Ewig auf Abstand

Ändert Corona unser Freizeitverhalten langfristig?

Im Corona-Jahr haben sich viele daran gewöhnt, mehr Zeit im Privaten zu verbringen. Bleibt es nach der Pandemie so, dass Menschen auf Freizeitaktivitäten, kulturelle Veranstaltungen und Essengehen verzichten?

Von Gregor Tholl Veröffentlicht:
Unbesetzte Stühle im Hofgarten in München: Manche glauben, die heilsame Entschleunigung ändere künftig das Freizeitverhalten.

Unbesetzte Stühle im Hofgarten in München: Manche glauben, die heilsame Entschleunigung ändere künftig das Freizeitverhalten.

© Frank Hoermann / SVEN SIMON / picture alliance

Berlin. Ändert das Coronavirus das landläufige Freizeitverhalten? Ein Leben mit nur wenigen Besuchen bei Freunden, weniger Fußball, ohne Restaurantbesuche, Konzerte, Theater, Clubbesuch, Kirchgang, Stammtisch, Yoga-Gruppe, Schwimmbad, Ballettstunde, Karneval, Volksfest, Weihnachtsmarkt, weite Urlaubsreisen scheint für Millionen Menschen plötzlich möglich.

Die Corona-Pandemie hat seit Mitte März zu einer Art Agonie geführt. Attentismus könnte man es auch nennen: Viele warten einfach ab, bevor sie wieder richtig aktiv werden.

Ein neues Gefühl für die Zeit?

„Agonie“ bedeutet laut Duden Passivität, es ist auch ein bildungssprachliches Wort für Niedergang und Untergang und in der Medizin für die Sterbephase. Es scheint jedenfalls, dass, wenn die Pandemie eines Tages vorbei sein sollte, die Menschen ein anderes Gefühl für ihre Zeit entwickelt haben werden. Sie überlegen sich schon jetzt genau, wofür sie diese wertvolle Ressource benutzen.

Der Schriftsteller Daniel Kehlmann sagte in einem „Welt“-Interview, er fürchte, dass sich die Gesellschaft kollektiv nicht mehr aus dem Lockdown traue, „dass wir soziale Interaktionen auf den Bildschirm verlegen, dass, selbst wenn die Restaurants offen sind, keiner mehr hingeht, dass keiner mehr ins Theater geht und man in ständiger Sorge lebt, dass Lockerungen zurückgenommen werden können“.

Ohne Restaurants zum Beispiel gehe es aber zurück in die „Nachkriegszeit“, meinte Kehlmann. „Trefft euch doch zu Hause und kocht Eintopf.“

Ein paar Wochen Verzicht? Okay!

Von Politik und Wissenschaft kommt immer wieder das Signal, dass die besseren Bürger diejenigen seien, die zu Hause bleiben. Zuletzt appellierte auch wieder Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) angesichts sprunghaft gestiegener Corona-Infektionszahlen, soziale Kontakte zu beschränken und weniger zu reisen. „Wir müssen jetzt alles tun, damit das Virus sich nicht unkontrolliert ausbreitet.“

Anfangs dachten noch viele, ein paar Wochen Verzicht seien schon okay, doch schon bald setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Pandemie etwas Langfristigeres ist. Viele sahen plötzlich auch einen Erholungseffekt, eine heilsame Entschleunigung. Abschied vom Freizeitstress.

Der Beginn eines intensiveren und umweltfreundlicheren Lebens. Es lässt sich aber auch als Egotrip negativ darstellen, denn auch Institutionen und Gruppen, die auf freiwillige Teilnahme und soziales Engagement bauen, leiden.

Stimmung ist besser als die Lage

Werden sich die Menschen nach der Krise wieder so verhalten wie davor? Dagegen spricht, dass die Pandemie nicht plötzlich vorbei sein wird, sondern eher schleichend enden wird; vielleicht ist das Gerede von der „neuen Normalität“ also richtig.

Der Historiker Andreas Wirsching glaubt, dass zurzeit trotz aller Widrigkeiten „die demoskopisch fassbare Stimmung besser als die Lage ist“. Die wirtschaftlichen Corona-Konsequenzen werden noch „gravierend“, warnt er. Es bestehe die Gefahr eines langwährenden Nachfrageeinbruchs mit vielen Pleiten.

Dass die Pandemie die Menschen grundsätzlich zum Guten verändere, glaubt der Direktor vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin keinesfalls. Die Pandemie werde vor allem ein Katalysator bestehender Tendenzen wie mehr Nationalismus. Das könne auch ein paar positive Entwicklungen betreffen wie den Klimaschutz oder einen kritischeren Umgang mit dem Massentourismus.

Ansonsten aber halte er die Vorstellung, „die Pandemiekrise habe ja vielleicht auch „Gutes“ und berge neue „Chancen“, für kurzsichtig und auch zynisch gegenüber denen, die um ihre Existenz oder Gesundheit bangen müssen“. (dpa)

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