"Der Diabetes muss mit, das ist komplett normal"
Fahren, fahren, nicht müde werden: 24 Stunden Nonstop-Radrennen auf dem Nürburgring, Tausende sind am Wochenende gestartet. Ein Team mit Diabetikern war dabei und hat sich souverän geschlagen.
Veröffentlicht:"Die grüne Hölle." So hat vor 40 Jahren Rennfahrerlegende Jacky Stewart die berühmte Nordschleife des Nürburgrings bezeichnet. Viele Motorsportler haben hier ihr Leben verloren. Eine berühmte Rennstrecke, die auch im Radsport Geschichte geschrieben hat. Drei Straßen-Weltmeisterschaften sind hier ausgetragen worden, Rudi Altig hat in der Eifel 1966 den Titel geholt.
"Entscheidendes Bewegen" - ein ganz besonderes Team
Rennpause, die Blutzuckerwerte immer im Blick: Teammitglied Jakob Graul (links) und der Hamburger Diabetologe Jörg von Hübbenet.
Die Nordschleife am vergangenen Samstag. An die zehntausend Breiten-, Freizeit- und Leistungssportler aus allen Teilen Deutschlands sind angereist, Rennen über kürzere und längere Strecken stehen auf dem Programm. Die Krönung ist ein 24-Stunden-Rennen. Genau für diesen Wettbewerb hat sich ein Team mit dem Namen "Entscheidendes Bewegen" angemeldet. So heißt eine Initiative, die der Hamburger Allgemeinarzt und Diabetologe Dr. Jörg von Hübbenet 2006 zusammen mit der Kinderkrankenschwester Christina Eggers gegründet hat. "An Diabetes erkrankte Menschen sind unter bestimmten Voraussetzungen genau so leistungsfähig wie der Rest der Sport treibenden Bevölkerung", sagt Hübbenet. Genau für diese Botschaft will die Initiative "Entscheidendes Bewegen" sensibilisieren. Sechs Vierermannschaften sind fürs Rennen gemeldet. Mindestens ein Fahrer pro Quartett muss immer auf der Strecke sein. Eine harte Herausforderung, aber Teamchef von Hübbenet weiß, was seine Sportler sich zumuten können. Alle Teilnehmer sind im Vorfeld sportmedizinisch und diabetologisch untersucht und begleitet worden.
Hans-Günther Tauschke (51) ist seit vier Jahren Mitglied im Team, jeden Tag fährt der Hamburger Hausmeister mit dem Fahrrad zur Arbeit. "Hin und zurück sind das 30 Kilometer, das ist ein gutes Training", sagt er. Tauschke ist seit zehn Jahren Typ-2-Diabetiker. "Der Ehrgeiz", erklärt er, "besteht darin, durchzukommen und nicht Letzter zu werden."
Die Nordschleife hat ihre Tücken. Etwa 22 Kilometer lang, 72 Kurvenpassagen, 500 Meter Höhenunterschied. Die Fahrt führt vorbei am Streckenabschnitt Bergwerk, wo Niki Lauda nach seinem spektakulären Unfall vor mehr als 30 Jahren bewusstlos im brennenden Ferrari saß. Die Spuren in seinem Gesicht sind bis heute zu sehen. Es war das Ende der Nordschleife als Formel-1-Rennstrecke.
Für die unzähligen Geschichten rund um den Ring haben die Pedaltreter allerdings wenig Sinn. Der Anstieg zur Hohen Acht erfordert Kraft und Ausdauer. Sieben Kilometer geht es zunehmend bergauf, am Ende kommt eine Rampe mit 18 Prozent Steigung. "Das geht in die Knochen" sagt Tauschke.
Anja Renfordt (25) ist fünffache Weltmeisterin im Kickboxen — und Diabetikerin. Ihr Typ-1-Diabetes hat sich im Alter von zwei Jahren manifestiert. Inzwischen hat die Physiotherapeutin ihre Wettkampflaufbahn beendet. Auf der Nordschleife tritt sie in einer für sie eher ungewohnten Sportart an. "Der Diabetes muss mit, das ist komplett normal!", sagt sie, lächelt, steigt aufs Rennrad und fährt los.
Jakob Graul war Amateurradrennfahrer, als im vergangenen Jahr die Diagnose Typ-1-Diabetes gestellt wurde. "Ich war wie vor den Kopf gestoßen und brauchte Orientierung", sagt er. Inzwischen ist die alte Sicherheit wieder da: "Ich bin auch als Diabetiker leistungsfähig,", stellt er klar. "ich lasse mich nicht entmutigen".
Blutzuckerwerte werden kontinuierlich kontrolliert
Das Unternehmen Abbott Diabetes Care hat für jedes Team-Mitglied am Nürburgring einen FreeStyle Navigator® zur Verfügung gestellt, Das System besteht aus Sensor, Sender und Empfänger und ermöglicht eine kontinuierliche Kontrolle der Blutzuckerwerte. "Das gibt den Sportlern Sicherheit", erläutert Hübbenet.
21.00 Uhr. Die lange Nürburgring-Nacht beginnt. Leise surren Rennräder, noch liegt das Ende des Rennens in weiter Ferne. Erst am nächsten Tag wird klar: Die Frauen und Männer vom Team "Entscheidendes Bewegen" haben sich in der "grünen Hölle" prächtig geschlagen.