Ärzte am Limit
Corona-Hotspot: So erlebt ein Thüringer Landarzt die vierte Welle
Michael Gottweiss kämpft als Landarzt im Hotspot Thüringen mit der Pandemie. Er begrüßt, dass die Praxen beim Impfen nicht allein stehen – denn die Arbeitsbelastung im Alltag ist enorm.
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Michael Gottweiss in Aktion: Ohne Schutzausrüstung geht es nicht.
© privat
Erfurt. Am Montag nach den Herbstferien in Thüringen bekommt Hausarzt Michael Gottweiss eine Ahnung davon, was es heißen könnte, wenn die vierte Corona-Pandemiewelle aus dem Ruder läuft. Mehr als 250 Patienten durchlaufen an diesem Tag seine Landarztpraxis in Pfiffelbach, einem 500-Einwohner-Dorf nordöstlich von Weimar. Die üblichen Bluthochdruck- oder Diabetespatienten, die zur Kontrolle da sind, sind überschaubar. Die Infektsprechstunde quillt über. Gottweiss, 42, Landarzt in dritter Generation, arbeitet zwölf Stunden durch, nimmt Abstriche, fragt nach Symptomen, untersucht. „Meine Hausbesuche habe ich an dem Tag nicht fahren können.“
Inzidenz steigt wöchentlich um 100
Die Belastung für seine Praxis ist seitdem nicht geringer geworden. Im Gegenteil: Thüringen ist eines von den drei besonders schwer von der Pandemie betroffenen Bundesländern mit täglich mehr als 2000 Neuinfektionen und einer Inzidenz, die wöchentlich derzeit konstant um mehr als 100 steigt. Am Mittwoch lag sie bei 569, im Kreis Weimarer Land – zu dem Pfiffelbach und weitere 15 von Gottweiss betreute Dörfer gehören – bei 575. Geht es ungebremst so weiter, könnte in Thüringen schon vor Weihnachten eine Inzidenz von 1000 erreicht sein.
Das spüren auch ländliche Praxen wie die von Gottweiss. Er fährt jetzt wieder wie bei Pandemiebeginn vor eineinhalb Jahren bestimmte Routineuntersuchungen herunter – um kein Risiko für Patienten, die sich etwa im Bus auf dem Weg zur Praxis anstecken können, einzugehen.
Anrufer brauchen viel Geduld
Wer die Praxis anruft, braucht viel Geduld. Das Aufkommen an Telefonaten sei aktuell „riesig“, so Gottweiss. Befunde oder Blutwerte würden häufig telefonisch übermittelt. Für Videosprechstunden, die er in der ersten Pandemiephase abgehalten hat, ist keine Zeit. Patienten, bei denen es nur um Abstriche für PCR-Tests geht, schickt Gottweiss zur Teststelle der KV Thüringen in der neun Kilometer entfernten Kreisstadt Apolda.
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Hausarzt Michael Gottweiss hat zurzeit nicht selten 12-Stunden-Tage in der Praxis – und er ist nicht der Einzige.
© privat
Im laufenden Quartal hat Gottweiss schon 450 Infektpatienten behandelt, 23 von ihnen wurden coronapositiv getestet. Derzeit treffe dies vor allem Berufstätige. „Zum Beispiel Handwerksfirmen, bei denen die halbe Belegschaft positiv ist, oder Zusteller“, erzählt der Mediziner.
Auch mit Fällen in Kindergärten und Schulen bekomme er es oft zu tun. „Da sind dann immer ganze Familien betroffen.“ Groß ist derzeit die Nachfrage nach Boosterimpfungen. Alle Hausbesuchspatienten hätten die Auffrischung schon erhalten, sagt der Arzt. Bei der Terminvergabe sei man schon im Januar.
Gottweiss hat in seiner Praxis, die er vor zwölf Jahren vom Vater übernommen hatte, drei weitere Ärzte angestellt. Unter anderem wegen Elternzeit oder weil sie selbst zur Corona-Risikogruppe gehören, sind aber nicht alle verfügbar. So übernimmt er selbst die täglichen Infektsprechstunden in einem separat zugänglichen Raum, der wie die anderen drei Sprechzimmer mit Luftfiltern ausgerüstet ist. Gottweiss hat sie Anfang des Jahres angeschafft. Patienten, bei denen der Corona-Fragebogen – alle müssen ihn vor Betreten der Praxis ausfüllen – Auffälligkeiten ergibt oder die Fieber haben, werden umgehend in das Infektsprechzimmer gelotst.Die anderen gehen in das normale Wartezimmer, wo die Stühle auf Abstand stehen. Das Praxispersonal am Tresen sitzt hinter Plexiglas, ist vollständig gegen COVID-19 geimpft und wird mindestens zweimal wöchentlich getestet. Das funktioniert, Corona-Fälle oder Quarantäne beim Personal gibt es derzeit nicht. Auch thüringenweit ist derzeit keine Arztpraxis wegen Corona-Quarantäne geschlossen, meldet die KV.
Der Landarzt ist froh, dass die meisten Corona-Impfstellen in Thüringen gar nicht erst geschlossen wurden – wofür die Landesregierung auch kritisiert wurde. „Wir brauchen solche zentralen Strukturen, sie entlasten die Hausärzte.“