzteschaft.
Über viele Jahre wurde das Thema "Autofahren und Diabetes" kontrovers diskutiert. Es gab doch tatsächlich Staatsanwälte, die allen Diabetikern (!) das Führen eines PKW - von einem LKW ganz zu schweigen - völlig verbieten wollten. Erfreulicherweise ist hier ein Sinneswandel eingetreten. Mehrere Gründe haben dazu geführt.
Zum einen hat sich gezeigt, dass Diabetiker sogar eine niedrigere Unfallrate haben als Nichtdiabetiker. Bei der Therapie mit Insulin oder mit Sulfonylharnstoffen sind sich die meisten Zuckerkranken offenbar ihres Hypoglykämie-Risikos bewusst.
Sie halten sich an die Regeln, um Verkehrsteilnehmer nicht zu gefährden. Das gilt etwa auch für das Alkoholverbot. Alkohol beeinträchtigt ja nicht nur die Konzentration, sondern auch die hepatische Glukoneogenese und verstärkt so Hypoglykämie-Risiken.
Hinzu kommt: Im Zeitalter einer individualisierten Medizin dürfen keine pauschalen Urteile mehr über bestimmte Patientengruppen gefällt werden. Bei der Frage nach der Fahrtauglichkeit eines Diabetikers ist immer auch die persönliche Situation zu bewerten. Wichtige Kriterien hierfür sind Art der Behandlung, Qualität der Stoffwechselführung, Schulung und Kooperationsbereitschaft.
Blutzuckerselbstmessung wichtig
Generell gilt: Auch insulinpflichtige Diabetiker können grundsätzlich den Führerschein für die Klassen der Gruppe 1 (A, A1, B, BE, C1) erwerben. Die wichtigsten Voraussetzungen dazu sind: Patienten müssen Unterzuckerungen zuverlässig erkennen und dagegen vorgehen können.
Die Stoffwechseleinstellung wird regelmäßig ärztlich untersucht. Die Patienten messen selbst ihren Blutzucker und führen ein Blutzuckertagebuch.
Auch Führerscheinklassen der Gruppe 2 (C, C1E, D, D1, DE und D1E) können Diabetiker erwerben. Nach der gerade aktualisierten "Begutachtungsrichtlinie der Bundesanstalt für das Straßenwesen" gelten aber strengere Anforderungen. Nimmt der Betroffene Medikamente mit niedrigem Hypoglykämierisiko ein, sind regelmäßige ärztliche Kontrollen sowie eine Nachbegutachtung durch einen Facharzt für Innere Medizin oder Diabetologie vorgeschrieben.
Im Fall einer Therapie mit Sulfonylharnstoffen oder Insulin sehen die Richtlinien außer ärztlichen Kontrollen eine fachärztliche Begutachtung alle drei Jahre vor. Dabei ist auch das Gefährdungspotenzial im Beruf zu berücksichtigen: Gibt es Termindruck oder unregelmäßige Arbeitszeiten? Wird nur auf einem Betriebsgelände gefahren?
Urteil über Komplikationen
Auch Diabetes-Komplikationen müssen bei der Begutachtung von Führerscheinbewerbern berücksichtigt werden. Dazu gehören vor allem Sehstörungen oder auch das Vorliegen eines instabilen Brittle diabetes.
Führerschein-Entzug droht bei schweren Stoffwechselentgleisungen: Erleidet ein Patient binnen eines Jahres mehrmals eine so schwere Unterzuckerung, dass fremde Hilfe erforderlich ist, darf er (zunächst) nicht mehr fahren.
Das gleiche gilt bei labiler Stoffwechsellage (etwa während einer Neueinstellung), schweren Komplikationen an Nieren, Augen oder Nerven sowie vorzeitiger Alterung mit schlechter Reaktionsfähigkeit und Konzentrationsmängeln.
Wichtige Regeln vor dem Fahrtantritt und bei der Fahrt sind zudem:
Blutzucker zu messen und vorsorglich zwei bis drei Broteinheiten an Kohlenhydraten zu essen.
Mitgeführt werden müssen leicht resorbierbare Kohlenhydrate sowie ein Diabetikerausweis, der bei einer Hypoglykämie auf die medizinischen Gegenmaßnahmen hinweist.
Deutet sich eine Unterzuckerung an, muss die Fahrt natürlich sofort unterbrochen werden; nach der Zufuhr rasch resorbierbarer Kohlenhydrate (Traubenzucker, Fruchtsäfte und Brot) ist eine Fahrpause von mindestens 20 Minuten einzulegen.
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