HINTERGRUND
Wenn Hypertoniker Probleme mit der Potenz haben, liegt es meist nicht an ihren Tabletten
"Die Gespräche über Potenzprobleme mit Bluthochdruckpatienten laufen in Arztpraxen oft sehr ähnlich ab", sagt Professor Xavier Girerd, Internist mit eigener Praxis in Paris. Die meist männlichen Patienten kommen ins Sprechzimmer und sagen: "Herr Doktor, das Medikament ist gut für meinen Blutdruck aber schlecht für den Sex." Der Arzt blickt in die Akte, schüttelt den Kopf und sagt: "Verstehe ich nicht. Sie nehmen doch gar keinen Betablocker", so der Arzt beim Europäischen Bluthochdruckkongreß in Paris.
Girerd ist nicht nur Bluthochdruckprofi mit Spezialwissen auf dem Gebiet der erektilen Dysfunktion sondern auch Franzose. Im Grenzgebiet zwischen Innerer Medizin und Lebenslust kennt er sich aus, und damit kokettiert er auch.
Am interessantesten findet Girerd in diesem Zusammenhang die TOMHS (Treatment of Mild HypertensionStudy)-Studie, in der Hochdruckpatienten eine Monotherapie mit Betablocker, Calciumantagonist, Diuretikum, ACE-Hemmer oder Placebo erhalten hatten. "Jeder sechste Mann gab in dieser Studie bereits vor Therapiebeginn an, unter einer sexuellen Funktionsstörung zu leiden", so Girerd. Während der Behandlung hatte dann ein Viertel bis ein Fünftel der Männer über eine Verschlechterung ihrer nächtlichen Performance geklagt, und zwar bei allen Studienmedikationen einschließlich dem Placebo.
Andere Studien haben das im Prinzip bestätigt, mit einer Ausnahme. Girerd: "In Metaanalysen gibt es Hinweise bei einer einzigen Substanzklasse, daß bei der Anwendung die Häufigkeit einer erektilen Dysfunktion bei Männern zwar leicht, aber signifikant zunimmt, und das sind nicht Betablocker, sondern Diuretika".
Betablocker sind bei der Potenz besser als ihr Ruf
Nur sexuelle Phantasien und das Bedürfnis nach Sex könnten eventuell durch eine Therapie mit einem Betablocker etwas verringert werden, wie eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung am Beispiel von Atenolol zu belegen versuchte. Eine Behandlung mit dem Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten Valsartan beflügele die sexuellen Phantasien sogar.
Keinen Zweifel hat Girerd daran, daß ein erheblicher Prozentsatz seiner Hypertoniepatienten tatsächlich mit sexuellen Funktionsstörungen zu kämpfen hat. Doch sieht er das Problem nicht so sehr in der Behandlung, sondern eher in den mit der Hypertonie einhergehenden Blutgefäßschäden, besonders in einer Funktionsstörung des Blutgefäßendothels, das bei vielen kardiovaskulären Erkrankungen zu wenig Stoffe produziert, die die Blutgefäße erweitern, besonders Stickstoffmonoxid (NO).
Da Schwellkörper als blutgefäßreiche Organe für Erektionen auf den Bluteinstrom in sich erweiternde Gefäße angewiesen sind, erscheint diese Erklärung plausibel. Sie wird gestützt durch den Wirkmechanismus der Phosphodiesterase 5-Hemmstoffe (PDE5), die ähnlich wie NO jene Stoffwechselwege in den Zellen begünstigen, die zur Vasodilatation führen.
Potenzprobleme sollten vor der Therapie erkannt werden
Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Beobachtungen für die Praxis der Therapie? "Vor allem müssen wir die Patienten mit erektiler Dysfunktion identifizieren, bevor wir eine Bluthochdrucktherapie beginnen", sagt Girerd. Es ist dann leichter, die erektile Dysfunktion als Teil des Krankheitsgeschehens verständlich zu machen und den Reflex der Patienten, alles auf die Behandlung zu schieben, zumindest abzuschwächen.
Bestehe ein Patient dennoch darauf, die Medikation habe seine Probleme verstärkt oder ausgelöst, dann versucht Girerd es mit einem Wechsel der Therapie und vermeidet, wenn medizinisch möglich, die Diuretika. Lediglich wenn die fehlende Lust auf Sex das Problem ist, geht er an die Betablocker-Therapie.
"Die Chancen, daß das alles nichts hilft, stehen allerdings gut", gibt der zu. Bei ihm kommen deswegen sehr schnell PDE5-Hemmstoffe zum Einsatz, die er jedem Patienten empfiehlt, bei dem ein Therapiewechsel das Problem nicht löst. Nur die Einnahme von organischen Nitraten ist eine Kontraindikation für die Therapie mit einem solchen Potenzmittel, erinnert der Hypertonie- und ED-Spezialist.
Weil die Wirkungsdauer der verschiedenen PDE5-Blocker, die auf dem Markt sind, unterschiedlich ist, lasse sich die Behandlung auf die individuellen Bedürfnisse maßschneidern. "Will ein Patient zum Beispiel ein Wochenende in Paris verbringen, dann empfehle ich die Einnahme eines längerwirksamen Präparates am Freitag".
FAZIT
Ein erheblicher Teil der Hypertoniker hat Potenzprobleme. Daten aus Studien, die zweifelsfrei belegen, daß die Antihypertensiva zu sexuellen Funktionsstörungen führen, gibt es kaum. Diuretika schneiden in Metaanalysen etwas schlechter ab als Placebo. Eine Betablocker-Therapie kann eventuell das Bedürfnis nach Sex reduzieren, nicht so sehr jedoch die sexuelle Performance. Wichtig ist es, Hypertoniker mit Potenzproblemen vor der Therapie zu erkennen. Therapiewechsel bringen oft nichts. Eine Therapie mit einem PDE5-Hemmer sollte frühzeitig erwogen werden.