Coronavirus-Pandemie
Aus der Traum vom Auslandsjahr
Die Schule geschafft, ab ins Ausland? Die Pläne vieler Schulabgänger fallen in diesem Jahr coronabedingt ins Wasser.
Veröffentlicht:Berlin. Au-pair, Freiwilligendienst oder Reisen: Nach dem Schulabschluss zieht es viele junge Menschen ins Ausland – auch Timo Geiger. „Es war für mich schon nach meinem Realschulabschluss klar, dass ich nach der Fachoberschule mindestens ein Jahr ins Ausland gehen will“, sagt der 20-Jährige.
Der Traum, ein Jahr als Au-pair in Neuseeland zu arbeiten, platzte jedoch wegen des Coronavirus. Damit geht es Geiger wie vielen jungen Absolventen in der Pandemie– sie müssen sich einen Plan B überlegen, der sich trotz Hygienevorschriften und geschlossener Grenzen realisieren lässt.
Wie viele junge Menschen in normalen Jahren ins Ausland gehen, lässt sich nicht verlässlich beantworten. Eine Registrierungspflicht für Deutsche im Ausland gibt es nicht. Au-pair-Agenturen bekommen die geschlossenen Grenzen in beliebten Reiseländern jedoch deutlich zu spüren.
„Es ist desaströs, was da im Moment passiert“, sagt Cordula Walter-Bolhöfer von der Gütegemeinschaft Au pair, unter deren Dach sich aktuell 30 Agenturen versammeln. Chile, Australien oder Neuseeland etwa hätten die Grenzen „komplett dichtgemacht“.
Bangen bis zum Abflugtag
Timo Geiger entschied sich nach langem Überlegen zu einem Jahr in Spanien und ist mittlerweile bei einer Gastfamilie in der Provinz Murcia im Südosten des Landes. „Allerdings habe ich auch hier bis zum tatsächlichen Abflug am Airport Nürnberg gebangt, ob von der spanischen Regierung nicht doch noch ein Einreiseverbot verhängt wird“, sagt er. Diesen Weg wollen nicht alle interessierten Au-pairs gehen. Die Vermittlungszahlen seien auch für Europa gesunken, sagt Walter-Bolhöfer. „Viele blieben in den ersten Monaten der Pandemie aus Angst zu Hause und haben ihre Auslandspläne aufgegeben.“
Auch Emma Rönz ist immer noch in Deutschland, obwohl sie eigentlich seit Ende Juli in New York sein sollte. Die Münchner Au-pair-Agentur Active Abroad hatte ihr bereits eine Gastfamilie vermittelt. „Dann hieß es jedoch, dass es mit dem Visum kritisch wird“, sagt die 18-Jährige.
Erst sollte die Einreise ab August oder September möglich sein, die nächste Prognose lautete Januar. „Ich habe mir dann gesagt: So viel Zeit zu verschwenden, lohnt sich nicht. Lieber fange ich ein Studium an.“
Leichtes Minus bei Freiwilligen erwartet
Die Vermutung liegt nahe, dass Freiwilligendienste im Inland von den geschlossenen Grenzen profitieren könnten. Wie hoch die Zahlen in diesem Jahr sein werden, lässt sich laut Bundesfamilienministerium erst in einigen Wochen verlässlich sagen.
Bislang hätten die Träger in den neuen Bundesländern höhere Besetzungszahlen als in den vergangenen Jahren verzeichnet, sagt Jaana Eichhorn, Sprecherin des Bundesarbeitskreises Freiwilliges Soziales Jahr (BAK FSJ).
„Wahrscheinlich auch, weil dort coronabedingt Ausbildungsplätze weggefallen sind“, vermutet sie. Deutschlandweit rechnet Eichhorn jedoch mit einem leichten Minus. Gerade am Anfang habe große Unsicherheit auf beiden Seiten geherrscht: Einrichtungen seien sich nicht sicher gewesen, ob sie Freiwillige etwa in Schulen oder Kitas einsetzen dürften. Manche Einsatzstellen – etwa Theater oder Sportvereine – seien über Monate geschlossen gewesen.
Vom Bundesfamilienministerium heißt es ebenfalls, dass die Zahl der Freiwilligen in diesem Jahr vermutlich etwas niedriger liegen werde. Nach vorsichtigen Schätzungen der Träger im FSJ werde derzeit mit nur leichten Einbrüchen der Freiwilligenzahlen gerechnet, schätzungsweise von unter zehn Prozent, sagt eine Sprecherin.
Vermutlich weniger Einsatzmonate
Beim FSJ komme in diesem Jahr hinzu, dass die Zahl der Einsatzmonate wahrscheinlich schrumpfe, sagt Eichhorn vom BAK FSJ. „Wenn die Freiwilligen beispielsweise nicht zum 1. Juli angefangen haben, sondern zum 1. Oktober, hören sie wahrscheinlich doch Ende Juni 2021 auf.“ Es sei in diesem Jahr auf alle Fälle „Puzzlearbeit“, Freiwillige und Einsatzstellen zusammenzubringen.
Antonia Arnoldi gehört zu den jungen Menschen, die von ihren Auslandsplänen Abstand nehmen mussten und jetzt als Freiwillige im Inland arbeiten. Sie hatte einen Freiwilligendienst in Thailand geplant und wollte dort an einer Schule für Kinder und Jugendliche mit Sehbehinderung arbeiten.
„Als das dann aber zum Sommer hin immer noch unsicher war, wollte ich nach Alternativen suchen, die inhaltlich zu meinen ungefähren Vorstellungen vom anstehenden Studium passen“, sagt die 19-Jährige.
Sie leistet aktuell einen Bundesfreiwilligendienst in der Denkmalpflege in der Außenstelle Titz des LVR-Verbands für Bodendenkmalpflege im Rheinland ab. Den Auslandsplan will sie aber noch nicht aufgeben. „Immerhin habe ich die Möglichkeit, den Dienst in ein bis drei Jahren nachzuholen, insofern die Lage dort sowohl wirtschaftlich als auch politisch stabil ist.“ (dpa)