„Vroni-Studie“ mit 60.000 Kindern

Massenscreening auf familiäre Hypercholesterinämie in Bayern

Plötzlicher Tod mit 35? Das Risiko, frühzeitig an einem kardiovaskulären Ereignis zu sterben, ist vielen schon in die Wiege gelegt. Nur wissen das die wenigsten. Mit einem bayernweiten Screening an über 60.000 Kindern will die sogenannte „Vroni-Studie“ im Freistaat die verdeckten Fälle familiärer Hypercholesterinämie aufdecken.

Von Birgit Fenzel Veröffentlicht:
Für die „Vroni-Studie“ sollen Kinder- und Jugendärzte im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen U9 bis J1 Kapillarblut entnehmen.

Für die „Vroni-Studie“ sollen Kinder- und Jugendärzte im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen U9 bis J1 Kapillarblut entnehmen.

© Kzenon / stock.adobe.com

München. Sechs Jahre lang hat das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP) gemeinsam mit dem Deutschen Herzzentrum München (DHM) und dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte LV Bayern ein breit angelegtes Projekt zur Vorsorge und Früherkennung von Familiärer Hypercholesterinämie (FH) bei Kindern und Jugendlichen in Bayern entwickelt.

Jetzt ist die „Vroni-Studie“ offiziell gestartet. Es ist das erste Präventionsprogramm dieser Art.

Gendefekt mit gigantischer Dunkelziffer

Allein in Deutschland gibt es mehr als 270.000 Träger dieses Gendefekts, bei dem durch eine angeborene Störung des Lipidstoffwechsels die Zellen das „schlechte“ LDL-Cholesterin nicht oder nur zu einem geringen Teil aufnehmen, sodass es im Blut verbleibt und früh eine Atherosklerose mit all ihren Folgen auslösen kann.

Mit einer geschätzten Prävalenzrate von 1:250 gilt die FH als die häufigste monogen vererbte Erkrankung. Obwohl sie klinisch sowie molekulargenetisch relativ einfach und zuverlässig diagnostizierbar ist, wird sie nur in schätzungsweise 15 Prozent der Fälle erkannt – gewöhnlich erst nach einem Herzinfarkt in jungem Alter oder bei familiärer Häufung kardiovaskulärer Ereignisse. Dennoch gab es bis dato kein entsprechendes Früherkennungsprogramm.

Ziel: 60.000 Kinder in Praxen testen

„Unser Ziel ist es, möglichst viele Patienten mit genetischer Mutation zu finden“, so Professor Heribert Schunkert, Direktor der Klinik für Herz- und Kreislauferkrankungen am DHM, zum Auftakt der „Vroni-Studie“ im Deutschen Herzzentrum in München. Durch eine möglichst frühzeitige Diagnose und konsequente Therapie könne das Atheroskleroserisiko auf Normalniveau gesenkt werden. Seine Hoffnung: Über 60.000 Kinder im Freistaat testen zu können. Dafür muss in den Praxen der Kinder- und Jugendärzte Blut fließen.

Grundlage des Projekts ist die Blutentnahme bei Fünf- bis Vierzehnjährigen im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen U9 bis J1. Dazu reichen 200 ul Kapillarblut aus der Fingerbeere. Im DHM wird anschließend das LDL-Cholesterin bestimmt. Bei LDL-Werten über 135 mg/dl folgt eine genetische Untersuchung.

Bei Kindern müsse man schon bei Werten eingreifen, bei denen man bei Erwachsenen nichts tun würde, erklärte Professor Berthold Koletzko, Leiter der Abteilung für Stoffwechsel und Ernährung an der Kinderklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Pädiatrische Praxen werden informiert

Bei einem auffälligen Befund erhalten die Kinder- und Jugendärzte einen Forschungsbericht mit dem Ergebnis der genetischen Analyse. Selbst bei einem „hochgradigen Verdacht auf eine FH“ erfolgt jedoch keine medizinische Beurteilung im Sinne einer definitiven medizinischen Diagnose. Diese bleibt den Kinder- und Jugendärzten vorbehalten.

Allerdings warnte der Experte beim Webinar seine rund 90 Zuhörer vor vorschnellen Schlüssen. „Wie jeder von uns weiß, können solche Werte schwanken und ich bin sehr dafür, nicht aufgrund eines einzelnen Laborwerts zu handeln“, so Koletzko. Um sicher zu gehen, sollten weitere Messungen in den folgenden Wochen erfolgen.

Mit der Diagnose „chronisch krankes Kind“ gingen häufig erhebliche psychosoziale Belastungen einher, die man mit Schulungen ganz gut abfedern könne, erklärte Professor Volker Mall von der TU-München, der als letzter Referent der Runde das psycho-edukative Schulungsprogramm vorstellte, das an seinem TU-Lehrstuhl für Sozialpädiatrie begleitend zur „Vroni-Studie“ für Eltern und Kinder angeboten wird.

Dass solche Hilfestellungen wirken und auch gut angenommen werden, hätten entsprechende Angebote bei Epilepsie, Asthma, MS oder nach Herztransplantationen gezeigt.

Kind mit FH? Weitere Angehörige untersuchen

Ausgehend vom betroffenen Kind soll zudem ein reverses Kaskadenscreening eingeleitet werden, um weitere Angehörige mit FH zu identifizieren. Da FH autosomal dominant vererbt wird, ist die Wahrscheinlichkeit, fündig zu werden, mit fast 50 Prozent sehr hoch.

Dabei sollen die Daten aus beiden Screenings auch in „CaRe High“ einfließen, das als nationales Patientenregister für FH-Patienten dazu dient, über eine Datensammlung zum Verlauf der Erkrankung und zur Versorgungssituation mittelfristig eine Verbesserung und Standardisierung von Diagnostik und Therapie in ganz Deutschland zu erreichen.

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