Zu wenig Mediziner
Kinderärztemangel verschärft Versorgungsengpässe in Niedersachsen
Laut KV Niedersachsen ist nicht nur die derzeitige Infektionswelle Schuld an der Belastung der Kinder- und Jugendarztpraxen im Land. Immer weniger Ärzte träfen auf steigende Geburtenraten.
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Pädiater arbeiten derzeit am Limit. Für die Überlastung ist aus Sicht der KV Niedersachsen auch der Ärztemangel ursächlich.
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Hannover. Immer mehr Babys – immer weniger Kinderärzte. Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen hält die derzeitige Infektionswelle nicht für den eigentlichen Grund der Versorgungsengpässe bei Kindern. Sondern das Problem bestehe darin, dass immer weniger junge Ärztinnen und Ärzte den Schritt in die Niederlassung wagen würden, während zugleich die Geburtenrate steige, erklärte der Vorstand der KVN, Mark Barjenbruch am Montag in Hannover. Unterdessen mahnte die Niedersächsische Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) davor, die Lage in den Krankenhäusern zu dramatisieren.
„Im Jahr 2010 wurden mit bundesweit rund 665.000 Geburten noch etwa 105.000 weniger Kinder geboren als 2021. Die medizinische Versorgung der Kinder und Jugendlichen wird immer schwieriger, vor allem in den Randlagen der Städte und auf dem Land müssen Kinder- und Jugendärzte heute schon einen Aufnahmestopp wegen Überlastung verhängen“, erläuterte Barjenbruch. „Wenn die Politik nicht bald mehr Medizinstudienplätze schafft und vor allem die Niederlassung attraktiver macht, müssen Eltern und Kinder in Zukunft noch längere Wartezeiten und vor allem auf dem Land noch weitere Wege bis zur nächsten Praxis bewältigen.“
Belastungssituation spitzt sich zu
Die Arztknappheit führe zu erheblichen Problemen im Land. Die Belastungssituation der ambulanten Kinder- und Jugendarztpraxen und der Kinderkliniken in Niedersachsen spitze sich mit jedem Tag mehr zu, so die KVN. Kinder- und Jugendarztpraxen hätten Aufnahmestopps und Kinderkliniken haben Patienten abgewiesen. „Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte arbeiten am Limit. Ein Grund dafür ist die derzeitige Welle von Infekten der oberen Luftwege bei Kindern und Jugendlichen“, so die KVN.
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Zugleich müssen immer mehr Atteste ausgestellt werden, weil vielen Schulen sie bei der Erkrankung der Kinder verlangen. „Das führt leider in diesen Tagen vermehrt dazu, dass Praxen in der ohnehin schon extremen Belastungssituation zusätzlich noch Aufwand betreiben müssen, um die Voraussetzungen für ein Attest zu prüfen und dieses dann gegebenenfalls auszustellen“, so Barjenbruch.
Gesundheitsministerin sieht keinen Kollaps des Systems
Der stellvertretende KVN-Vorsitzende, Dr. Jörg Berling, wies darauf hin, dass es inzwischen 14 Vorsorgeuntersuchungen für Kinder gebe. Bei ihrer Einführung1971 waren es acht. „Die Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte sehen immer häufiger Kinder mit auffälligem Verhalten, Entwicklungs- oder Sprachproblemen - Störungen also, die auch im sozialen Umfeld begründet sein können“, so Berling. „Dies führt zu mehr Arztbesuchen und in einzelnen Regionen zur Überlastung der Praxen. Die Praxen arbeiten also auch ohne die aktuelle Infektwelle bereits am Limit.“
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„Es gibt keinen Kollaps“, sagte unterdessen die Niedersächsische Gesundheitsministerin, Daniela Behrens (SPD) der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) zur Situation auf den Kinderstationen im Land. Zwar arbeite das System am Limit. Aber „alle schwerkranken Kinder werden ordentlich versorgt“, betonte die Ministerin. Kürzlich hatte der Oberarzt Dr. Michael Sasse von der Medizinischen Hochschule Hannover erklärt: „Kinder sterben, weil wir sie nicht versorgen können.“ Behrens kritisierte die Aussage des Arztes. In dieser Drastik sei sie „Alarmismus“. Von den 77 Betten auf Kinderintensivstationen im Land seien zurzeit 21 frei und von den 165 Intensivbetten für Neugeborene derzeit 52i. (cben)