Gehörlose Gymnasiastin wird von Mitschülern voll akzeptiert
Katharina ist eine ganz normale Schülerin auf dem Gymnasium - fast: Denn die Zwölfjährige ist von Geburt an gehörlos. Mit Unterstützung der Lehrer kann sie am Unterricht teilnehmen.
Veröffentlicht:
Katharina Bauscher (links) hat bei der Gruppenarbeit mit ihrer Freundin Magdalena Klein (rechts) kein Problem, sie gut zu verstehen.
© Gesa Coordes
STEINATAL. Auf den ersten Blick sieht Katharina Bauscher nicht anders aus als ihre Mitschülerinnen.
Sie sitzt in der zweiten Reihe neben ihrer Freundin Magdalena und beteiligt sich fleißig am Unterricht in der Steinataler Melanchthonschule.
Lehrer trägt FM-Anlage um den Hals
Dass die zwölfjährige Gymnasiastin gehörlos ist, merkt man ihr nicht an. Geschickt unter ihren langen Haaren verborgen, trägt sie deshalb ein Cochlear Implantat, ein Gehörimplantat mit einer Spule und einem Sprachprozessor. Nur damit kann sie überhaupt hören.
Damit sie möglichst viel versteht, trägt Lehrer Jens Bödicker eine so genannte FM-Anlage um den Hals.
Das Gerät verstärkt seine Stimme für Katharinas Ohren. Wenn er längere Zeit nicht redet, schaltet er es aus.
Differenziertes Hören fällt Katharina oft schwer
Wenn die Schüler in Kleingruppen arbeiten, legt er es auf den Tisch der Nachbarin. Zudem achtet er darauf, Diskussionsergebnisse an die Tafel zu schreiben. Eine besondere Belastung sei das nicht, betont der Deutschlehrer: "Wir unternehmen erstaunlich wenig, und es funktioniert trotzdem."
Es gibt aber auch nur sehr wenige Gehörlose, die so gut sprechen und hören lernen wie Katharina, sagt Förderschullehrerin Stefanie Gonther von der Hermann-Schafft-Schule in Homberg, die Familie und Schule ambulant unterstützt: "Nur wenige schaffen es aufs Gymnasium."
Weil sie keine Entwicklungsverzögerungen hatte, sprach sich die Expertin für Hörgeschädigte schon bei der Einschulung für die Regelschule für sie aus. Das von Geburt an gehörlose Mädchen, das ihr erstes Wort mit knapp drei Jahren sprach, schrieb dort fast nur gute Noten - nur Mathe fällt ihr schwer.
"Wir haben aber auch alles an Frühförderung gemacht, was möglich war", erzählt Mutter Alexandra Bauscher. Bis heute muss Katharina mehr lernen als andere. Auch das Zuhören ist für sie anstrengender: "Sie hört, aber nicht so differenziert wie ein normal Hörender", erklärt Gonther.
Unauffälliger Umgang mit der Behinderung
Nach dem Wechsel auf die Gesamtschule in ihrem Wohnort gab es gleichwohl Schwierigkeiten mit Mitschülern, die sie ausgrenzten. "Das passiert vor allem bei Mädchen oft", weiß Gonther. Die Sonderrolle mache manche Mitschüler neidisch.
Seit Katharina vor einem Jahr auf das evangelische Gymnasium in Steinatal in der benachbarten Schwalm gewechselt ist, geht es ihr wieder gut. Die Lehrer gehen selbstverständlich und unauffällig mit ihrer Behinderung um.
Mit Magdalena hat sie eine gute Freundin gefunden. Die Klasse hat sie mit offenen Armen aufgenommen. Nur die FM-Anlage, dieses "Symbol ihrer Sonderstellung", wäre sie am liebsten los. Aber das geht leider nicht.
Beim Schwimmen liest sie von den Lippen ab
Stefanie Gonther berät die Lehrer und hat sie in die Bedienung der Anlage eingewiesen. Für die Klasse startete sie ein Projekt. Dabei probierten die Schüler im Eigenversuch, einem Diktat zu folgen, während sie "schwerhörig" waren: Sie trugen Ohrstöpsel und Kopfhörer.
Katharina findet vor allem das Schwimmen "cool". Hören kann sie dort nichts, weil sie ihre Geräte im Wasser nicht tragen kann. Dann verständigt sie sich mit Händen und Füßen, liest von den Lippen ab oder schwimmt einfach hinterher. Und das gut. Jeden zweiten Tag schwimmt sie in der Leistungsgruppe bei der Eintracht Stadtallendorf.