Genmarker

Zweifel am Herzschutz von Alkohol

Ist ein Gläschen Wein am Tag tatsächlich gut für Herz und Gefäße? Nach Daten einer großen Analyse mit einem genetischen Marker erhöht auch ein geringer Alkoholkonsum das Herz- und Schlaganfallrisiko. Allerdings hat die Untersuchung ihre Tücken.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Sicher nicht gesund fürs Herz.

Sicher nicht gesund fürs Herz.

© Stockbyte / Getty Images

LONDON. Immer mal wieder flammt sie auf die Diskussion, ob ein wenig Alkohol vielleicht sogar gut ist für Herz und Gefäße. In großen Kohortenstudien erlitten Teilnehmer mit geringem oder moderatem Alkoholkonsum seltener Herzinfarkte und Schlaganfälle als solche, die gar keinen Alkohol oder übermäßig viel tranken.

Aus diesen Daten lässt sich eine U-Kurve ableiten: Danach liegt das geringste kardiovaskuläre Risiko bei einem täglichen Alkoholkonsum von etwa einer halben bis ganzen Flasche Bier für Männer und halb so viel für Frauen. In Wein umgerechnet sollten Männer dann am besten nicht mehr als ein Achtel am Tag trinken, Frauen wiederum nur die Hälfte.

Allerdings werden solche Interpretationen immer wieder angezweifelt: Möglicherweise sind moderate Trinker einfach geselliger und fröhlicher und damit etwas entspannter als konsequente Abstinenzler - auch das könnte ein verringertes Infarktrisiko erklären.

Der moderate Alkoholkonsum wäre dann nicht der Grund für den Gefäßschutz, sondern allenfalls ein Marker. Auf der anderen Seite verzichten viele Abstinenzler nicht freiwillig auf Alkohol, sondern weil sie bereist schwer krank sind - auch das kann Studienergebnisse verzerren.

Eigentlich wären randomisierte kontrollierte Studien nötig, um die Frage nach dem Gefäßschutz von geringen Alkoholmengen definitiv zu klären, doch leider wird sich wohl niemand finden, der sich den Alkoholkonsum über Jahrzehnte hinweg vorschreiben lässt.

Ein Konsortium von Forschern aus 113 Institutionen ist daher nun einen anderen Weg gegangen: Sie haben gezielt nach Personen geschaut, die genetisch bedingt wenig Alkoholkonsum trinken, weil sie Alkohol nicht besonders gut vertragen.

So laufen Träger einer bestimmten Variante des Gens für die Alkoholdehydrogenase 1B (ADH1B) schnell rot an, wenn sie Alkohol konsumieren. Insgesamt genießen solche Personen eher wenig Alkohol (BMJ 2014; 349: g4164).

Die Wissenschaftler um Professor Michael Holmes haben nun Daten von 56 epidemiologischen Studien mit knapp 262.000 Personen europäischer Abstammung ausgewertet, bei denen der ADH1B-Status bestimmt worden war. Sie verglichen die Rate von kardiovaskulären Ereignissen bei Personen mit der ADH1B-Genvariante rs129984, die für den Flush unter Alkohol sorgt, mit jener bei solchen ohne diese Variante.

Günstiges Risikoprofil mit ADH-Variante

Insgesamt gaben die Teilnehmer mit dem Allel für schlechtere Alkoholverträglichkeit in Befragungen einen 17 Prozent geringeren Alkoholkonsum an als solche ohne dieses Allel, dies spiegelt sich auch in den Leberwerten wider - sie scheinen also tatsächlich weniger Alkohol zu trinken.

Wenig überraschend befanden sich solche Personen zu 30 Prozent seltener in der Gruppe mit den Toptrinkern, auch bei den Binge-Trinkern waren sie entsprechend weniger oft zu finden, dagegen war die Abstinenzrate um knapp 30 Prozent höher als in der Gruppe ohne das Unverträglichkeitsallel.

Schauten die Forscher nun nach der Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse, so gab es bei den Abstinenzlern mit oder ohne Unverträglichkeitsallel keine signifikanten Unterschiede. Anders bei den Trinkern - hier zeigten diejenigen mit der ADH-Variante eine etwa zehn Prozent geringerer Rate für kardiale Ereignisse.

Die Forscher vermuten, dass der verringerte Alkoholkonsum die Ursache dafür ist, schließlich lassen sich durch die genetische Randomisierung viele Störfaktoren ausschließen, die in den üblichen Kohortenstudien das Ergebnis verzerren.

Interessant sind die Daten auch, wenn man die einzelnen Gruppen von Trinkern anschaut: Wurden die Alkoholfreunde in solche mit leichtem Konsum (bis zu 70 ml reiner Alkohol pro Woche), moderatem (70-210 ml) oder starkem Alkoholkonsum (über 210 ml pro Woche) eingeteilt, dann war der Alkoholkonsum bei denjenigen mit der ADH-Variante in allen Gruppe deutlich geringer, zugleich war auch die Rate kardialer Ereignisse stets reduziert.

Daraus wiederum schließen die über 100 Studienautoren um Holmes, dass auch ein geringer und moderater Alkoholkonsum das Risiko für Herzerkrankungen erhöht. Für Schlaganfälle insgesamt konnte ein ähnlicher Zusammenhang nicht nachgewiesen werden, die Rate ischämischer Hirninfarkte war jedoch bei den Teilnehmern mit rs129984 um etwa 17 Prozent reduziert.

Lässt sich das Thema nun zu den Akten legen? Mitnichten. Zum einen fällt auf, dass die Träger der ADH-Variante ein geringeres kardiovaskuläres Risikoprofil aufwiesen: Sie hatten im Schnitt einen niedrigeren Blutdruck, einen geringeren BMI, niedrigere LDL-Werte und zeigten niedrigere Werte für Entzündungsmarker wie C-reaktives Protein oder Interleukin 6.

Das allein könnte schon das geringere kardiovaskuläre Risiko erklären. Man müsste nun also postulieren, dass der geringere Alkoholkonsum für das günstigere Risikoprofil verantwortlich ist. Allerdings hatten auch Abstinenzler mit der ADH-Variante ein günstigeres kardiovaskuläres Risikoprofil als Abstinenzler ohne.

Tendenziell waren die Unterschiede in beiden Gruppen bei den Teilnehmern mit leichtem bis mäßigem Alkoholkonsum sogar am geringsten, sodass sich zumindest beim Risikoprofil ebenfalls eine Art U-Kurve andeutet. Man darf also bezweifeln, ob die ADH-Variante wirklich dazu taugt, die Beziehung zwischen Alkoholkonsum und kardiovaskulären Ereignissen zu erhellen.

Hinzu kommt, dass nur wenige der Teilnehmer (etwa fünf Prozent%) die ADH-Variante trugen. Auch das kann die Ergebnisse der Analyse verzerrt haben. Dis Diskussion um Nutzen oder Schaden geringer Alkoholmengen dürfte also weitergehen.

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