Irak

Hausarzt im Einsatz unter Flüchtlingen

Eigentlich wollte er nur zur Trauerfeier für seinen Vater reisen, doch dann sah er die Flüchtlinge und entschloss sich zu einem Hilfseinsatz. Allgemeinarzt Dr. h.c. Reving Barwary schildert seine Erfahrungen in Dohuk im Norden Iraks.

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Kochen unter extremsten Bedingungen: Flüchtlingsfrau mit Kind in Dohuk.

Kochen unter extremsten Bedingungen: Flüchtlingsfrau mit Kind in Dohuk.

© Ensar Ozdemir/AA/dpa

Dr. Reving Barwary: Ursprünglich bin ich wegen der Tauerfeier für meinen Vater hierher gereist. Der Ansturm der Flüchtlinge hat mich dazu bewogen, mich an einem humanitären Einsatz zu beteiligen. Deshalb habe ich meine Hilfe als Arzt bei der medizinischen Versorgung dieser Menschen angeboten.

Worin bestand Ihre Arbeit?

Dr. Reving Barwary

Hausarzt im Einsatz unter Flüchtlingen

© privat

Aktuelle Position: 2009 hat sich Barwary als Hausarzt in Kremerperheide beim Hamburg niedergelassen.

Werdegang: Seit Ende 1996 lebt er in Deutschland und verfügt über mehrjährige klinische und ambulante Tätigkeit in Allgemeinmedizin, Innerer Medizin, Chirurgie und Notfallmedizin. Seit 2005 ist er Facharzt für Allgemeinmedizin.

Barwary: Die Not der Flüchtlinge hat meine Familie und mich so tief berührt, dass wir spontan Lebensmittel gespendet und verteilt haben. Zuletzt habe ich als Arzt in einem Gesundheitszentrum ausgeholfen. Die Einrichtung dient der medizinischen Grund- und Notfallversorgung sowohl der ortsansässigen Bevölkerung wie auch der unzähligen Flüchtlinge.

Der Andrang ist enorm. Viele Flüchtlinge sind von den Ereignissen der letzten Tage und Wochen traumatisiert, sie sind völlig erschöpft, leiden unter Schlafstörungen und Kopfschmerzen.

Tagsüber ist es bei uns zurzeit sehr heiß, nachts kann es deutlich abkühlen. Wir sehen deshalb auch viele Menschen mit Infekten der oberen und unteren Atemwege, Sonnenstich, Kälte- oder Hitzschlag. Wieder andere kommen mit Beschwerden aus dem gesamten Bereich des Bewegungsapparates, Allergien oder auch weil sie Medikamente für ihre Bluthochdruck- oder Diabeteserkrankung benötigen.

Was war Ihr eindrücklichstes Erlebnis?

Barwary: Viele Flüchtlinge haben ihr gesamtes Hab und Gut verloren. Sie haben es oft nur mit dem, was sie am Körper trugen, über schlecht ausgebaute, holperige Wege und Straßen hierher geschafft und versuchen nun, mit einem Minimum an Allem zu überleben.

Ein bevorzugtes Fluchtziel sind die irakisch-kurdischen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaimaniyya. Von wie vielen Flüchtlingen sprechen wir?

Barwary: Seit dem Fall Mossuls am 8. Juni 2014 hält die Massenflucht der Betroffenen unvermindert an. Die Gesamtzahl der Flüchtlinge aller drei Provinzen wird mittlerweile auf über 1,5 Millionen Menschen geschätzt. Allein in der Provinz Dohuk leben über 500.000 Flüchtlinge.

Hinzu kommen über 120.000 Flüchtlinge aus Syrien, die in den letzten zwei Jahren wegen des in ihrem Land tobenden Bürgerkrieges hier Zuflucht gesucht hatten.

Ist die Aufnahme von so vielen Flüchtlingen in so kurzer Zeit überhaupt zu bewältigen?

Barwary: Durch die enge Nachbarschaft mit den betroffenen Regionen ist unser Gebiet für die Flüchtlinge besonders einfach erreichbar. Für die medizinischen Einrichtungen der Provinz Dohuk bedeutet dies eine enorme zusätzliche Belastung. Der Andrang ist riesig.

Da die Flüchtlinge auf vielen unterschiedlichen Wegen kommen, kann man sie nur sehr schwer erfassen und dann gleichmäßig auf die drei Provinzen verteilen.

Eine systematische Registrierung der Flüchtlinge hat bis jetzt noch nicht stattgefunden. Erschwerend kommt hinzu, dass bislang weder von der Regionalregierung noch von den internationalen Hilfsorganisationen Flüchtlingslager für die Neuankömmlinge errichtet wurden.

Die meisten haben in Schulen, öffentlichen Parks oder auch halbfertigen Gebäuden mit nur teilweise vorhandenen Grundmauern eine Unterkunft gesucht oder sie lagern in ihrer Not unter freiem Himmel, um sich und ihre Familien in Sicherheit zu bringen.

Oft fehlen sämtliche gesundheitlichen und hygienischen Grundvoraussetzungen und es besteht kein ausreichender Zugriff auf wichtige Ressourcen wie sauberes Trinkwasser, Bäder und Toiletten. Das und eine ungenügende medizinische Grundversorgung bergen wiederum die Gefahr, dass sich zum Beispiel Durchfallerkrankungen ungehindert ausbreiten können.

Hat sich die Lage seit dem Eingreifen der Amerikaner geändert?

Barwary: Die Entscheidung der Vereinigten Staaten, uns humanitäre und militärische Hilfe zu leisten, sorgt für eine große Sicherheit und vor allem auch innere Ruhe. Nicht nur bei den Flüchtlingen und der Bevölkerung der betroffenen Regionen, sondern auch bei der gesamten Bevölkerung Kurdistans.

Wie und von wem werden die Flüchtlinge versorgt?

Barwary:  Durch internationale Hilfsorganisationen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO), UNICEF, den Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA), den Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR), das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP), das Rote Kreuz bzw. den Roten Halbmond (ICRC) und die Ärzte ohne Grenzen (MSF).

Welche Probleme bestehen bei der Versorgung der Flüchtlinge?

Barwary: Da gibt es unzählige Schwierigkeiten. Was die medizinische Seite betrifft, fehlt es unter anderem an: Ärzten, medizinischen Fachkräften, Arzneimitteln und hier insbesondere an Medikamenten zur medizinischen Grundversorgung wie Antibiotika und Mittel gegen Durchfallerkrankungen sowie an finanziellen Mitteln für den Aufbau und die Aufrechterhaltung einer angemessenen medizinischen Versorgung ganz allgemein.

Woran fehlt es besonders?

Barwary: Was am meisten fehlt, sind Nahrungsmittel, sauberes (Trink-)Wasser und Unterkünfte.

Wie kann man Sie und Ihre Arbeit unterstützen?

Barwary: Durch Spenden! Denn ohne Spenden können wir die Versorgung vor Ort nicht aufrechterhalten. Fachkräfte können uns zudem durch ihre Mitarbeit bei der Bewältigung dieser humanitären Katastrophe unterstützen.

Das Interview führte Eduardo Fernández-Tenllado Ramminger. Es wurde zuerst auf www.springermedizin.de veröffentlicht.

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