Gottfried Benn erhebt seine Stimme - im MP3-Format und auf CDs
Sein Erscheinen war mehrfach angekündigt, aber wegen ungeklärter Urheberrechtsfragen immer wieder verschoben worden - nun endlich liegt es vor: "Das Hörwerk 1928-1956" von Gottfried Benn. Auf einer MP3-CD oder zehn herkömmlichen CDs ist jetzt elf Stunden und neun Minuten lang die ungemein wirkungssichere Stimme des wohl bedeutendsten deutschen Dichters des 20. Jahrhunderts bei Lesungen seiner Lyrik und Prosa, bei Vorträgen, Interviews und Rundfunkdiskussionen zu erleben.
Langwierige Recherchen in vielen Rundfunk-Archiven
Diese von Robert Galitz und Kurt Kreiler (Archivrechte, Audioredaktion) und Martin Weinmann (Beibuch) verantwortete Edition versammelt erstmals wesentliche Radio-Tondokumente Gottfried Benns in bestmöglicher Restaurierung. Vorangegangen waren langwierige Recherchen nach erhaltenen Benn-Aufnahmen in den Archiven beinahe sämtlicher Rundfunkanstalten. Ohne die Rundfunkarchive wäre von der Stimme des Berliner Dichter-Arztes heute kaum mehr etwas zu vernehmen.
Dabei war Benns Verhältnis zum Medium Rundfunk ein durchaus zwiespältiges. Einerseits mokierte er sich über das "unvornehme Geschäft eines Radiovortrags" und klagte, "Radio ist sehr gegen meine Neigung", andererseits nutzte er es überraschend intensiv.
Verdienstquelle und Zugang zu Menschen
Rundfunkauftritte, das mögen Gründe für seine häufigen Auftritte gewesen sein, boten ihm nicht nur eine geschätzte Verdienstquelle, sondern auch einen wichtigen Zugang zur literarisch interessierten Öffentlichkeit. Immerhin war Gottfried Benn von 1927 bis 1934 alle vier Monate Gast in einem Rundfunkstudio, nach dem Krieg sogar noch häufiger.
Die frühesten in das "Hörwerk" aufgenommenen Tondokumente sind Benns "Totenrede für Klabund" (1928) und der Vortrag "Die neue literarische Saison" aus dem Jahr 1931. Die letzten Aufnahmen stammen aus Benns Todesjahr 1956: ein kurzes Interview des SFB zum 70. Geburtstag sowie seine Lesung der Gedichte "Nur zwei Dinge" und "Quartär".
Was Benn im Verlauf dieser fast 30 Jahre in den Äther sandte, war - neben seiner Lyrik - ein erstaunlich breites Spektrum an Themen. Dies gilt vor allem für die Zeit bis zur Machtergreifung Hitlers. Da sprach Benn zu Themen wie "Genie und Gesundheit", "Der Aufbau der Persönlichkeit" sowie "Der wissenschaftliche und der künstlerische Typ".
Aufnahmen sind nicht mehr alle erhalten
Daß sich gerade diese Aufnahmen ebenso wenig erhalten haben, wie die politisch äußerst delikaten Äußerungen Benns in der legendären Berliner "Funk-Stunde" ("Der neue Staat und die Intellektuellen", 24. April 1933, und seine "Antwort an die literarischen Emigranten", 24. Mai 1933) ist bedauerlich. Immerhin wurde sich Benn kurz darauf seines politischen Irrtums bewußt und zeigte dem NS-Regime fortan die kalte Schulter. Damit war für ihn an weitere Rundfunkauftritte nicht mehr zu denken.
So beginnt die eigentliche Benn-"Tonausbeute", streng genommen, erst nach dem Zweiten Weltkrieg. 1948 liest Benn im SDR und SFB viele seiner Gedichte, 1949 kommt es zu einem ersten Rundfunkgespräch mit Thilo Koch (SFB). 1954 wird vom Schweizer Radio DRS Benns Rede "Altern als Problem des schöpferischen Menschen" gesendet.
Von 1955 stammt die große Rundfunkdiskussion "Soll die Dichtung das Leben bessern?" (NWDR) mit Heinrich Böll, Reinhold Schneider, Paul Schallück. Daß dem "Hörwerk" überdies Benns 1952 von Radio Bremen produzierten Hörspiele "Die Stimme hinter dem Vorhang" und "Drei alte Männer", beide in der Regie von Kurt Westphal, integriert wurden, erhöht den historisch-dokumentarischen Wert dieser grandiosen Edition.
Begleitbuch verweist auf Stellen in dreibändiger Ausgabe
Damit alle Texte auch nachgelesen werden können, sind im Begleitbuch Verweise auf die entsprechenden Stellen in der im vergangenen Jahr bei Zweitausendeins in Frankfurt am Main erschienenen, von Dieter Wellershoff herausgegebenen dreibändigen Ausgabe der Gesammelten Werke Gottfried Benns angegeben.
Gottfried Benn: Hörwerke 1928-1956. Auf einer MP3-CD (Bestellnummer 15006) oder auf 10 CDs (Bestellnummer 15007). mOceanOTonVerlag Zweitausendeins Dokument.