Studie
Der aufrechte Neandertaler
Der Neandertaler ist uns ähnlicher als gedacht – auch beim Rücken. Eine aktuelle Studie steht jetzt im Widerspruch zu gängigen Klischees über unseren Verwandten.
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Im aufrechten Gang: Der Rücken eines Neandertalers war nicht so gekrümmt wie das Klischee aussagt.
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ZÜRICH. Krummes Kreuz, schlechte Balance: So sieht das klischeehafte Bild eines Neandertalers aus. Wissenschaftler der Universität Zürich haben dieses jetzt entkräftet, so ein Beitrag im Magazin „PNAS“ (doi: 10.1073/pnas.1820745116). Neandertaler besaßen eine Krümmung der Lendenregion und des Halses wie der moderne Mensch, so die Forscher der Uni Zürich.
Die Schweizer Wissenschaftler haben das Skelett eines Homo neanderthalensis aus dem französischen La Chapelle-aux-Saints virtuell rekonstruiert, so die Forscher in einer Mitteilung. Ihre Erkenntnisse widerlegten nach eigenen Angaben andere Studien, nach denen der Ur-Mensch keine gut entwickelte, doppelt S-förmige Wirbelsäule besessen hätte.
Worauf stützen die Forscher ihre Erkenntnisse?
Im Becken des Neandertalers fanden die Wissenschaftler dieselbe Ausrichtung des Kreuzbeins wie beim modernen Menschen, so die Schweizer. Daraus könne man auf eine gut entwickelte Lendenkrümmung schließen.
Durch die Zusammensetzung der einzelnen Lenden- beziehungsweise Halswirbel werde der enge Kontakt zwischen den Darmfortsätzen offenkundig. Auch zeigten sich ausgeprägte Abnutzungserscheinungen, die durch die Wirbelsäulenverkrümmung mitverursacht werden. “Die Belastung des Hüftgelenks und die Ausrichtung des Beckens ist nicht anders als bei uns“, fasst Erstautor Dr. Martin Häusler zusammen.
Die mysteriöse Körperhaltung des Neandertalers erschließt sich den Forschern dadurch mehr und mehr: Im Gegensatz zu alten Annahmen habe der Homo neanderthalensis eine aufrechte Haltung gehabt – vergleichbar mit der des heutigen Homo sapiens.
Forscher: Zeit für einen Paradigmenwechsel
„Es ist daher an der Zeit, die grundsätzliche Nähe von Neandertaler und heutigem Menschen anzuerkennen und den Fokus auf die subtilen Veränderungen zu richten“, sagt Häusler als Konsequenz der neuen Erkenntnisse. Erst kürzlich hatten Londoner Forscher weiter am Image des tumben Höhlenmenschens gesägt: Neandertaler produzierten demnach ausgefeilte Langdistanz-Waffen.
Das selbe Skelett hatte nach dem Fund im Jahre 1908 genau zu gegenteiligen Befunden geführt: Erste Rekonstruktionen im 19. Jahrhundert hatten den Neandertaler als halb aufrecht gehend analysiert. Die jetzigen Untersuchungen wurden in Kooperation mit der US-amerikanischen Washington University in St. Louis gemacht.