Urologen-Kongress
Weg mit dem Image Männerarzt
Die Urologen wollen ihr Image als reine Männerärzte loswerden und betonen auf ihrem am Mittwoch beginnenden Kongress ihre Kompetenz bei Krankheiten auch von Frauen und Kindern. Ein großes Problem aber gibt es.
Veröffentlicht:HAMBURG. Jahreskongresse medizinischer Fachgesellschaften sind inzwischen zu hochpolitischen Veranstaltungen geworden. Politische Fragen dominieren die öffentliche Selbstdarstellung, obwohl der Fokus eigentlich auf der Fort- und Weiterbildung liegt.
Ein Grund dafür scheint die diffuse Angst vor einem rational kaum zu begründenden Bedeutungsverlust zu sein, besonders bei vermeintlich kleinen Fachgesellschaften: Sich mit anderen Disziplinen überlappende Tätigkeitsfelder werden für das jeweils eigene Fach beansprucht, Kompetenzen den konkurrierenden Kollegen abgesprochen und Horrorszenarien konstruiert, wenn diese oder jene Subdisziplin vernachlässigt werde und künftig womöglich verlustig gehe.
Kompetenzen auch für Behandlung von Kindern
Das zeigt sich auch bei dem am heutigen Mittwoch beginnenden Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU). Die Veranstaltung ist mit jährlich etwa 7000 Teilnehmern die drittgrößte Urologie-Kongress weltweit. Das Motto in diesem Jahr "Urologie umfasst mehr" scheint harmlos daher zu kommen. "Mehr als wer oder was?", fragt man sich allerdings.
DGU-Präsident Professor Stephan Roth lässt es dazu an Deutlichkeit nicht fehlen: "Fachkompetenz ergibt sich durch Methodenkompetenz." Diese Methodenkompetenz spricht er, kaum verklausuliert, Kinderchirurgen und Gynäkologen für bestimmte Eingriffe und Krankheiten ab.
"Wenn es um Steinleiden bei Kindern geht, dann ist ein solches Kind gut aufgehoben bei jenem Urologen, der häufig Steinleiden behandelt", so Roth zur "Ärzte Zeitung". Kinderchirurgen seien zwar auf Kinder spezialisiert, wenn sie jedoch nur dreimal im Jahr eine bestimmte Operation ausführten, seien sie darin nicht fachkompetent.
So weit, so einleuchtend. Der entscheidende Satz kommt aber erst noch: "Wenn Kinderchirurgen an universitären Kliniken vielfach urologisch erkrankte Kinder behandeln, einfach weil aus wirtschaftlichen Gründen die Kinderchirurgie im Haus erhalten werden soll, dann bekommen wir Urologen zunehmend ein Nachwuchsproblem in der Kinderurologie."
In Bezug auf die Urogynäkologie betont Roth, dass die Behandlung etwa von Frauen mit Belastungsinkontinenz "nicht aufgegeben" werden dürfe. Dies könne "zum Nachteil der Betroffenen" gereichen.
20 Prozent mehr Versorgungsbedarf in zehn Jahren
Vordergründig geht es also um die Behandlungsqualität, tatsächlich jedoch um eine große Sorge, die alle medizinischen Fachgesellschaften umtreibt: Die Sorge, dass der Nachwuchs ausbleibt. Das demografische Profil der Fachgesellschaften ist Teil des Problems, das verschärft wird um die hohe Wahrscheinlichkeit eines künftig wohl deutlich größeren Arbeitspensums, das bewältigt werden muss, als heute.
In der Urologie wird bis zum Jahr 2025 mit einer Steigerung des Versorgungsbedarfs um fast 20 Prozent gerechnet, der stärkste Leistungszuwachs im Vergleich mit anderen Facharztgruppen. Grund dafür ist vor allem der überproportional hohe Anteil geriatrischer Patienten in der Urologie bei relativ wenigen jungen Patienten.
Gebraucht wird also jede Menge Nachwuchs, und so versucht man, das Fach Urologie attraktiv darzustellen. Dafür gehen die Urologen unter anderem nicht nur auf Medizinstudenten, sondern bereits auf Schüler zu.
Attraktiv ist natürlich nur ein Fach, das vielfältige Tätigkeitsfelder bieten kann. Insofern war die ähnlich motivierte "Männerarzt"-Kampagne vor einigen Jahren ein Schuss, der nach hinten losgegangen ist. Dass Urologen sowohl Männer wie Frauen und Kinder mit Nieren-, Blasen- und Genitalerkrankungen behandeln, wird in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.
"Die Betonung des männerärztlichen Fokus hat fast unbemerkt dazu geführt, dass der immanente urologische Therapieauftrag, die Behandlung von Nieren-, Blasen- und Genitalerkrankungen beider Geschlechter und aller Altersgruppen, in der ... Wahrnehmung der Öffentlichkeit in den Hintergrund getreten ist", sagt Roth dazu.
Die Frage ist, ob man ein PR-Desaster wiedergutmachen kann, indem die Ellenbogen ausgefahren werden. Richtig ist: Eine diagnostische oder therapeutische Maßnahme sollte optimalerweise derjenige vornehmen, der es am besten kann. (Berufs-) politischen Entscheidern und Geschäftsführern von Krankenhäusern ist jedoch nicht geholfen, wenn alle den Arm heben, um zu zeigen, sie seien die Kompetenten und nicht die anderen.
Trennungen oder Fusionen längst Normalität
Permanente Veränderung innerhalb von Fachgebieten ist Normalität. Sie kann zu Trennungen, zu Fusionen oder zu Ausbildung neuer Disziplinen führen. Beispiele dafür sind die Trennung der Fachgebiete Psychiatrie und Neurologie, das Zusammengehen der Orthopäden mit den Unfallchirurgen, Tuberkuloseärzte sind heute Pneumologen und Allgemeinchirurgen führen schon längst keine Kaiserschnittentbindungen oder Osteosynthesen mehr durch.
Innovationen in der Medizin verlangen unter Umständen völlig neue Kompetenzkombinationen, etwa wenn internistische Endoskopiker Prozeduren vornehmen, die chirurgisches Wissen und Können erfordern.
Die Form folgt der Funktion, und manchmal müssen historisch gewachsene Organisationsformen modernen Entwicklungen in der Medizin angepasst werden. Die Arbeitsinhalte in so gut wie allen medizinischen Disziplinen erweitern sich permanent in einer Art und Weise, die es längst unmöglich gemacht hat, das eigene Fachgebiet vollständig zu beherrschen.
Vieles kommt hinzu, manches fällt weg - das ist nicht schlimm! Unterm Strich bleibt mehr als genug interessante und für den Nachwuchs attraktive Arbeit übrig.