Hessen
SPD drängt zur Umsetzung der Landarztquote
Die Einführung einer Landarztquote steht zwar im Koalitionsvertrag von Schwarz-Grün, an der Umsetzung hapert es aber. Die SPD prescht nun mit einem Gesetzentwurf vor.
Veröffentlicht:Wiesbaden. Einige Nachbarländer Hessens sind schon ein gutes Stück weiter: In Nordrhein-Westfalen ist die Landarztquote zum aktuellen Wintersemester gestartet, in Rheinland-Pfalz und Bayern laufen gerade die Auswahlverfahren, im Wintersemester nehmen die ersten Studenten über die Quotenregel ihr Studium auf.
In Hessen ist die Einführung eigentlich auch beschlossene Sache: Der Koalitionsvertrag der seit Januar 2019 amtierenden schwarz-grünen Landesregierung sieht ausdrücklich die Einführung einer Landarztquote vor. Geschehen ist aber nach einem guten Jahr nichts – zumindest nichts Greifbares.
Arbeitsgruppe werkelt mit offenem Zeithorizont
Eine interministerielle Arbeitsgruppe aus den zuständigen Ressorts Soziales und Wissenschaft arbeite daran, heißt es aus dem federführenden Sozialministerium von Kai Klose (Grüne). Zeithorizont offen. „Bei der Umsetzung prüfen wir welche Modelle am besten zu den Rahmenbedingungen in Hessen passen“, sagt der Grünen-Abgeordnete Marcus Bocklet. Dazu gehörten die Schaffung von attraktiven Arbeitsbedingungen für Ärzte genauso wie eine kluge und verantwortungsbewusste Nutzung der Digitalisierung.
Den oppositionellen Sozialdemokraten im Landtag dauert dies zu lange. Deshalb hat deren gesundheitspolitische Sprecherin Dr. Daniela Sommer am Montag einen Gesetzentwurf zur Einführung einer Landarztquote vorgelegt, der bereits am Dienstag im Landtag in die erste Lesung gehen soll. „Wir können nicht mehr warten, die Landesregierung hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht“, begründet Sommer das Vorpreschen ihrer Fraktion. Zudem soll die Zahl der Medizinstudienplätze von derzeit 9800 um 1000 erhöht werden.
299 Hausarztsitze sind aktuell nicht besetzt
Die Dringlichkeit belegt sie mit Zahlen: Laut aktuellsten Daten seien in Hessen 299 Hausarztsitze nicht besetzt. Das mittlere Alter der niedergelassenen Vertragsärzte liege bei 56 Jahren, fast 15 Prozent seien älter als 65 Jahre. Einer Prognose zufolge gingen 2030 etwa 60 Prozent aller Hausärzte in den Ruhestand; dies hieße, im Jahr 2030 würden mehr als 2400 Nachbesetzungen nötig. „Es ist fünf nach zwölf“, folgert Sommer.
Bisherige Versuche, junge Ärzte aufs Land zu holen seien gescheitert, berichtet die Erste Beigeordnete des Wetteraukreises, Stephanie Becker-Bösch (SPD). Das Projekt „Landtage Hessen“ der Philipps-Uni Marburg, das jungen Medizinern das Arbeiten in ländlichen Regionen schmackhaft machen soll, werde im Wetteraukreis nicht angenommen, ein Austausch mit dem benachbarten Vogelsbergkreis für ein gemeinsames Stipendiatenprogramm wirke auch nicht, berichtet sie über Versuche in ihrem nördlich von Frankfurt gelegenen Kreis. „Wir brauchen eine verlässliche Quote von jungen Leuten, die zu uns kommen wollen“, so Becker-Bösch.
Die SPD orientiert sich in ihrem Entwurf am Verfahren wie es in den dabei bereits weiter fortgeschrittenen Bundesländern praktiziert wird: Zehn Prozent der Medizinstudienplätze sollen für Studenten – unabhängig von deren Numerus clausus – vorgehalten werden, wenn sie sich verpflichten, nach einer Weiterbildung in Allgemeinmedizin für mindestens zehn Jahre eine hausärztliche Tätigkeit in einer unterversorgten Region Hessens aufnehmen. Für den Fall der Nichterfüllung ist eine Vertragsstrafe von 250.000 vorgesehen.
Bei der Verabschiedung des Staatsvertrags habe die Landesregierung zwar eine Zehn-Prozent-Quote eingeführt, die von schulnotenunabhängigen Auswahlkriterien bestimmt werde, so Sommer – aber eben keine Landarztquote.
Ist die frühe Festlegung attraktiv?
Die Bremser sitzen dabei nicht in den Reihen der CDU, bei denen sich manch einer durchaus mehr Tempo wünschen würde. Denn: „Wir haben das den Grünen ja in den Koalitionsvertrag reingedrückt“, sagt ein CDU-Mann. Problem für die Union aber: Mit Soziales und Wissenschaft mussten die Christdemokraten beide relevanten Ressorts nach der Landtagswahl 2018 an die Grünen abgeben.
Eine solch hohe Strafe „dürfte kaum jemanden motivieren, sich auf ein Hausarzt-Dasein auf dem Land festzulegen“, kritisiert der FDP-Abgeordnete Yanki Pürsün. Auch die frühzeitige Festlegung auf die Allgemeinmedizin sei nicht attraktiv für junge Leute.
Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Linken, Christiane Böhm, zweifelt am Sinn einer „Verpflichtung mit einer sechsstelligen Vertragsstrafe“. Berechnet auf Ausbildungszeit und anschließende Vertragsbindung müssten sich junge Menschen knapp 20 Jahre in die Zukunft festlegen, ohne jede Berücksichtigung von Fragen wie Familienplanung und beruflichem Erfahrungswissen.