Vom Terrorvirus zur Mutation des Schreckens
Eine neue Studie sorgt für Aufsehen: Aus dem bislang für Menschen wenig ansteckenden Vogelgrippe-Virus könnte ganz leicht ein pandemisches Schreckgespenst werden. Manche fürchten sogar Bioterrorismus. Doch die Brisanz steckt in einem anderen Detail.
Veröffentlicht:ROTTERDAM. Wer am Wochenende einen Blick in die Zeitung geworfen hat, muss panisch geworden sein angesichts der Schlagzeilen: Von der "Mutation des Schreckens" war die Rede. Ein Supervirus, ja gar Terrorvirus bedrohe die menschliche Spezies.
In gefährlichen Experimenten, so hieß es, hätten Forscher aus dem Influenzavirus einen kleinen Killer erschaffen. Schlimmer noch: Terroristen würden sich die Hände reiben angesichts dieser brisanten Bauanleitung. Die große Frage: Droht nach dem Cyberwar jetzt der Bioterror?
Wohl kaum, denn noch gibt es das Genlabor nicht wie den Chemiebaukasten im Einzelhandel zu kaufen. Doch was das Wissenschaftsjournal "Science" am Donnerstag veröffentlicht hat, ist auch so brisant genug (Science 2012; 336: 1534).
Immerhin ist es einem Team um den Influenzaforscher Professor Ron Fouchier von der Erasmus-Universität in Rotterdam gelungen, ein Vogelgrippevirus (H5N1) zu züchten, das sich via Tröpfcheninfektion verbreiten kann - womöglich sogar von Mensch zu Mensch.
Daten der waghalsigen Experimente zensieren oder publizieren?
Fouchiers Publikation setzt einen vorläufigen Schlussstrich unter eine acht Monate währende Debatte. Denn erste Details der Forschung wurden bereits im vergangenen September bekannt.
Eine ähnliche Studie seines Kollegen Professor Yoshihiro Kawaoka von der US-Universität in Wisconsin wurde bereits vor eineinhalb Monaten veröffentlicht (Nature 2012; online 2. Mai).
Im Kern der Debatte stand die Frage, ob Forscher solch waghalsige Experimente überhaupt durchführen dürfen. Und wenn ja: Sollten die Daten dann nicht besser zensiert statt für die Allgemeinheit publiziert werden?
Denn die möglichen Gefahren dieser Forschung lagen für etliche Experten auf der Hand: Laborunfälle mit dem Risiko einer Pandemie, oder Bioterroristen, die solche Publikationen als Bauanleitungen für Biowaffen einsetzen könnten.
Professor Paul Keim warnte vor allem vor Letzerem, dem sogenannten "Dual Use". Keim ist immerhin Chef des US-Beratergremiums für Biosicherheit (NSABB).
Das NSABB hatte die Studien Ende vergangenen Jahres begutachtet und war zu dem Schluss gekommen, dass sie am besten entweder gar nicht oder nur zensiert veröffentlicht werden sollten.
Daraufhin war ein Streit zwischen Politik und Wissenschaftlern entbrannt. Ende Februar hatte sich sogar die Weltgesundheitsorganisation WHO eingeschaltet und einen zweitägigen Workshop in Genf anberaumt.
Hitzige Debatte
Zum Hintergrund: Die Projekte von Fouchier und Kawaoka wurden vom NIH finanziell gefördert. Nach den neuen NIH-Richtlinien hätte die Behörde weitreichend Einfluss auf die Publikation nehmen können, wie Dr. Mark S. Frankel von der amerikanischen Akademie der Wissenschaften AAAS nun kritisiert (Science 2012; 336: 15233).
Die Forscher ließen damals nicht von ihren Vorhaben ab, die Daten zu veröffentlichen. Zwar stimmten sie zunächst dem NSABB-Vorschlag zu, die Studien zu überarbeiten. Doch die WHO beharrte auf der Influenza-Forschung und empfahl die vollständige Veröffentlichung.
Auch US-Senatoren mischten sich in die hitzige Debatte ein. Schließlich gab das NSABB bei, und so wurden die Studien von Kawaoka und Fouchier auch unzensiert veröffentlicht - wenngleich Fouchiers Team (für ein wissenschaftliches Paper eher unüblich) zahlreiche Erklärungen eingefügt hat.
Doch was hat Fouchier eigentlich herausgefunden? Sein Ansatz ist leicht erklärt: Er wollte erforschen, wie H5N1 leicht von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Bis heute infiziert das Virus nämlich nur in seltenen Fällen Menschen.
Dies geschieht vor allem bei intensivem Kontakt mit infiziertem Geflügel. Der Virusstamm war 1997 in Hongkong erstmals von Menschen isoliert worden. Bei 18 Patienten hatte sich der Erreger damals nachweisen lassen, sechs davon waren gestorben.
Mehr als eine Million Hühner und anderes Geflügel wurden in Folge in Hongkong getötet, um die Gefahr durch die Vogelgrippe für den Menschen einzudämmen. Das Problem der aviären Influenza ist der Sialinsäure-Rezeptor, an dem das Hämagglutinin von Influenza andockt.
Vogelgrippe-Viren binden vor allem an a-2,3-Rezeptoren, die vor allem in Trachea und Lunge zu finden sind. Humane Influenza-Viren hingegen bevorzugen a-2,6-Salinsäurerezeptoren, die in zwischen Larynx und Nase ausgeprägt sind - ein Einfallstor für Tröpfchen.
Mit drei Mutationen gestartet
Ein weiteres Problem für H5N1: Die optimale Temperatur zur Replikation der Viren liegt bei 41 Grad Celsius. Bei Menschen kommt sie höchsten pathologisch vor, bei Vögeln hingegen herrscht exakt diese Temperatur im Darm - ideal zur H5N1-Replikation.
Humane Influenzaviren sind hingegen an die 33 Grad Celsius in der menschlichen Luftröhre gewöhnt. Der Unterschied ist phänotypisch enorm, genotypisch hingegen reicht der Austausch einer Aminosäure im Polymerase-Komplexprotein 2 (PB2), um dem Virus den Temperaturunterschied schmackhaft zu machen - von Glutaminsäure zu Lysin.
Fouchier suchte also drei Mutationen, um das Vogelgrippevirus mit diesen Eigenschaften auszustatten, die es für Menschen gefährlich macht. Fündig wurde er bei Q222L und G224S für Hämagglutinin und E627K für das Polymerasekomplex-Protein PB2.
Damit stattete er ein H5N1-Virus aus, das Ärzte von einem im Jahr 2005 in Indonesien erkrankten Patienten isoliert hatten, und vermehrte es. An dieser Stelle traten die Frettchen auf den Plan.
Frettchen kommen seit 1933 als "Versuchskaninchen" für die Influenzaforschung zum Einsatz, weil sie für aviäre und humane Influenzaviren empfänglich sind, und weil sie ähnliche Erkrankungssymptome entwickeln wie Menschen.
Ein erstes Frettchen infizierte Fouchiers Team über die Nasenlöcher. Es erkrankte und wurde nach vier Tagen eingeschläfert, um aus der Nasenmuschel Proben entnehmen zu können.
Ein daraus gewonnenes "Virenkonzentrat" verabreichten die Forscher einem weiteren Frettchen, um auch ihm nach vier Tagen Proben aus der Nase zu entnehmen. Diese Passage wiederholten sie insgesamt zehnmal.
Ab dem sechsten Frettchen entnahmen sie allerdings keine Proben aus der Nasenmuschel, sondern regten die Tiere zum Niesen an. Das Sekret fingen sie aus Petrischalen auf.
Im Vergleich zu einer zweiten Gruppe, die mit einem Wildtyp-H5N1 infiziert wurde, zeigten sich in der "Mutantengruppe" schließlich deutlich erhöhte Virustiter.
Für die Forscher war klar: Mit der Mutation gelang dem Virus ab der vierten Frettchenpassage eine deutlich höhere Replikationsrate im oberen Respirationstrakt.
Natur hat selbst nachgeholfen
In einem zweiten Schritt infizierte das Team wieder vier gesunde Frettchen, benutzte dafür das Virenkonzentrat aus der letzten Passage des vorherigen Experiments. Nach einem Tag stellten sie die Käfige der Tiere in die Nähe eines jeweils weiteren Käfigs mit einem gesunden Frettchen.
Beide konnten sich nicht berühren - sich höchstens aber anniesen, denn ein Luftstrom verband beide Käfige. Nach drei Tagen waren drei der vier naiven Frettchen ebenfalls erkrankt.
Brisant: Die Viren hatten im Wirt zwei weitere Mutationen erhalten, die die Anheftung deutlich verbessern - die Natur hatte selbst nachgeholfen.
Für Fouchier der Beweis, dass die Mutation das Virus luftübertragbar gemacht hat. Und auch nach diesem Experiment besaßen die Viren noch immer die drei Mutationen, die die Forscher anfangs in das Erbgut eingebaut hatten.
Neben der vierten Mutation T156A war im Käfigexperiment außerdem noch eine fünfte Mutation hinzugekommen: H103Y, das ebenfalls die Proteinstruktur von Hämagglutin beeinflusst.
Fouchier: "Für Aminosäuren-Änderungen reichen offenbar aus, damit hochpathogene H5N1-Viren sich per Tröpfcheninfektion zwischen Säugetieren verbreiten können."
Allerdings: An der Infektion starb keines der Frettchen. Sie konnten sogar erfolgreich mit dem Neuraminidasehemmer Oseltamivir behandelt werden.
Lediglich wenn die Forscher extrem hohe Dosen der Viren direkt in die Luftröhre injizierten, entwickelten die Tiere eine Pneumonie und starben ab dem dritten Tag.
Allerdings sind die Ergebnisse dieses Experiments nicht auf die Natur übertragbar. Und schließlich war auch ein Antiserum eines anderen Vogelgrippestammes gegen den mutierten Virus wirksam.
Dass diese Forschung ihren berechtigten Hintergrund hat, zeigt ein Blick zurück in die vergangenen Jahre. Sieben Jahre lang war H5N1 nur in Südostasien ein Problem. Seit 2005 hat sich das Virus aber auch massiv in andere Länder ausgebreitet, etwa nach Russland, in die Türkei oder nach Ägypten.
Nach Angaben der WHO sind bisher weltweit fast 600 Erkrankungsfälle durch Vogelgrippe bei Menschen bekannt geworden. Fast 60 Prozent der Patienten starben daran.
Frage der Kosten und des politischen Willen
In Deutschland wurde das Virus erstmals 2006 in Wildschwänen in Rügen nachgewiesen. Seither hat es immer wieder Funde bei Wildvögeln gegeben.
Zwar sind Menschen in Deutschland noch nicht zu Schaden gekommen. Seit dem ersten Auftreten von H5N1 bei Menschen wird befürchtet, dass sich durch Mutationen ein hochinfektiöses Virus entwickeln könnte, das von Mensch zu Mensch übertragen wird.
Pharmaunternehmen haben deshalb schon früh mit der Entwicklung von Impfstoffen gegen H5N1 begonnen. Vor drei Jahren, bei Beginn der Schweinegrippe-Pandemie, gab es in Europa bereits vier zugelassene Musterimpfstoffe (Mock-up) auf Basis von H5N1.
Einige dieser Vakzinen konnten 2009 an den Schweinegrippe-Stamm H1N1 angepasst werden. Hierdurch wurde die schnelle Impfung großer Bevölkerungsteile gegen die pandemische Schweinegrippe innerhalb von sechs Monaten nach dem ersten H5N1-Fall ermöglicht. Aber auch die Vogelgrippe-Impfstoffe wurden seither weiterentwickelt.
Allerdings: Als die Auslieferung des H1N1-Impfstoffes gerade aufgenommen wurde, war die Spitze der Pandemie längst erreicht. Experten fordern deshalb neue Techniken und eine andere Regulierung, um bei Ausbrüchen neuer Virusstämme wesentlich schneller reagieren zu können.
Dr. Rino Rappuoli von Novartis Vaccines im italienischen Siena fordert eine globale Strategie gegen Pandemien (Science 2012; 336: 1531). Naheliegendste Option ist ein weltweite Impfkampagne gegen Vogelgrippe.
Allerdings ist gerade das eine Kostenfrage und des politischen Willen. In Deutschland etwa für die Bevorratung mit der H1N1-Pandemievakzine im Nachgang heftig als überteuert und als "Geschenk für die Pharamindustrie" kritisiert.
Eine zweite Option ist für Rappuoli der Ausbau der Produktionskapazitäten weltweit. Allerdings sollten die Hersteller nach seinen Worten auf neue Techniken wie die Produktion mit Zellkulturen setzen.
Denn das Problem bei einer Vogelgrippe-Pandemie: Hühner würden millionenfach gekeult werden, und so gäbe es einen Lieferengpass an Eiern für die konventionelle Impfstoffproduktion.
Die Herstellung mit Zelllinien ist laut Rappuoli zudem wesentlich besser skalierbar. Denn eine neue Form der Impfstoffherstellung scheitert bislang an den Regularien.
Zur Erinnerung: Derzeit werden die virulenten Stämme von den WHO-Laboratorien bestimmt und anschließend an die Hersteller verteilt - ein Prozess, der einige Monate dauert.
Die Herstellung könnte auf wenige Wochen verkürzt werden, wenn die Hersteller auf Basis des ersten Isolats Viren synthetisch herstellen dürften. Dann könnten sie Mock-up-Impfstoffe schnell mit den neuen Eigenschaften "umrüsten".