Pandemie-Bewältigung
Corona-Bilanz in NRW: Kooperation klappt, doch es fehlt die Strategie
Bei einer Online-Veranstaltung der Kammern Nordrhein und Westfalen-Lippe fällt die Bilanz zur Corona-Pandemie zwiespältig aus: Die Koordination ärztlicher Akteure vor Ort hat sich bewährt, doch dies ersetzt keine abgestimmte Pandemie-Strategie der Politik.
Veröffentlicht:Düsseldorf. Das Fehlen von Konzepten zur Bekämpfung der Corona-Pandemie hat die Akteure vor Ort gezwungen, selbst das Zepter in die Hand zu nehmen. An vielen Stellen haben sie auf die Kooperation gesetzt und Strukturen aufgebaut, um die Herausforderungen gemeinsam zu meistern.
Das entlässt die Politik aber nicht aus der Pflicht, endlich belastbare Strukturen und eine bundesweit abgestimmte Strategie für den Umgang mit Pandemien wie COVID-19 zu entwickeln. Darin waren sich die Teilnehmer einer gemeinsamen Online-Veranstaltung der Ärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe einig.
Innerhalb der niedergelassenen Ärzteschaft und zwischen ambulantem und stationärem Sektor hat sich in den vergangenen Monaten eine Reihe von erfolgreichen Kooperationen entwickelt, berichtete Bernd Zimmer, Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein. „Weil wir so gut funktioniert haben, sehe ich die Gefahr, dass die Politik schon wieder auf dem Rückzug ist, statt Strukturen zu schaffen“, warnte er.
Pläne alleine reichen nicht
Gefragt sei Nachhaltigkeit. „Funktionen müssen etabliert werden und erprobt werden.“ Das Vorhandensein von Pandemieplänen allein reiche nicht aus, sie müssten regelmäßig überprüft und eingeübt werden. „Es nützt nichts, wenn wir das virtuell betreiben, wir müssen es können“, betonte der Hausarzt.
Die Pandemie hat zu einem Riesen-Fortschritt bei der Kooperation geführt, bestätigte Dr. Christoph Haurand, Ärztlicher Direktor der Knappschaft Kliniken Bergmannsheil in Gelsenkirchen-Buer. „Wir konnten sehr schnell und sehr einfach agieren.“ Innerhalb seiner Klinik hätten die konservativen und chirurgischen Fächer zusammengearbeitet, es gab eine noch nie erlebte Zusammenarbeit zwischen den Kliniken der Region und einen guten Austausch zwischen Krankenhäusern und Kassenärztlicher Vereinigung, berichtete er. Allerdings: „Ich habe ein Stück weit das Gefühl, dass das nur eine kurze Halbwertzeit hat.“ Kehrt die Normalität wieder ins Gesundheitswesen zurück, werden die Initiativen wieder versanden, fürchtet Haurand.
Notwendig ist aus seiner Sicht die Entwicklung dynamischer Konzepte für die Katastrophen- und Pandemiemedizin. „Wir haben gelernt, dass die Lehren aus der ersten Welle absolut nicht auf die zweite Welle zu übertragen waren.“
Reha nur in dritter Linie verortet
In solchen Konzepten dürfen auch die Rehakliniken nicht fehlen, betonte Professor Mario Siebler, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Fachklinik für Neurologie an der Mediclin Fachklinik Rhein/Ruhr in Essen. „Wir müssen frühzeitig eingebunden werden“, forderte er. Bislang werde die Rehabilitation erst in der dritten oder vierten Linie gesehen. „Wir wollen Leistungen mittragen, Patienten mitversorgen.“ Wichtig ist ihm, dass Strategien entwickelt werden, die nicht nur auf zwei, oder drei Monate ausgerichtet sind. „Wir werden auf die Dauerstrecke müssen“, sagte Siebler.
Die Diskutanten waren sich einig, dass Strategien zur Pandemiebekämpfung nur dann wirksam sein können, wenn ärztlicher Sachverstand eingebunden wird. Das ist nach Einschätzung von Dr. Ute Teichert, Leiterin der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen und Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes, zurzeit nicht der Fall. Die Strategie sei in erster Linie Wahlkampf-Strategie. „Die Entscheidungen sind aus ärztlicher Sicht nicht nachzuvollziehen“, kritisierte sie.
Die Ärzteschaft müsse sich mit einer Stimme zu Wort melden. „Es muss selbstverständlich werden, dass bei politischen Entscheidungen die fachliche – und vor allem die ärztliche – Expertise Berücksichtigung findet.“
Der Austausch mit der Politik muss institutionalisiert werden, sagt Dr. Anne Bunte, Leiterin des Gesundheitsamtes im Kreis Gütersloh. Es reiche nicht, isoliert über einzelne Ideen zu diskutieren. „Wir müssen mit der Landesregierung in Dialog kommen“, fordert sie. Es gehe darum, langfristige Strukturen aufzubauen. „Ich fürchte, es wird nicht gesehen, dass nach der Pandemie vor der Pandemie ist.“