Thüringen

Anonymer Krankenschein: Große Nachfrage, steigender Finanzbedarf

Immer mehr Menschen ohne Versicherungsschutz nutzen das Thüringer Hilfsangebot des anonymen Krankenscheins, um Behandlungskosten bis zu 500 Euro abzudecken. Während der Corona-Pandemie hat sich das Klientel verändert.

Von Katrin Zeiß Veröffentlicht:
Website der Thüringer Initiative Anonymer Krankenschein.

Website der Thüringer Initiative Anonymer Krankenschein. Hier erhalten die Hilfesuchenden Informationen in vielen Sprachen und erfahren, wo sich die nächste Anlaufstelle befindet.

© Screenshot / website.aks-thueringen.de

Erfurt. Das Hilfesystem des anonymen Krankenscheins für versicherungslose Menschen oder Menschen ohne Papiere in Thüringen stößt nach Einschätzung der Organisatoren zunehmend an seine Grenzen.

„Es ist absehbar, dass wir in diesem Jahr die Kosten für eigentlich nötige Behandlungen nicht decken können“, sagte Projektkoordinatorin Carola Wlodarski-Simsek vom Thüringer Verein anonymer Krankenschein. In Einzelfällen habe die Kostenübernahme in diesem Jahr bereits abgesagt werden müssen.

Bereits im vergangenen Jahr habe das Land wegen der gestiegenen Nachfrage Geld nachschießen müssen. Es zeige sich, dass das Angebot zunehmend bekannter werde, begründet Wlodarski-Simsek die Entwicklung.

Rund 200 Krankenscheine im vergangenen Jahr

In Thüringen haben im vergangenen Jahr 127 Menschen medizinische Hilfe per anonymen Krankenschein erhalten. Nach Angaben des Vereins, der das als Modellprojekt angelegte Hilfesystem für Menschen ohne Krankenversicherung oder ohne Papiere koordiniert, wurden rund 200 Krankenscheine ausgestellt.

Das seit 2017 aufgebaute Hilfesystem richtet sich laut Gesundheitsministerium an deutsche Staatsbürger, die ihren Versicherungsschutz verloren haben, ebenso an EU-Bürger und Menschen aus Nicht-EU-Ländern ohne ausreichenden Krankenversicherungsschutz oder legalen Aufenthaltsstatus.

Ausgegeben wird der anonyme Krankenschein in 36 Anlaufstellen landesweit. Der Verein arbeitet dabei mit einem Netzwerk an Vertrauensärzten. Im Landeshaushalt stehen dafür jährlich bis zu 250.000 Euro zur Verfügung. In diesem Jahr sind laut Ministerium bereits rund 153.000 Euro aufgebraucht. Angesichts des Bedarfs hofft der Verein erneut auf zusätzliche Mittel durch das Land.

Pro Schein mehrere Behandlungen möglich

Ein Krankenschein, mit dem sich die Hilfesuchenden an jede Arztpraxis und jedes Krankenhaus in Thüringen wenden können, deckt Behandlungskosten bis zu 500 Euro ab. Je Schein sind mehrere Behandlungen pro Quartal möglich, im vergangenen Jahr waren es insgesamt gut 300 Behandlungen – also statistisch zwei je Patient.

Übersteigen die Behandlungskosten die 500 Euro je Schein, muss der Verein vorher die Kostenübernahme garantieren. Im vergangenen Jahr wurde der Höchstbetrag dem Verein zufolge in acht Fällen übertroffen, darunter waren drei Entbindungen mit Komplikationen und drei Krebsbehandlungen.

Gynäkologie und Geburtshilfe machten mit rund 40 Prozent der Fälle den größten Anteil der anonymen Behandlungen aus, jeder fünfte Fall betraf die Allgemeinmedizin, in gut jedem zehnten Fall ging es um Zahnarztbehandlungen.

Verein holt manche Behandlungskosten auch wieder zurück

„Wir versuchen, allen Hilfesuchenden die Behandlung zu ermöglichen“, sagt die Projektleiterin. Sie spricht allerdings von einem Dilemma – wenn bei nicht als akuter Notfall eingestuften, dennoch schweren Erkrankungen die Übernahme der Kosten zu scheitern drohe. Der Verein versuche dann, zumindest Teilleistungen zu übernehmen.

Andererseits holt der Verein auch Behandlungskosten wieder herein, wenn sich über ein Clearingverfahren herausgestellt hat, dass es einen eigentlich zuständigen Kostenträger gibt, zum Beispiel ein Sozialamt oder eine Krankenkasse. Im vergangenen Jahr flossen so 13.000 Euro zurück.

Klientel hat sich in der Pandemie verändert

Den Effekt der Corona-Pandemie hat der Verein im vergangenen Jahr vor allem an der Herkunft der Hilfesuchenden gespürt. Statt ausländischen Arbeitsmigranten, denen der Weg nach Deutschland wegen der Lockdown-Grenzschließungen versperrt war, kamen Menschen, die nach einem privaten oder touristischen Aufenthalt wegen der Grenzschließungen in Deutschland strandeten – und deren Reisekrankenversicherung abgelaufen war.

Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Dr. Antigone Fritz und Hubertus Müller sitzen trocken am PC. Dort zu sehen: ein Bild vom Hochwasser in Erftstadt vor drei Jahren.

© MLP

Gut abgesichert bei Naturkatastrophen

Hochwasser in der Praxis? Ein Fall für die Versicherung!

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MLP
Protest vor dem Bundestag: Die Aktionsgruppe „NichtGenesen“ positionierte im Juli auf dem Gelände vor dem Reichstagsgebäude Rollstühle und machte darauf aufmerksam, dass es in Deutschland über drei Millionen Menschen gebe, dievon einem Post-COVID-Syndrom oder Post-Vac betroffen sind.

© picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Symposium in Berlin

Post-COVID: Das Rätsel für Ärzte und Forscher

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Krisenkommunikation war Schwachpunkt in der Pandemie

© HL

Herbstsymposium der Paul-Martini-Stiftung

Krisenkommunikation war Schwachpunkt in der Pandemie

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Blutdruck im Stehen

Sieben Fehlannahmen über orthostatische Hypotonie

Silvester-Feuerwerk

So hoch war die Feinstaub-Belastung an Neujahr

Subphänotypen analysiert

Prädiabetes: Bei drei von sechs Clustern steht die Uhr auf Zehn vor Zwölf

Lesetipps
Kalenderblatt mit 1. Januar 2025

© [M] Coloures-Pic / stock.adobe.com

Neuerungen im Überblick

Das alles ändert sich für Arztpraxen in 2025