Provokation?
Ärzte kritisieren AfD-Anfrage im Bundestag
Ärzte beschuldigen die Fraktion "Alternative für Deutschland" (AfD), mit zwei gesundheitsbezogenen parlamentarischen Anfragen gezielt Stimmung gegen Migranten zu machen.
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Mit eindringlichen Worten kritisierten über 300 Ärzte, Medizinethiker und -historiker in einer Stellungnahme zwei parlamentarische Anfragen der AfD im Bundestag.
© Simone Kuhlmey / ZUMAPRESS.com / picture alliance
BREMEN. Mit eindringlichen Worten kritisieren mehr als 300 Ärzte, Medizinethiker und -historiker in einer Stellungnahme zwei parlamentarische Anfragen der Fraktion "Alternative für Deutschland" (AfD) im Bundestag. Sie tragen die Titel "Schwerbehinderte in Deutschland" und zur "Entwicklung mehrerer Krankheiten in Deutschland".
Die Antragsteller versuchten, "die Ursachen und die Zunahme der Häufigkeit von Behinderungen und Infektionskrankheiten in Deutschland einseitig mit der "massenhaften Einwanderung" von Flüchtlingen und dem Fortpflanzungsverhalten von Menschen mit Migrationshintergrund ("Inzucht") in Verbindung zu bringen", heißt es in dem Text, der vom Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst initiiert wurde.
Unter dem Deckmantel einer parlamentarischen Anfrage werde damit versucht, Menschen mit Behinderungen und Migrationshintergrund pauschal zu stigmatisieren. "Dabei wird der Eindruck erweckt, als stellten sie eine vermeidbare ökonomische Belastung für das deutsche Gesundheitswesen dar", kritisieren die Unterzeichner.
Tatsächlich sei aber nur bei 3,8 Prozent aller schwerbehinderten Menschen die Behinderung angeboren, heißt es in dem Brief. Und von diesen nur ein Teil wegen genetischer Ursachen, deren Quelle wiederum nur zu einem verschwindend geringen Teil eine Verwandtenehe sei.
Auch die zweite Anfrage versuche, Einwanderung und Infektionskrankheiten und den damit verbundenen Kosten in Verbindung zu bringen und schließlich als "Argument gegen die betroffenen Menschen ins Feld zu führen."
"Solche Anfragen der AfD haben System", sagt der Mitunterzeichner Professor Dr. Gerrit Hohendorf, Medizinethiker an der Technischen Universität München, der "Ärzte Zeitung". "Die Partei will durch Provokationen erreichen, sich als Opfer der ,Systempresse‘ darstellen zu können. Dagegen helfen nur Argumente." Nach Angaben Hohendorfs hat die Stellungnahme bisher 300 bis 400 Unterschriften, "auch von vielen Hausärzten".
Zwischenzeitlich hat die Bundesregierung auf beide Anfragen Antworten vorgelegt. Beim Thema Schwerbehinderte hatten die Fragesteller unter anderem wissen wollen: "Wie viele der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Schwerbehinderten (bitte hier alle Arten von Behinderungen zusammenfassen) besitzen keine deutsche Staatsbürgerschaft?" Aus den Zahlen der Bundesregierung geht hervor, dass die Anzahl der schwerbehinderten Migranten zwar gewachsen ist, jedoch im Vergleich zur Menge der deutschen Schwerbehinderten noch immer verschwindend gering ist. So lebten 2001 insgesamt rund 6,712 Millionen Menschen mit Schwerbehinderung in der Bundesrepublik, davon 6,461 Millionen mit deutschem Pass und 250.688 ohne deutschen Pass. Im Jahr 2015 waren es insgesamt 7,615 Millionen Schwerbehinderte, davon 422.445 ohne und 7,193 Millionen mit deutschem Pass.
Zur Entwicklung von Krankheiten wollte die AfD wissen, wie sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Anzahl von Infektionen mit Masern, Lepra, Malaria, HIV, Scabies, Typhus und Läuserückfallfieber seit 2012 bundesweit entwickelt habe — inklusive der Nationalität der Infizierten. Hierzu teilt die Bundesregierung mit, die "Nationalität der Fälle wird bei den genannten Krankheiten/Nachweisen von Krankheitserregern nach Infektionsschutzgesetz nicht erhoben." Die der Antwort angefügte Tabelle zeigt aber, dass die Infektionszahlen insgesamt zuletzt rückläufig waren. (cben / aze)
Die Antworten der Bundesregierung
auf die beiden parlamentarischen
Anfragen sind zu finden unter
"Schwerbehinderte in Deutschland": https://bit.ly/2Fij3hM
und "Entwicklung mehrerer Krankheiten in Deutschland": https://bit.ly/2r2qd5p