Sauberkeit im Sport

Das Doping-Dilemma

Ab Januar 2016 droht Dopingsündern wegen Sportbetrugs der Knast. Eine notwendige Maßnahme, sagen die einen. Andere beklagen, dass nun alle Sportler unter Generalverdacht stehen. Eine Zwickmühle für den um Sauberkeit bemühten Sport.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Die Trockenlegung des Dopingsumpfs trifft auch jene Sportler, die sich nie etwas haben zu Schulden kommen lassen.

Die Trockenlegung des Dopingsumpfs trifft auch jene Sportler, die sich nie etwas haben zu Schulden kommen lassen.

© sebastianreuter / fotolia.com

MOSKAU. In Reaktionen auf die jüngsten Maßnahmen zur Sanktionierung von Doping ist auffällig oft von "Sippenhaft" die Rede.

Die vorläufige Suspendierung russischer Leichtathleten für alle internationalen Wettkämpfe etwa nannte der russische Präsident Wladimir Putin eine "Kollektivstrafe", Stabhochsprung-Weltrekordlerin Jelena Issinbajewa empfand sie als "unfair".

In Folge der Dopingenthüllungen in Kenia fühlen sich viele afrikanische Läufer unter Generalverdacht gestellt - wie auch viele jamaikanische Sprinter, bulgarische Gewichtheber und chinesische Schwimmer.

Der saubere Wettkampf steht über den Freiheitsrechten

In Deutschland wiederum protestieren einige Athleten gegen das zum 1. Januar in Kraft tretende Anti-Doping-Gesetz, durch das sie sich zu Unrecht kriminalisiert fühlen.

Tatsächlich trifft jede Maßnahme zur Trockenlegung des Dopingsumpfs notwendigerweise auch jene Sportler, die sich nie etwas haben zu Schulden kommen lassen.

Es ist das Dilemma eines um Sauberkeit bemühten Sports. Wer sich dem Ideal eines dopingfreien Wettkampfs verpflichtet fühlt, schluckt diese Kröte.

Wer auf seine Freiheitsrechte pocht, hält - etwa wie Issinbajewa - an der Einzelfallbetrachtung fest, wonach nur jene Sportler sanktioniert werden dürfen, die tatsächlich überführt wurden.

Am Fall von Russland offenbart sich die ganze Komplexität der Problematik. Nachdem Journalisten der ARD und "Sunday Times" durch ihre Recherchen ein systematisches Doping in der russischen Leichtathletik nachgewiesen und die Welt-AntiDoping-Agentur (Wada) diese Vorwürfe bekräftigt hat, reagierte der Internationale Leichtathletik-Verband IAAF mit einer vorläufigen Suspendierung des russischen Verbands für alle internationalen Veranstaltungen.

Nie zuvor ist ein Leichtathletik-Verband derart hart bestraft worden. Doch ob es tatsächlich zu einem Ausschluss von den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 2016 kommt, ist fraglich.

"Ich hoffe, es wird gemeinsam gelingen, die Voraussetzungen für eine Teilnahme Russlands an Olympia 2016 zu schaffen", sagte Alexander Schukow, Präsident des Nationalen Olympischen Komitee (NOK) Russlands, als eine Wada-Delegation in Moskau die Arbeit aufgenommen hat. Ihr Ziel: Lösungen für eine Überwindung des Dopingskandals in der russischen Leichtathletik zu finden.

Wäre die Olympia-Teilnahme gerecht?

Schukow und IOC-Präsident Thomas Bach zeigten sich nach einem gemeinsamen Treffen bereits optimistisch, dass der russische Leichtathletik-Verband bis August alle Forderungen der Wada (Sperre der Sünder, Bestrafung des Umfelds) erfüllt und damit die Teilnahme seiner Athleten sichert.

Aber wäre das gerecht? Der kanadische Sportrechtler Richard H. McLaren, Mitglied der Wada-Kommission zur Aufdeckung des russischen Dopingskandals, sprach im "Stern" von einem "gigantischen" Betrug, an dem Athleten, Trainer, Funktionäre, Kontrolleure, Ärzte, Geheimdienstmitarbeiter und sehr wahrscheinlich auch die russische Regierung beteiligt seien.

Wenn dem so ist, stellt sich die Frage, ob nicht der gesamte russische Sport vom systematischen Doping betroffen ist und folglich nicht alle russischen Verbände von den Olympischen Spielen ausgeschlossen werden sollten.

Nach Einschätzung des deutschen LKA-Beamten Günter Younger, wie McLaren Mitglied der Wada-Kommission, ist das Ausmaß des Dopings in Russland noch größer, als der erste Ermittlungsbericht bereits enthüllt.

"Wenn wir sehen, dass der ehemalige Chefarzt Portugalow nicht nur Leichtathleten, sondern auch Biathleten und Schwimmer betreute - warum sollte er es dort anders gemacht haben?"

Nicht allein ein russisches Problem

Neben den russischen droht auch den kenianischen Leichtathleten der Ausschluss von Olympia. Allein in den vergangenen drei Jahren wurden 40 von ihnen des Dopings überführt.

Kenias Leichtathletik-Verband hat jetzt sieben Athleten, darunter die zweifache Crosslauf-Weltmeisterin Emily Chebet, mit mehrjährigen Sperren belegt. Bei der WM in Peking war Kenia mit sieben Goldmedaillen neben Jamaika das erfolgreichste Land.

Doch Verdachtsmomente gibt es auch gegen Jamaika. Sportrechtler McLaren meint, dass man überdies in Ländern wie den USA, Großbritannien, Frankreich, Monaco und Singapur genauer hinschauen sollte - Deutschland dagegen hält er für sauber.

Dennoch wird der Kampf gegen Doping mit dem neuen Anti-Doping-Gesetz hierzulande noch einmal verschärft. Dass vom 1. Januar 2016 an erstmals auch Dopingsünder juristisch belangt werden können, ist ein Paradigmenwechsel: Bislang stand der Fokus auf die (straffreie) Selbstschädigung des Einzelnen, jetzt weitet sich der Blick auf jene, die er betrügt.

Tatsächlich ist es ein Unterschied, aufgrund eines Dopingvergehens mehrjährig für Wettkämpfe gesperrt zu werden oder wegen Sportbetrugs mehrjährig ins Gefängnis zu müssen. Das Gesetz ist ein Signal, das viele deutsche Athleten begrüßen.

Andere Sportler wiederum fühlen sich dadurch pauschal kriminalisiert. Allein darin, dass die Sportgerichtsbarkeit ihre Kompetenzen nun an die Justiz abgeben muss, offenbart sich das Dilemma des um Reinheit bemühten Sports.

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