Prävention
Hängepartie Diabetesstrategie
Weil sich die Ernährungspolitiker der Koalition beim Thema Zuckerreduktion nicht einigen können, steht die geplante nationale Diabetesstrategie vor dem Aus. Diabetologen und Ärzte zeigen sich enttäuscht – und machen eine klare Ansage.
Veröffentlicht:Berlin. Die International Diabetes Federation (IDF) hat zum Weltdiabetestag Zahlen zu Diabetes vorgelegt, eine davon ließ hiesige Ärzte aufhorchen: Denn laut IDF Diabetes Atlas gehört Deutschland inzwischen weltweit zu den zehn Ländern, die die höchste Zunahme bei der Diabetesprävalenz zu verzeichnen haben.
Derzeit liegt diese bei 15,3 Prozent (siehe nachfolgende Karte), was einen Anstieg von 25 Prozent im Vergleich zu 2017 bedeutet.
Die Zahl der an Diabetes erkrankten Erwachsenen wird in Deutschland auf 9,5 Millionen geschätzt. Bei rund 4,5 Millionen von ihnen schlummere die Krankheit im Körper, sei aber noch nicht diagnostiziert, so die Experten.
Eine tickende Zeitbombe, warnt der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Diabetes- Hilfe, Dr. Jens Kröger. Der CDU-Gesundheitspolitiker Dietrich Monstadt, der selber an Diabetes erkrankt ist, spricht gar von einem „Tsunami“, der auf Deutschland zusteuere.
„Diabetes ist eine der häufigsten Erkrankungen in Deutschland“, pflichtet SPD-Gesundheitsexperte Dirk Heidenblut bei. Es müsse mehr für Früherkennung, Behandlung, Therapie und Forschung getan werden.
Mehr Prävention, bessere Therapie
Genau dieses Mehr an Prävention und gezielterer Therapie soll laut Koalitionsvertrag von 2018 eine national aufgelegte Diabetesstrategie bringen. Ein Rahmenplan quasi, dessen Empfehlungen und Ziele möglichst breit Eingang in allerlei Gesetze zu Gesundheit, aber auch zu Ernährung und Erziehung finden sollen, um so dem befürchteten Tsunami etwas Wirksames entgegenzusetzen.
Doch das Vorhaben von Union und SPD stockt und produziert bislang nur Negativschlagzeilen. Sie habe die Hoffnung auf einen Erfolg zwar noch nicht vollends begraben, sagt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Bärbel Bas. Besonders zuversichtlich, dass sich die Große Koalition auf ein Strategiepapier einigt, ist Bas aber auch nicht.
Denn auf keinen Fall werde ihre Fraktion eine nationale Diabetesstrategie mittragen, die um den „ganz wichtigen Ernährungsteil“ auskommen solle, betont Bas.
Eine solche Diabetesstrategie light war ins Gespräch gebracht worden, nachdem die Gesundheitspolitiker von Union und SPD zwar einen Konsens in Sachen Diabetesstrategie erzielt hatten, nicht aber die im Ernährungsausschuss sitzenden Abgeordneten beider Fraktionen. „Hier kommt man einfach nicht zusammen“, sagt CDU-Mann Monstadt. Ihm sei aber ein reduzierter Plan ohne Ernährungsabläufe immer noch lieber, als am Ende ganz ohne Plan dazustehen.
Eiszeit wegen Ernährungsthema
Glaubt man Bärbel Bas, dann dreht sich der Streit der Ernährungspolitiker vor allem um einen Passus. Danach soll der Diabetes-Rahmenplan auch verbindliche Vorgaben enthalten, wie stark der Zuckeranteil in Lebensmitteln für Kinder – etwa in Joghurts oder in Müslispeisen – gesenkt wird.
„Wir können uns einfach nicht vorstellen, diesen Passus zu streichen, weil dann ist es für uns keine Diabetesstrategie mehr“, sagt Bas – und schiebt den Schwarzen Peter weiter. Da Teile der Unionsfraktion anderer Meinung seien und das Strategiepapier „blockierten“, liege das Ganze „auf Eis“. Neue Gespräche seien derzeit nicht geplant.
Kein gutes Omen, dass es mit der Diabetesstrategie in dieser Legislaturperiode noch etwas wird – zumal Unionspolitiker, allen voran Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU), zuletzt wiederholt betont haben, dass sie zwar auch eine Reduktion von Zucker, Salz und Fett in Lebensmitteln wollten.
Das sei aber auf dem Wege der freiwilligen Selbstverpflichtung der Industrie besser zu erreichen als durch Vorgaben per Gesetz. Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Sabine Dittmar, nennt das Ziel einer verbindlichen Zuckerreduktion in Lebensmitteln für Kinder hingegen „essenziell“ für eine wirksame Diabetesstrategie. Dasselbe gelte im Übrigen auch für die Werbung zuckerhaltiger Lebensmittel für Kinder. Aber auch das dürfte ein tiefrotes Tuch für die Union sein.
Die SPD will bei Strategie light nicht mitziehen
Diabetologen, aber auch Kinder- und Jugendärzte schlagen ob der aus ihrer Sicht leidigen Hängepartie in Sachen Diabetesstrategie derweil nur die Hände über ihren Köpfen zusammen. Mit einem Scheitern riskiere die Koalition die Gesundheit künftiger Generationen, kritisiert die Deutsche Diabetes Gesellschaft.
Auch der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Dr. Thomas Fischbach, nennt es „unverantwortlich“, die Volkskrankheit Diabetes nicht gezielter anzugehen und endlich einen bundesweiten Fahrplan dazu vorzulegen. „Das steht im Koalitionsvertrag.“
Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Sprecherin für Gesundheitsförderung der Grünen-Bundestagsfraktion, sieht es ähnlich, geht aber vor allem die Union an: Diese verkenne „den Ernst der Lage, wenn sie weiterhin auf reine Verhaltensprävention und die Freiwilligkeit der Unternehmen setzt“.
Eine Diabetes-Strategie ohne verbindliche Reduktionsziele bei Zucker, Salz und Fett sei nichts anderes als ein Papiertiger. „Diabetes mellitus kann behandelt und verhindert werden – dafür bedarf es aber auch Rahmenbedingungen, die ein gesundes Leben im Alltag ermöglichen.“