Einrichtungsbezogene Impfpflicht
Verstöße gegen Corona-Impfpflicht kaum geahndet
Wenige Bußgeldbescheide und kaum Tätigkeitsverbote: Fast 270.000 Verstöße gegen die Corona-Impfpflicht wurden den Gesundheitsämtern von Kliniken, Pflegeeinrichtungen und Praxen gemeldet. Konsequenzen hatte dies für die Betroffenen nur selten.
Veröffentlicht:Berlin. Die Impfpflicht für das Personal von Kranken- und Pflegeeinrichtungen war vor einem Jahr hoch umstritten. Den knapp 270.000 Verstößen gegen das von März bis Ende Dezember 2022 geltende Gesetz stehen lediglich rund 8250 Bußgeldverfahren oder Tätigkeitsverbote gegenüber, davon 6975 Bußgeldverfahren. Das ergab eine Umfrage der „Welt am Sonntag“ bei allen 16 Landesregierungen.
Danach meldeten die Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen den Gesundheitsämtern 268.889 Mitarbeiter, die keinen gültigen Impf- oder Genesenen-Nachweis vorzeigen konnten. Die meisten Verstöße (62.184) wurden in Bayern registriert (Stand Anfang Dezember), gefolgt von Sachsen mit 45.257 (Stand Ende Oktober).
Gesundheitsämter nutzten vielerorts ihren Ermessensspielraum
Sieben Länder gaben an, kein einziges Bußgeldverfahren angestrengt zu haben. Vielerorts nutzten die Gesundheitsämter also den vom Gesetzgeber gewährten Ermessensspielraum und verhängten keine Sanktionen.
Die einrichtungsbezogene Impfpflicht war zum Jahresende ausgelaufen. Mehrere Bundesländer hatten sich zuvor geweigert, das Gesetz streng durchzusetzen. Pflegeexperten hatten darauf hingewiesen, dass die Maßnahmen das dringend gebrauchte Pflegepersonal weiter ausdünnen könnten.
Trotz des Vollzugsdefizits verteidigte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD im Bundestag, Heike Baehrens, das Gesetz: „Die einrichtungsbezogene Impfpflicht war eine sachgerechte und wichtige Maßnahme, um die Verletzlichsten in unserer Gesellschaft zu schützen“, sagte sie der Zeitung.
„Rohrkrepierer mit Ansage“
Andrew Ullmann, der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, kritisierte die mangelhafte Umsetzung. „Bei allem Verständnis für Ressourcenengpässe und Personalmangel sollten die Länder auf Spurensuche gehen und analysieren, wieso geltendes Recht so spärlich durchgesetzt wurde“, sagte er. „Wenn nur wenige Prozent der Fälle zum Verfahren gebracht wurden, obwohl der Verstoß bekannt war, liegt hier ein großer Missstand vor.“
Heftige Kritik kommt aus der Opposition. „In weiten Teilen Deutschlands war die einrichtungsbezogene Impfpflicht faktisch nie in Kraft“, sagt Tino Sorge (CDU), gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Die unterschiedliche Handhabung des Gesetzes sei ungerecht, insbesondere aus Sicht jener Beschäftigten, denen die Arbeit tatsächlich untersagt worden sei. Die Impfpflicht für die Einrichtungen sei „ein Rohrkrepierer mit Ansage“ gewesen.
Patientenschützer: Tägliches Testregime wäre besser gewesen
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz sieht sich in ihrer Kritik an der Corona-Impfpflicht im Gesundheitswesen bestätigt. „Anstelle dieser sieben Monate andauernden Farce wäre ein bundesweit geltendes, tägliches Testregime der Weg gewesen, in der Alten- und Krankenpflege mit Corona zu leben“, sagte Vorstand Eugen Brysch am Sonntag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Dortmund.
Deutschland habe beim Hygiene-Schutz in der Kranken- und Altenpflege weiterhin Nachholbedarf, fügte er hinzu. „Infektionen und Keime sind besonders für die verletzlichen Menschen immer noch eine Gefahr.“
Von Anfang an sei klar gewesen, dass die Erwartungen der Befürworter der Impfpflicht nicht erfüllt werden könnten, erklärte Brysch. „Denn auch Geimpfte geben das Virus weiter. Für alte, kranke und pflegebedürftige Menschen bleibt somit das Risiko der Ansteckung, des Leidens und Sterbens.“
Viele Bundesländer und Gesundheitsämter hätten die Wirkungslosigkeit dieses Gesetzes erkannt. So seien Fristen mehrfach verlängert worden, um Sanktionen so lang wie möglich hinauszuzögern oder gar nicht zu vollstrecken. (KNA)