Terrorismus
Die Persönlichkeit von Attentätern
In Zeiten des Terrors stellen sich viele die Frage: Was macht Menschen zu Attentätern? Psychisch krank sind die wenigsten, meinen einige Psychiater. Sie haben die Persönlichkeiten von extremistischen Gewalttätern analysiert - und mehrere klassische Täterprofile ausfindig gemacht.
Veröffentlicht:BERLIN. Lassen sich gewaltbereite Extremisten schon vor der Tat identifizieren? Auf dem DGPPN-Kongress in Berlin wurden hier zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen deutlich.
Auf der einen Seite betonen Psychiater immer wieder, dass extremistische Gewalttaten zum großen Teil von psychisch Gesunden begangen werden, die ein abweichendes Wertegefühl entwickelt haben.
Die Radikalisierung sehen sie vor allem als sozialen Prozess und weniger als Ergebnis einer gestörten Psyche oder Persönlichkeit.
"Es gibt kein typisches Persönlichkeitsmuster, das es erlauben würde, die Täter frühzeitig zu identifizieren", sagte Kongresspräsidentin Professor Iris Hauth in Berlin.
Andere hingegen betonten durchaus die Bedeutung der Attentäterpersönlichkeit. So sieht Professor Jérôme Endrass, Leiter der Arbeitsgruppe Forensische Psychologie an der Universität in Konstanz, kaum Unterschiede zwischen extremistischen Attentätern und anderen Gewaltverbrechern.
Die Ideologie sei oft austauschbar und nachrangig, im Vordergrund stehe bei einem Teil der Täter die Gewaltbereitschaft. "Die Attentäter bei Charlie Hebdo hatten nur eine dünne islamistische Kruste, aber Auffälligkeiten, die jedem Forensiker vertraut sind", sagte der Psychologe.
Manche suchten sich regelrecht eine Ideologie, um ihre Gewaltneigungen auszuleben.
Die Radikalisierung hält Endrass nur für eine von mehreren Dimensionen extremistischer Gewalttäter. Man sollte sie bei der Risikobewertung nicht zu stark gewichten: "Es gibt viele Menschen mit radikalen Vorstellungen, aber längst nicht jeder von ihnen wird gewalttätig."
Das werde in der Politik häufig falsch verstanden, hier stünde die Radikalisierung im Mittelpunkt, mit dem Problem, dass plötzlich tausende oder hunderttausende meist junger, männlicher Muslime im Blickpunkt stünden - ein Albtraum für die Sicherheitsbehörden.
Nach Auffassung von Endrass lässt sich der Kreis der gewaltbereiten Extremisten aber deutlich einschränken, wenn neben der Radikalität bestimmte Persönlichkeitsmerkmale berücksichtigt werden. Dazu zählt er Dissozialität, martialisches Auftreten, Waffenaffinität, Wahnvorstellungen, Substanzabusus sowie latente oder akute Suizidalität.
Eine weitere Dimension sieht er im Warnverhalten, etwa wenn Personen im Internet Drohungen verkünden. Schließlich seien Kontext, Lebenssituation und Belastungsfaktoren zu berücksichtigen.
Geraten potenzielle Täter nach entsprechenden Drohungen unter Zugzwang? Befinden sie sich in einer persönlichen Krise? Spitzt sich ihre soziale Situation aufgrund finanzieller oder sozialer Probleme zu?
Letzteres hat wohl bei dem aktuellen Anschlag in San Bernadino in den USA den Ausschlag gegeben. Er scheint geradezu lehrbuchmäßig Endrass‘ Hypothese zu bestätigen.
Auffällige Kindheit bei San-Bernadino-Attentäter
Der 28-jährige Attentäter Syed Farook hatte sich zuvor im Büro heftig mit einem jüdischen Kollegen über den Islam gestritten, dieser erhielt kurz vor dem Anschlag auch eine Morddrohung. Farook hatte zwei registrierte Waffen und auf einer Website angegeben, gerne zu schießen.
Auffällig ist auch sein Kindheit: Sein Vater war ein Alkoholiker, der seine Familie misshandelte. Ähnliche Biografien kennen Forensiker zuhauf auch von nicht ideologisch motivierten Gewalttätern.
Farook galt lange als frommer, aber nicht radikaler Muslim, er stand auf keiner Liste des FBI, seine Radikalisierung erfolgte wohl erst in jüngster Zeit. Nach Endrass‘ Modell war der Attentäter zum Schluss in allen vier Dimensionen auffällig.
Der Psychiater geht von einem erhöhten Gewaltrisiko aus, wenn mindestens zwei der Dimensionen Abweichungen zeigen.
Drei Prototypen
Aus ähnlichen Deliktdynamiken lassen sich nach Auffassung des Psychologen drei Prototypen von Attentätern ableiten:
Beim ersten Typ sind gesellschaftliche Regeln und Normen nicht verankert. Solche Personen halten Gewaltanwendung generell für legitim und benötigen dafür keinen ideologischen Überbau.
Sie sind häufig dissozial, impulsiv, aufbrausend und in der Vergangenheit durch Straftaten auffällig geworden. Für sie spielt die Radikalisierung eine eher geringe Rolle, sie dient eher der Legitimierung von Gewalttaten.
Beim zweiten Typ sind gesellschaftliche Regeln und Normen nur kontextspezifisch verankert, sie gelten zum Beispiel nicht für Andersgläubige. Diese darf man daher töten.
Um zu dieser Überzeugung zu gelangen, ist eine bedeutsame "Legitimierungsarbeit" nötig. Für diesen Typ ist die Ideologie sehr wichtig. Sie hilft ihm, die verankerten Normen für bestimmte Gruppen außer Kraft zu setzen.
Die Radikalisierung ist daher von großer Bedeutung. Solche Personen leben wie Syed F. häufig in einer stabilen Beziehung und sind bisher nicht strafrechtlich aufgefallen.
Beim dritten Typ sind gesellschaftliche Regeln und Normen gut verankert, allerdings ist die Realitätswahrnehmung durch eine psychische Störung getrübt. Solche Personen waren in der Vergangenheit häufig psychiatrisch auffällig oder hatten Drogenprobleme.
Sie werden in der Regel nur dann gewalttätig, wenn sie ausgeprägte Krankheitssymptome zeigen. Dies war etwa der Fall beim Attentäter, der 1990 auf Wolfgang Schäuble schoss. Auch hier kann ein dünner ideologischer Überbau vorhanden sein, der das Handeln legitimiert. Von außen betrachtet wirken solche Personen dann mitunter extremistisch.
Mit einem anderen Ansatz konstruierte der Diplompädagoge Nils Böckler vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung in Bielefeld ebenfalls charakteristische Täterprofile.
Ein Team um Böckler hat Persönlichkeiten hinter 14 rechtsextremen sowie 7 islamistisch motivierten Mehrfachtötungen analysiert.
Die Forscher prüften Aussagen von Familienangehörigen, Freunden und Bekannten oder der Täter selbst sowie Onlineaktivitäten, Tagebücher, Ermittlungsberichte und psychiatrische Gutachten.
Die Ergebnisse verglichen sie mit ähnlichen Untersuchungen bei Einzeltätern und Schulamokläufern. Sie gelangten zu drei Persönlichkeitstypen, die bei ideologisch geprägten Attentätern häufig vorkommen:
Der extravertierte dominante Typ. Er ist auf die soziale Außenwirkung bedacht und sucht den radikalen Kontext aktiv auf. Das dominante Verhalten scheint durch seine Persönlichkeit bedingt oder durch Sozialisation erlernt zu sein.
Die Identifikation mit der Ideologie wird zum Mittel der Selbstdarstellung. Er braucht die Gruppe als Publikum und dient anderen als Vorbild, da er für die Sache vermeintlich bedingungslos einsteht.
Nach außen gibt er sich entschlossen und selbstbewusst. Die positive Bespiegelung in der Gruppe konsolidiert seine Radikalisierung.
Der introvertiert abhängige Typ läuft eher passiv mit. Er sucht nach Personen, die ihm Orientierung und Verhaltenssicherheit geben. Gewalttätig wird er primär aus einer sozialen Abhängigkeit heraus und weniger aus Überzeugung.
Er will sozial involviert sein, die Beziehung zu einem radikalen Freund oder einer Gruppe ist ihm wichtiger als die Ideologie.
Solche Personen sind noch am ehesten in der Lage, die Ideologie zu hinterfragen und auszusteigen.
Der explorierende Typus ist als einziger vollkommen von der Ideologie überzeugt. Er braucht keine Bespiegelung in einer Gruppe, er funktioniert im Gegensatz zu den anderen Typen auch ohne den sozialen Kontext.
Häufig finden sich in seiner Geschichte akute Krisen, die er zunächst mit Drogen oder anderen ungeeigneten Mitteln zu bewältigen versucht. In der Ideologie findet er plötzlich Sinn und ändert sein Leben.
Dieses ordnet er immer mehr seinen Überzeugungen unter und leitet daraus sein Handeln ab. Er definiert sich zunehmend über die Ideologie, was seine Radikalisierung vorantreibt.
Wege in die Radikalisierung
Radikalisierung ist eine Voraussetzung für extremistische Gewalt. Vor allem bei Personen, die nicht zum Kreis notorischer Gewalttäter gehören, ist im Laufe des Radikalisierungsprozesses eine intensive kognitive „Legitimierungsarbeit“ nötig.
Um diese zu verstehen, sind für Professor Jérôme Endrass auch Erkenntnisse aus der forensischen Psychologie hilfreich, etwa zu Sexualstraftätern. Diese würden mit der Zeit „implizite Theorien“ entwickeln, um ihr Handeln auch vor sich selbst zu rechtfertigen, etwa: „Kinder provozieren Sex mit Erwachsenen“, „Sexualität ist nicht kontrollierbar“, oder „die Folgen von sexuellem Missbrauch sind harmlos“.
In gewisser Weise sei dies auch eine Form der Radikalisierung. Solche Denkweisen werden vor allem dann relevant, wenn sie sich langsam entwickeln, wenn Erfahrungen mit der Gesellschaft mit einfließen und sich dabei die eigenen Wert- und Normvorstellungen verändern. Dann entstehen daraus „kognitive Gepflogenheiten“.
Übertragen auf den radikalen Islamismus wäre eine solche Gepflogenheit etwa die Überzeugung, Andersgläubige töten zu müssen. Anfangs könnte zunächst die implizite Theorie stehen,
„Muslime werden unterdrückt“, im weiteren Verlauf folgen Überzeugungen wie „Muslime müssen sich auf die eigenen Werte besinnen“ und „Muslime müssen sich in einer feindlich gesinnten Welt behaupten“.
Parallel dazu verändern sich die Normen: Anfangs steht noch ein Bekenntnis zu den rechtsstaatlichen Prinzipien, später wird die Scharia als gleichwertig betrachtet, schließlich wird die Scharia herangezogen, um die Vernichtung der Feinde zu begründen. (mut)