Rauchstopp

Tabakentwöhnung – der Faktencheck

Jedem Raucher mit einer chronischen Lungenerkrankung sollte eine strukturierte Tabakrauch-Entwöhnung angeboten werden, empfehlen die DGIM und DGP.

Von Dr. Thomas Hering Veröffentlicht:
Etwa jeder sechste vorzeitige Todesfall geht auf Tabakkonsum zurück.

Etwa jeder sechste vorzeitige Todesfall geht auf Tabakkonsum zurück.

© David Dieschburg/fotolia.com

Die DGIM und die DGP haben in der Choosing-Wisely-Initiative an vorderster Stelle die Empfehlung gesetzt, dass jedem Raucher eine strukturierte Tabakentwöhnung angeboten werden soll. Vor dem Hintergrund der hohen Tabak-assoziierten Morbidität und Mortalität kann dieses nur dringlich unterstrichen werden: Etwa 110 Tausend vorzeitige Todesfälle (etwa jeder 6. Todesfall) sind auf den Tabakkonsum zurückzuführen. An vorderster Stelle rangieren das Bronchialkarzinom, die kardiovaskulären Erkrankungen (vor allem Herzinfarkt) und COPD-Erkrankungen. Sollte in einer vorerst nur erträumbaren Welt das Tabakrauchen vollständig überwunden sein, wäre erst nach etwa 25 Jahren mit einem weitestgehenden Verschwinden der assoziierten Erkrankungen zu rechnen.

Wo aber stehen wir heute? In der Gesundheitsversorgung sind die Motivation zur Tabakentwöhnung und die therapeutische Unterstützung des Rauchstopps in einer im Kontrast zum wissenschaftlichen Erkenntnisstand skandalösen Weise mit Barrieren versehen. Verhaltenstherapeutische Unterstützung des Rauchstopps wird in der Regel nicht oder ggf. nur in geringen Anteilen vergütet und die für die langfristige Abstinenz erforderliche medikamentöse Unterstützung wird als "Lifestyle-Medikation" vom Gesetzgeber fehlklassifiziert und von der Erstattung durch die Krankenkassen ausgeschlossen.

Kleine Fortschritte sind allerdings am Horizont zu erkennen:

» Der GBA hat für 2017 beschlossen, dass innerhalb des Disease-Management-Programmes COPD verhaltenstherapeutische Unterstützung der Tabakentwöhnung mit strukturierten Programmen erstattet werden soll. Die medikamentöse Unterstützung ist hiervon weiterhin ausgeschlossen. Bis zur Realisierung müssen allerdings noch entscheidende Schritte vollzogen werden.

Die Anwendung der strukturierten Tabakentwöhnungsprogramme muss vertraglich in allen KVen zu einem auskömmlichen Preis vereinbart werden, um tatsächlich eine Chance auf Realisierung zu haben. Erst danach darf damit gerechnet werden, dass auf breiter Front Praxen sich entsprechend qualifizieren und die Tabakentwöhnung als Routine-Therapiemaßnahme für ihre Patienten anbieten.

Und: Dieses Erstattungsangebot richtet sich gerade mal an diejenigen COPD-Patienten, die innerhalb des DMP versorgt werden und noch rauchen. Eine orientierende Abschätzung lässt vermuten, dass es sich hier allenfalls um 200.000 Raucher und Raucherinnen handelt – die Gesamtanzahl der Raucher in Deutschland beträgt etwa das 100-fache.

» Die neue OPS 9-501 (Multimodale stationäre Behandlung zur Tabakentwöhnung) ist eingeführt, bisher aber noch ohne Vergütung. Derzeit laufen Piloten zur Kalkulation der Leistung. Der kombinierte Einsatz von Ärzten, Psychologen und qualifiziertem Pflegepersonal zur Motivation stationärer Patienten für den Rauchstopp und deren Beginn bzw. die Veranlassung in ambulanten Entwöhnungs-Institutionen ist vorgesehen.

Hierin besteht eine große Chance, da Patienten im stationären Setting oft in besonderer Weise motivierbar sind für die Rauchstopp-Entscheidung. Wenn die OPS einschließlich einer akzeptablen Vergütung eingeführt sein wird, werden also Patienten den direkten Zugang zu strukturierten Entwöhnungsprogrammen erhalten.

Voraussetzung ist auch hier, dass deren Durchführung adäquat vergütet wird (ambulante Entwöhnungs-Institute). Und auch hier würde gelten, dass erst der kombinierte Einsatz von Verhaltenstherapie und medikamentöser Unterstützung zu optimalen Abstinenz-Quoten mit dauerhafter Rückfall-Abwendung führt.

Welche Effektivität ist bei der Entwöhnung zu erwarten? Wenn gemäß den aktualisierten Leitlinien eine strukturierte Verhaltenstherapie (Gruppen-Intervention) mit einer medikamentösen Unterstützung kombiniert wird und dieses im Setting der dauerhaft betreuenden ärztlichen Praxis (bzw. einer entsprechenden Klinik-Ambulanz) stattfindet, sind Langfrist-Abstinenz-Quoten von annähernd 50% realistisch. Ein fantastisches Ergebnis für eine suchttherapeutische Maßnahme! Die entsprechenden strukturierten Entwöhnungsprogramme (Rauchfrei Programm des IFT-Institutes, Rauchfrei in 6 Wochen-Programm der Univ. Tübingen, Mein Nichtraucherprogramm des Bundesverbandes der Pneumologen) sind flächendeckend vorhanden und sie sind evaluiert und publiziert.

Die medikamentöse Unterstützung mit hierfür zugelassenen Medikamenten ist selbstverständlicher Bestandteil dieser Programme. Im Vordergrund stehen hier die Nikotinersatzpräparate und zunehmend Vareniclin. Letztere Substanz wurde lange verdächtigt, gefährliche psychotrope Nebenwirkungen zu haben (Depressivität, Irritabilität, Suizidalität). Diese Eigenschaften hat Vareniclin nicht, wie eine sehr breite kürzlich publizierte Studie zur medikamentösen Therapie im Rahmen der Tabakentwöhnung (EAGLES) zeigen konnte.

Nichtsdestoweniger: Die Forderung der Ärzte muss sein, dass allen Rauchern die Tabakentwöhnung in ihrer Leitliniengerechten Form – Verhaltenstherapie plus medikamentöse Unterstützung – angeboten werden muss. Entwöhnung muss zur niederschwelligen Routinemaßnahme werden, die jeder Arzt durchführen bzw. veranlassen kann. Bis dahin ist noch ein weiter Weg.

Der Gesetzgeber hat auf konzertierte Appelle aller Fachgesellschaften, an denen an vorderster Stelle die pneumologischen Gesellschaften und Verbände beteiligt waren, nicht reagiert. Deswegen läuft die konzertierte Klageinitiative, die das Angebot der Entwöhnung für alle Raucher als selbstverständliches Element der Gesundheitsversorgung erzwingen soll (www.wat-ev.de).

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